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Miriam Vlaming
fotografiert von © Angelika Platen, Berlin 2017

Miriam Vlaming

Traumwandlerische Abwesenheit

Den Menschen ist nicht zu trauen. Sind sie anwesend, bilden wir sie uns nur ein? Auf vielen der Bilder von Miriam Vlaming wachsen sie schier aus der Natur heraus, scheinen untrennbar mit dieser verwoben oder durchqueren sie und setzen sich im Malerischen von ihr ab. Zugleich erinnern sie an Irrlichter, wirken schwebend, selbst instabil und flüchtig wie ein vorübergehendes, aber einschneidendes Ereignis. Die gesamte Darstellung ist in ein vibrierendes gedämpftes Licht gehüllt und wirkt umso mehr traumhaft. Der Effekt des Verbleibens zwischen Realität und Erinnerung, sachlicher Schilderung und Hervorbringung aus dem Unterbewusstsein hängt wesentlich mit der Verortung in der landschaftlichen Umgebung zusammen. Dazu ist der Randbereich rundum grauschwarz und gewölbt wie ein Tunnel („In Between“, 2016; „Schattwald“, 2018) oder die Figur geht im All-Over der Natur auf („Maria in the forest“, 2016) oder löst sich, fast bildfüllend, von der Erde („Ready steady go around“, 2023) oder Wasser und Luft wirken als bewegliche Substanz im Zwielicht, welches von Lichtstrahlen durchbrochen wird („Johnny remember me“, 214). Überhaupt bleiben wir auf Abstand zu dem, was sich wie in einem Bühnenraum auf mehreren Schichten aus der Tiefe heraus aufbaut. Es lohnt sich auch, die Titel genau zu lesen.

Eine Rolle spielt bei all dem die Maltechnik. Miriam Vlaming malt mit Eitempera, die auf dem Bild matt wirkt, eine bröselige Anmutung der Oberfläche erzeugen kann, langgezogene Schlieren im Hintergrund zeigt und von innen heraus leuchtet. Malerei wird zum Prozess, der auf der Leinwand sichtbar bleibt und Tempi zwischen Bedächtigkeit und Spontaneität vermittelt. „Der informelle Auftrag der Eitemperafarben lässt stellenweise die darunter liegenden Ebenen durchscheinen, manche Passage wird mit Terpentin wieder gelöst und abgewaschen, verdünnte Farben rinnen über die schräg gestellte Leinwand, Farbinseln erlauben Durchblicke in tiefere Schichten“, hat Martin Oswald den Vorgang im Atelier beschrieben. „Es entzieht dem Betrachter gleichsam den festen Boden.“ (Kat. Museum Abtei Liesborn/Kerber, Bielefeld 2019, 12). Ein wesentlicher Impuls der Darstellungen sind Fotovorlagen, die aus privaten oder öffentlichen Quellen stammen können, welche unerwähnt bleiben. Aber das Vergilbte, Verblichene, das als Malerei weiter zerstört ist, kennzeichnet viele der Motive und steigert den Ein­druck des Vergangenen, Fremden und mitunter Exotischen. „Eden“ hieß ein Bildzyklus 2015/16, gleichzeitig hat Vlaming eine längere Afrikareise geprägt, und dann ist die Natur vor allem Urwald. Als unentdeckte Fauna und Flora ist sie undurchdringlich, aber von unterschiedlichen Klängen erfüllt. Oft spielen die Bilder an einem Gewässer, als wäre eine Expedition hier gelandet oder bis hierher durchgedrungen, etwa wenn die Menschen in Reihen aufgestellt oder zusammengerückt sind: als Reisegruppe oder Versammlung, die an die Bildform des Gruppen­­porträts der Alten Niederländer anschließt.
 
