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Erika Kiffl, Anna Löbner – Akademierundgang, 1979 oder 1980
© Erika Kiffl, Nachlass Anna Löbner

Erika Kiffl

Das Atelier durchmessen

In den Fotografien von Erika Kiffl ist den Räumen etwas Introvertiertes und Seltenes bei größter Klarheit eigen. Sie gehen in die Totale oder bleiben an Details hängen, widmen sich deren Strukturen und räumlichen Situationen und streifen dann wieder über die Wand. Es scheint, als ob die Fotografin sie hier erst noch kennenlernen möchte. Fotografie ist fortwährender Erkenntnisprozess, immer mit Abstand und bedacht. Die Aufnahmen sind überwiegend in Schwarz-Weiß; es kommt auf den Kontrast von Hell und Dunkel an. Licht strömt durch das Fenster, die Fensterkreuze gewinnen an Präsenz und verschwimmen zugleich, einzelne Stellen sind ausgeleuchtet, gleichzeitig bleiben andere unscharf. Die Dinge in den Räumen sind in eine strenge Ordnung gerückt, als habe alles seinen Platz. - Es sind immer Serien, die zusammengehören und so auch den Raum sukzessive ertasten, in dem sich eine einzelne Person aufhält. Das eine Mal ist sie zentral erfasst und blickt ihrerseits in die Kamera, aber auch dann ist sie nicht dominant, sondern viel eher in ihre Tätigkeit vertieft. Oder sie ist an den Rand gerückt, und dann wieder bleibt sie ganz abwesend. Aber wenn sie da ist, dann steht sie in einer Beziehung zu ihrer räumlichen Umgebung.

Also, Porträts im eigentlichen Sinne sind das nicht. Erika Kiffl hat die Aufnahmen mit den Künstlern, die sich in ihrem Studio aufhalten, ganz sachlich unter dem Titel „Künstler im Atelier“ zusammengefasst. Gleichgewichtig hält sich das „Atelier“ als Ort, in dem sich alles ereignet. Die Ateliers befinden sich meistens in Düsseldorf. Erika Kiffl selbst bezeichnet sich als Chronistin. Sie erfasst sorgfältig, indem sie von außen teilnimmt. Es liegt ihr an der Dokumentation, daran dass etwas nicht verloren geht und in einen Zusammenhang und seine Systematik gesetzt ist. Das gilt für ihr fotografisches Werk. Aber Erika Kiffl verfolgt das auch mit Leib und Seele, was die Sache der Fotografie betrifft. Sie war eine Anstifterin in Düsseldorf, Fotografie – gleichberechtigt zu Malerei etc. – auszustellen, als diese sich noch den Diskussionen über ihre Befähigung zur Kunst stellen musste. Sie hat internationale Fotosymposien in Düsseldorf initiiert und dokumentiert, das erste in Schloss Mickeln 1980, das letzte 1989. „Ein Mensch, ein Kopf macht das Foto, und nicht der Apparat“, sagt sie; also lohne es sich auch, darüber zu sprechen. 2003 war Erika Kiffl – gemeinsam mit Benjamin Katz – Gründerin des AFORK, wozu sich mit seiner ganzen Energie noch Manfred Leve einbrachte. Untergebracht im Kunstpalast, fanden dort verschiedentlich Ausstellungen mit dem wachsenden Bestand an Fotoabzügen, Negativen und Diapositiven – alles analog, nichts digital – statt, etwa 2007 „Fotos schreiben Kunstgeschichte“. Auf der Website des AFORK selbst heißt es: „Das Archiv künstlerischer Fotografie der rheinischen Kunstszene (AFORK) wurde 2003 mit dem Ziel gegründet, die Geschichte der rheinischen Kunstszene seit den 1950er-Jahren mit fotografischen Dokumenten erfahrbar zu machen, die sich weder durch schriftliche Quellen noch durch Kunstwerke angemessen darstellen lassen.“ Das AFORK sei eine „Institution gegen das Vergessen“, sagt Erika Kiffl im Gespräch mit Ulrike Mertens: Fotografie sei nicht für die Schublade gemacht. 2017 wurde ihr eigener Vorlass von der Stadt für das AFORK erworben.

