Manche Situationen und Settings lassen sich nicht voraussehen, aber man lässt sich dann von ihnen anregen. So schaut man auf ein fotografisches Porträt von Charlotte Rampling von Albrecht Fuchs, aufgenommen in Paris 2009 – aufrecht im weißen Hemd und blauen Jackett, die Haare gescheitelt, der Mund als Strich; insgesamt, die Augen verschattet, kontrolliert in sich gekehrt – und am nächsten Morgen liest man in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel der französischen Schauspielerin über den Wert „echter“ Fotografien in Zeiten der sog. sozialen Medien und deren Bilderflut: „Im Gegensatz zu Filmen fangen Fotos einen in absoluter Stille ein. Dann, Auge in Auge mit einem ebenfalls stillen Betrachter, ist es ebenjener, der dem Foto Worte und ein Leben verleiht.“ (17.Juli 2025)
Neben Willem Dafoe und Isabel Huppert gehört sie zu den wenigen Schauspielerinnen und Schauspielern, die Fuchs fotografiert hat. Bekannt ist er vor allem für seine Aufnahmen von Akteuren aus der Kunstszene, die er auf der ganzen Welt trifft und an den von ihnen ausgewählten Orten fotografiert. Seine Porträts werden international veröffentlicht und in Ausstellungen gezeigt, teils besitzen sie ikonische Qualitäten, die unsere Vorstellung von den Künstlern prägen. So ist ein Porträtfoto von Thomas Schütte auf dessen Katalog zur Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn 2010 abgebildet. Schütte sitzt am heimischen, bis auf einen schwarzen Stift leergeräumten, mit einigen Wasserflecken bedeckten Holztisch, hinter sich eine Vase roter Gladiolen, wie wir sie von seinen Zeichnungen kennen. Er hält den Kopf schräg und in die Hand gestützt und schaut angenehm missmutig, zerstreut und konzentriert zugleich zum Fotografen und damit zum Betrachter. Es gibt viele kleine Details zu entdecken und dann erkennt man, wie genau die Fotografie komponiert und alles auf einander bezogen ist. Wie Thomas Schütte als Solitär mit seiner Umgebung regelrecht verschmilzt und in sie eingebettet ist. Oder, Michel Majerus steht im Atelier in einer Industriehalle irgendwie schlaksig unbeholfen, aber ganz in sich ruhend und geradezu skulptural, direkt daneben befinden sich das Fenster und die Heizung mit ihren seriellen Lamellen. Der junge Olafur Eliasson wiederum steht, ebenfalls 1996, im Atelier kerzengerade seitlich ausgerichtet, die Arme sind hinterm Rücken verschränkt, aber er hat den Kopf voller Entschlossenheit nach vorne gewendet. Ein paar andere Porträtfotografien zeigen Liegende: John Baldessari, Lawrence Weiner und Franz West in einer selbst entworfenen Chaiselongue. Martin Kippenberger oder Raymond Pettibon liegen hingegen im Bett, vielleicht weil Albrecht Fuchs sie beide in einem Hotel (zufällig beide im „Chelsea“ in Köln) porträtiert hat – und all das sind Indizien für Vertrauen und Vertrautheit. Neben Künstlern hat er mitunter Schriftsteller und Komponisten porträtiert, als freie künstlerische Arbeit. Dazu kommen die Aufnahmen, die er angewandt, im Auftrag angefertigt hat, etwa Familien- oder Firmenporträts (die Mitarbeiter von Herzog & de Meuron etwa) sowie die Aufträge für Magazine, etwa von Sportlern und Politikern, besonders ab 1991 für das FAZ-Magazin. Die Art der Arbeit sei formal die gleiche, hat Fuchs im Interview in seiner Ausstellung im Kunsthaus Nürnberg 2020 gesagt.
Seit mehr als drei Jahrzehnten folgt Albrecht Fuchs seinen grundlegenden formalen, ästhetischen und inhaltlichen Prinzipien. Nachdem er anfänglich mit einer Kleinbildkamera ohne Stativ fotografiert hat, verwendet er seit den 1990er Jahren eine Mittelformatkamera im 6x7-Format auf einem Stativ. Er fotografiert immer in Farbe. Und, ganz wichtig, er arbeitet ausschließlich mit dem vorhandenen, natürlichen Licht. „In Innenräumen bedeutet das oft lange Belichtungszeiten. Stillhalten. Eine Verlegenheit kennzeichnet diese Sekundenbruchteile des Abwartens, etwas Unaufgelöstes, vielleicht auch Unauflösbares legt sich in diese Bilder“, schreibt Silke Hohmann (Monopol 3/2012). „Das macht sie so besonders.“ Und Freddy Langer hat zur Ausstellung im Leopold-Hoesch-Museum Düren notiert: „Nichts ist hier aus der Bewegung entstanden und wenig dem Zufall überlassen.“ (FAZ 28.3.2021) Die Hände sind leer, die Porträtierten stehen, sitzen, liegen im Mittel- oder Hintergrund, also nie vorne. Dadurch sind sie meistens von Kopf bis Fuß abgebildet, meistens auch auf den Bildachsen und eben eingebunden in ihre Umgebung. Die Kunstwerke der Porträtierten sind jedoch nicht zu sehen, andere Dinge treten in den Vordergrund. Kleine Details erhalten Bedeutung und aus all dem fügt sich ein Bild, mit den Menschen und ihrem Gesicht im Zentrum. In der Regel blicken sie zum Fotografen. Einerseits bleiben die Porträtierten in ihrer Sphäre und bei sich, sie wirken in jeder Hinsicht auf Abstand, andererseits stellt sich in ihrer Pose und Mimik, auch der Gestik eine unterschwellige Privatheit ein, die respektvoll und wunderbar ist.