Nicht in der Ausstellung in der Neuen Galerie Gladbeck befindet sich „Selfie“ (2015). Mit 60 x 40 cm ist es eines ihrer kleineren Bilder auf Leinwand. Es vertieft diese besondere Anmutung und Entrücktheit der Figur, von der wir letztlich nichts wissen. Im direkten Gegenüber – auch hier auf Abstand – ist das gezeigte Haupt ohne Gesicht, auch wenn wir es in der Beleuchtung, Schattierung und Ausrichtung im Bildformat instinktiv dazu denken. Der Kopf formt sich aus einem milchigen Weiß in expressiven gegenläufigen Strichen, eingelagert in ein beiges Umfeld mit schwarzen Einsprengseln. Von der zentralen ovalen Form fließt mittig eine dunkle Linie herab, wie zufällig und zugleich mehrdeutig. Dahinter ist eine größere runde Form zu erkennen, wie eine Spiegelung auf einer tieferen Ebene. „Selfie“ bezeichnet Selbstbezogenheit. Zugleich ist das sich-selbst-Fotografieren gemeint, wozu man keine Augen braucht und die Kamera für einen selbst sieht. Die Umgebung wird virtuell erfahren, später zur Erinnerung an etwas, das man wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen hat: Auch das ist ein Thema, welches im Werk von Miriam Vlaming eine Rolle spielt. Also, so weltabgewandt diese Bilder sind, so zeitgenössisch treten sie in einzelnen Aspekten und Motiven auf. Ebenso kennzeichnet die Bilder das Überzeitliche des Kreatürlichen. Immer spielt das Verhältnis von Zivilisation, Mensch und Natur eine Rolle.

Miriam Vlaming stammt aus Düsseldorf. Sie wurde 1971 in Hilden geboren, ist in der Landeshauptstadt aufgewachsen und hat hier zunächst an der Heinrich-Heine-Universität studiert. 1994 ist sie zur Malerei an die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig ge­­wech­­­selt. Parallel zum dortigen Meis­ter­­schülerstudium bei Arno Rink hat sie 1999-2001 ein Gast­studium an der Düsseldorfer Kunstaka­demie bei Jan Dibbets belegt, der selbst Konzept­künstler ist und sich mit Phä­no­menen der Perspektive am Beispiel des Land­schaftlichen auseinandergesetzt hat. Bis heute bleibt sie Düsseldorf verbun­den, Teile ihrer Familie leben nach wie vor hier; sie selbst ist schon seit langem in Berlin ansässig. In Düsseldorf haben aber mehrere ihrer Ausstellungen stattgefunden, in der Galerie Gmyrek. Mittlerweile wird sie im Rheinland von Ralph Kleinsimlinghaus vertreten und stellt in dessen Villa Goecke in Krefeld aus.

Ihre Kunst wird heute insgesamt der Neuen Leipziger Schule zugerechnet. Das mag die nostalgische Anmutung im Realismus betreffen. Es gilt auch für ihre frühen geschlossenen pastellfarbig-milchigen Flächen oder die Kacheln mit ihren Zwischentönen, für den Ge­brauch von grünspanig gebrochenen Tönen oder das Heidelbeer-Violett. Aber Miriam Vlaming erweckt mit ihnen den Zauber des Exoti­schen, für das Licht im Wasser und im freien, weiten Raum. Sie erschafft eine dichte Atmosphäre, welche Bilder des Märchenhaften und der Abenteuer­ge­schichten evoziert und ihnen die Tragik des halb Wahren im Vergessenen verleiht. Es ist schlüssig, dass sie, in Zusammenarbeit mit Luis Uribe, seit Ende der 2010er Jahre zusätzlich morsche und filigrane Holzboote und Flügel-Konstruktionen geschaffen hat, die für Reise, Über­gang, Überwindung unüberwindbarer Hinder­nisse und damit für Freiheit und Entdeckung stehen. Dabei wirken sie, als wären sie kaputt gegangen und gestrandet und der Ikarus abgestürzt und als gäbe es keine Rückkehr mehr. Subtil stecken in den Gemälden Verweise auf unser Leben, unsere Begrenztheit und unseren Zugriff auf die Natur und deren Ursprünglichkeit. Vielleicht finden sich darin auch Dystopien, wie nach einer Klimakatastrophe. Auf einer anderen Ebene erinnern einige der Bilder an eine kolonialistische Inbesitz­nahme vorgefundener Strukturen. Dazu kommen Beobachtungen, die Aspekte der Überwachung und der Mono­polisierung der Welt ansprechen. So alt, vergangen die Geschichten und Mythen dieser Gemälde doch sind und dabei einen kollektiven Erlebensschatz freilegen, so zeitlos und gar aktuell sind doch ihre Gleichnisse.

Miriam Vlaming: „Insomnia“, bis 20. Juli im KunstHaus Potsdam und „I Feel You“, bis 8. August in der Neuen Galerie Gladbeck.

TH

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