Erika Kiffl wurde 1939 in Karlsbad geboren, sie kam mit ihren Eltern 1947 nach Österreich und 1951 nach Düsseldorf, wo sie lange in Oberkassel gelebt hat und mittlerweile in Flingern lebt. „Als Fotografin bin ich Autodidaktin“, sagt Erika Kiffl. Das ist untertrieben und zeigt doch, dass es ihr um anderes geht als um Technik. Sie beobachtet und komponiert und fängt Atmosphäre ein. Erste Erfahrung mit dem Fotografieren sammelt sie ab 1955 als Model für die „Textilmitteilungen“. Ab 1958 studiert sie an der Werkkunstschule Krefeld bei Joseph Faßbender und 1960 an der Kunstakademie Düsseldorf in der Klasse für Gebrauchsgrafik bei Walter Breker. Kommilitonen sind dort Bernd und Hilla Becher und Horst Hansen, der sie später auch porträtiert hat. Danach übernimmt sie mit Ikra Baumann die Gestaltung der Zeitschrift „Die elegante Welt“; anschließend arbeitet sie u.a. als Art Directorin bei Werbeagenturen. Der Schritt in die Fotografie und zugleich in die Kunst – und ab 1967 in die berufliche Unabhängigkeit – erfolgt 1963 mit dem Erwerb einer Rolleiflex Mittelformatkamera, mit der sie künftig fotografiert. Damit ist eine besondere Entscheidung zur Vorgehensweise getroffen: Das Quadrat im Sucher hält auf Distanz, Sehen ereignet sich vermittelt. Zum Einsatz kommt die Kamera im selben Jahr in New York, wohin sie mit dem Düsseldorfer Kunstverein reist. In Interviews erwähnt Erika Kiffl die Seherlebnisse dort, den Besuch des MOMA, in dem sie zeitgenössische Fotografie als Kunstform gewürdigt sieht, Nadar etwa. Unter den Aufnahmen, die sie selbst dort macht, ragt eine heraus, die ein Schiff auf dem Hudson River zeigt, mit riesigen Dinosaurier-Nachbildungen, die vom Disneyland zur Weltausstellung gefahren werden. Zunächst wurden diese Aufnahmen im „Fotomagazin“ veröffentlicht; dann, über das Fachpublikum hinaus, im „Stern“. Im Jahr darauf erhält Kiffl über Johannes Wasmuht die Möglichkeit, die Neueinrichtung des Bahnhofs Rolandseck als Kulturzentrum zeitweilig zu begleiten. Sie sieht Künstler wie Uecker, der das Gebäude ausgestaltet, und die Pianistin Martha Argerich, die hier ein Wochenende probt. So entstand eine erste fotografische Serie, die bereits den Bahnhof als kulturellen Ort positioniert, ihn immer auch selbst erfasst. Erika Kiffl tauchte in der Folge weiter in die Kunst ein. Sie besuchte 1967 Gerhard Richter im Atelier am Düsseldorfer Fürstenwall und fotografierte, wie er das Schwarz-Weiß-Gemälde „Diana“ mit grüner Farbe übermalte. Dass sie diese Aufnahmen erst 2007, also vierzig Jahre später, veröffentlicht hat, begründet sie damit, dass das ihr Masterpiece sei, mit dem man wartet, bis die Zeit reif ist, und man mit dem Besten – nach reiflicher Überlegung – erst spä­ter herausrückt. Kiffl konzentriert sich fortan auf die Künst­­ler an ihrer Arbeitsstätte, im Atelier und beim Ausstel­lungs­aufbau. Die Intention ist, den Prozess als innerstes festhalten, wie er direkt zum Kunstwerk und dessen – metaphysischem – Wesen führt. Im Grunde macht das Transzen­den­te das We­sen der Kunst von Erika Kiffl aus: Die Orte, an den en sie fotografiert, wirken wie aus einer anderen Welt, mithin zeitlos und ohne Grenze, obwohl gerade Wände und die Grenze zwischen Innen und Außen mit ihren Fenstern und der Lichtführungen konstitutiv für ihre Bilder sind. Sie fotografiert Gotthard Graubner im September 1977 und, ebenfalls am Drakeplatz, Joseph Beuys. Daraus und aus weiteren foto­gra­fischen Folgen mit den damals aufstrebenden und be­reits berühmten Künstler:innen des Rheinlandes – u.a. mit Ulrich Erben, Bruno Goller, Konrad Klapheck, Geiger, Heerich, Hoehme und Tadeusz – entsteht das Buch „Künstler in ihrem Atelier“. Impulse kommen von Stephan von Wiese, der als Kurator am Kunstmuseum Düsseldorf 1979 eine der ersten Ausstellungen mit ihr veranstaltet und sie einlädt, die „Treib­haus“-Ausstell­ungs­reihe zu fotografieren. Einen weiteren Werkkomplex stel­len die Aufnahmen zu den jährlichen Akademierundgängen 1979-1989 dar, und 1995 war sie, begleitend zu einem Aus­stel­lungsprojekt für München, in China und hat dort Künstler­ateliers, etwa schon von Ai Weiwei, besucht. Die Ausstellung zeitgenössischer chinesischer Kunst fand dann allerdings doch nicht statt, aber ihre Dokumentation wurde im Marstall in München gezeigt.