So ist auch der Titel „Nähe in der Distanz“ der aktuellen Ausstellung von Albrecht Fuchs in der Kunsthalle Bielefeld zu verstehen. Begleitet von der Projektion weiterer Porträts als Loop (der als Kontinuum des Nacheinanders eine hochspannende Zeitlichkeit erzeugt) sind im unteren Foyer fotografische Porträts aus allen Phasen gehängt, nicht chronologisch, sondern nach ästhetischen Gesichtspunkten. Es ist ein Heimspiel, Albrecht Fuchs wurde 1964 in Bielefeld geboren und ist dort aufgewachsen. Er hat Fotografie an der Gesamthochschule Essen studiert. Ein befreundeter Kommilitone ist Laurenz Berges, der Mitte der 1980er Jahre als Assistent von Evelyn Hofer in New York arbeitet. Über Berges lernt Fuchs die Fotografin und ihr Werk in New York kennen; zuvor hat er sich u.a. mit Street Photography – dem Menschen in seiner (öffentlichen) Umgebung und seinem Verhalten in Bezug auf diese, vorgefunden in zufälligen, eher beiläufigen Situationen – beschäftigt, nun wendet er sich der Porträtfotografie zu. Die ersten Bildnisse entstehen noch in den 1980er Jahren. Aber erst einige Jahre später lässt er sich tiefer auf das Genre ein, indem er Martin Kippenberger auf einigen seiner Reisen mit der Kamera begleitet. 1995 ist ein Buch dazu im Kölner Snoeck Verlag erschienen; später wird Walther König seiner Fotobücher herausbringen. Anfänglich sind viele der Künstler und Kulturschaffenden in der Kölner Szene angesiedelt (Cosima von Bonin, Gerhard Richter, Polke, Herold, Anzinger, Joseph Zehrer, Jutta Koether, Kasper König), dazu kommen ihre Verbindungen nach New York und Los Angeles (Mike Kelley, Paul McCartney, Ed Ruscha). Später wendet er sich verstärkt Düsseldorfer Künstler*innen zu (Rosilene Luduvico oder Anys Reimann), bekannten ebenso wie wenig bekannten. Die Galerie Van Horn hat im vergangenen Jahr in einer Einzelausstellung diese Netzwerke herausgearbeitet. Mit Düsseldorf ist Albrecht Fuchs darüber hinaus verbunden. Gemeinsam mit Benjamin Katz hat er 2006-08 die Fotoklasse der Kunstakademie von Thomas Ruff übernommen; danach wurde Christopher Williams auf die Stelle berufen. Williams und Ruff – beide sind weit eher Konzeptkünstler als „klassische“ Fotografen – wurden auch von ihm fotografiert, Williams auf einer Treppe und in der Haustür, Ruff sitzend daheim, 2014. Gerade bei Thomas Ruff darf man annehmen, dass er mit der Situation „gespielt“ hat. Es gibt zwei Variationen als Bilder, auf beiden Fotografien sitzt Ruff im Stuhl, einmal an der rechten Wand und nach links schauend, einmal links am Tisch, im Halbprofil nach rechts schauend und noch in das braun-beige Arrangement eingebunden. Zugleich rückt die Trias der Gelenkstangen an der hinteren Wand in den Blick. Thomas Ruff aber nimmt sich in der Konzentriertheit, mit der er kerzengerade sitzt und dabei das hintere Stuhlbein abschrägt, weitgehend heraus. Anwesend als Teil der Szenerie, ist er selbst reine Form.
Eine Kernfrage der Porträtkunst (nicht nur in der Fotografie) ist, was vom inneren Wesen des Porträtierten sichtbar wird und was sich vielleicht vom künstlerischen Werk vermittelt und wie das alles in Beziehung gesetzt ist. Hier kommt als Herausforderung hinzu, dass die Porträtierten selbst im künstlerischen Bereich arbeiten und eigene Vorstellungen einbringen und Fuchs mit seinem Equipment spontan auf das reagieren muss, was der Künstler an Kleidung und Ort – im Atelier, in der Wohnung, auf der Straße, sogar im Wald – vorgibt. Und dann spürt man, dass jedes Bild seine eigene Geschichte besitzt und in sich trägt, auf diese hin angelegt ist. Wie selbstverständlich, aber genau beobachtet es ist, den Charakter des Porträtierten herausarbeitet und dem Zugefallenen Sinn gibt.
Albrecht Fuchs: Nähe in der Distanz. Porträts, bis 26. Oktober in der Kunsthalle Bielefeld, Artur-Ladebeck-Straße 5, www.kunsthalle-bielefeld.de
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