In der Galerie des Atelierhauses an der Sittarder Straße stellt Yoshio Yoshida derzeit die Federzeichnungen aus, mit denen er vor langer Zeit bekannt wurde. Von ihm selbst als Skizzen bezeichnet und bis heute fortlaufend nummeriert, sind sie akribisch und konzeptuell. Sie veranschaulichen eine kosmologische, auf Ausgleich bedachte Weltsicht und verhalten sich in teilweise illusionistischer Darstellung mit ihrer sparsamen Farbsetzung sinnlich und hermetisch zugleich. Eine Werkgruppe, die im Flur des Atelierhauses hängt, demonstriert das Umfalten von Papier. Auf diese Weise nimmt eine zentrierte vertikale Linie auf der Rückseite mit der auf der Vorderseite Kontakt auf. Ein anderes Blatt suggeriert mittels penibler Binnenzeichnung, dass sich eine Röhre vor der Fläche in den Raum wölbt. Plastisches Volumen spielt auch eine Rolle bei den Zeichnungen von Wassergläsern, die auf unterschiedliche Weise „weich“ werden, ihre Form verändern ... Yoshio Yoshida zeigt auf den Sprung einer Glasscheibe, der hier nun das Wasserglas und seine Dekonstruktion kommentiert. An einer anderen Wand befinden sich seine Tagebuch-Blätter, an denen er mitunter Jahre gearbeitet hat. Alltägliche Notizen in Japanisch (als vertikale Schriftzeichen), Deutsch und teils auch Französisch sind von allen Seiten zu dichten Schwarzwerten verwoben: Der Text wird zum visuellen Ereignis.
Yoshio Yoshida wurde 1940 in Tokio geboren. Dort hat er von 1956 bis 1959 eine Kunsthochschule besucht, an der er die europäische, insbesondere die französische Kunst für sich entdeckt, mit dem Sensorium des japanischen Künstlers. Zwischen 1963 und 1970 destilliert er ein übergeordnetes „Prinzip der malerischen Grundstruktur“, welches er vor allem in den Werken von Cézanne und der Kubisten wahrnimmt: als „Mittel, meine Vorstellung von der Welt zu ordnen und bildnerisch darzustellen“ (Kat. Wuppertal 1982). 1969 wechselt er nach Paris und nimmt das Studium an der Académie Julian und dann der École des Beaux-Arts wieder auf. Ab 1971 – dem Jahr, in dem er nach Deutschland übersiedelt – vertieft er seine Theorien anhand von teils schematischen Zeichnungen, die geometrisch-konstruktive Raster, Grund- und Aufrisse und perspektivische Beschreibungen zeigen und noch über deskriptive Textzeilen verfügen. Dies unternimmt er zu einer Zeit, in der sich derartige konzeptuell orientierte Zeichnungen in Amerika und Europa etablieren. 1977 wird er damit zur documenta nach Kassel eingeladen und hat in der Folge Einzelausstellungen u.a. im Von der Heydt-Museum in Wuppertal, der Pfalzgalerie Kaiserslautern und der Städtischen Galerie Paderborn.
Indes wendet sich Yoshida, der seit 1977 in Heiligenhaus mit Atelier in Düsseldorf lebt, nun auch der klassischen europäischen Musik zu, mit den Erfahrungen seiner eigenen Herkunft mit dem Shintoismus und dem ZEN-Buddhismus. Er könne beim Hören Musik sehen, sagt Yoshida. Über einen Zeitraum von 626 Tagen „überträgt“ er Mozarts (letztes und unvollendet gebliebenes) Requiem D-Moll in neun Gemälde, in denen apokalyptische figurative Motive in den vier Grundfarben in geometrischen Konstruktionen eingefügt sind. „Ich empfinde Mozarts Werk … als ein Requiem für unseren Planeten, den wir Menschen seit Urzeiten durch unsere Zivilisation, Kriege und Umweltkatastrophen ruinieren“, schreibt Yoshida im Katalog des Stadtmuseums Ratingen, wo diese Gemälde 1991, begleitet von einem Konzert, zu sehen waren.
Wir bleiben im Gebäude in der Sittarder Straße. In einem der oberen Stockwerke befindet sich das Atelier. Die Malereien hängen hier auf Stoß neben- und übereinander als Teile eines Ganzen. Sie sind direkt von der Erfahrung der Zeichnung geprägt: Yoshida strichelt die Sujets minutiös in knappen – vermeintlich impressionistischen – Pinselsetzungen: wie Gegenstände, deren Oberfläche transparent ist, gleichzeitig zerfällt und eine Einheit bildet. Alles geht um Sehen und Erfassen in seinen inneren Zusammenhängen, dazu wendet sich Yoshida gerade den Dingen zu, die er täglich beobachtet. Auf einem riesigen Hochformat wächst ein flirrend naturalistischer bläulicher Baum aus nebelig gleißendem Licht steil empor. Zwei querformatige Bilder fangen zu unterschiedlichen Jahreszeiten die Häuserzeile ein, die im Blick aus dem Atelierfenster zu sehen ist. - Wie ein Synthese dieser drei Bilder wirkt nun das Gemälde, das in der SITTart Galerie ausgestellt ist. Aus einem milchig weiß-grauen Grund, der die urbane Szenerie verdeckt, ragen die Masten der Ampelanlagen und der Verkehrsschilder isoliert auf: als beengtes Chaos in der Ruhe, die nach Übersicht und deren vergegenwärtigender Analyse strebt.
Yoshio Yoshida
Ausstellung, bis 5. September
in der SITTart Galerie im Künstler-Atelierhaus, Sittarder Str. 5
www.vddk1844.de
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