Auch hier forscht Erika Kiffl nach der Essenz des Gestaltens – wie Werke entstehen und warum sie so entstehen, wie sie entstehen. Wie das Atelier zum schier heiligen, aber auch funktionalen Ort wird. Wie es Rückzug bedeutet. Wie sonst will man die Privatheit und Intimität, das Zweifeln, Wissen und Nichtwissen festhalten? Die Gedanken, die nicht sichtbar werden. All das steckt in diesen Serien zum Künstler im Atelier und schon den einzelnen Aufnahmen. Zum Ausdruck dafür werden die Details, die Zugänglichkeit oder Unzugänglichkeit der Künstler und schließlich das Licht und wie es fällt als wichtige Prämisse des künstlerischen Wirkens. Folglich zeigen ihre Serien immer wieder hohe weiße Fenster, weite Räume, in der sich Vorstellungen sammeln. So wenig wie die Künstler selbst anwesend sind, auch wenn sie in ihren Ateliers anwesend sind, so wenig sind es die Künstler und Besucher bei ihren Aufnahmen der Akademierundgänge, welche eigentlich ein Volksfest sind, die Gänge übervoll von Besuchern: Das ist das, was sie weitgehend nicht zeigt. Stattdessen fängt sie den Ton der Konzentrierung ein, das Verhältnis der Werke zum Raum, zu den Wänden, die sie nur für wenige Tage beherbergen. Zugleich kennzeichnet der Geist der Ismen und des Experimentellen die Aufnahmen. Treppenhäuser tauchen auf, auch ohne Menschen ist die Kunst in Bewegung und Unruhe.

Die Akademie-Galerie am Burgplatz rekonstruiert in einer konzentrierten Auswahl den Kontext. Dazu sind auch Fotografien von Manfred Leve (der Brüning fotografiert hat) und von Benjamin Katz (der Beuys fotografiert hat) und Werke der Künstler selbst ausgestellt, die im Buch „Künstler in ihrem Atelier“ vorgestellt wurden. Und im vergleichenden Sehen zwischen den drei Fotograf:innen wird das Eigene noch deutlicher. Dann empfindet man erst recht auch den Zauber und das Geheimnis bei Erika Kiffl, die mit ihrer Fotografie weit über die Dokumentation und das Porträt hinaus zum Wesen der Künstler und ihrer Kunst vordringt.

Der Bildatlas der Akademie.
Erika Kiffl und das Archiv künstlerischer Fotografie der rheinischen Kunstszene AFORK
bis 8. Februar in der Akademie-Galerie – Die Neue Sammlung, Burgplatz 1 in Düsseldorf
Freitag bis Sonntag 12-18 Uhr

TH

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