Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
26 27 28 29 30 31 1
2 3 4 5 6 7 8

12.604 Beiträge zu
3.828 Filmen im Forum

Metallband, 110 x 260 x 160 cm
Foto ©: Yuhan Ke

„Kunst-Stücke“ Anna Schlüters Blick auf

THE CRADLE, 2025 von Yuhan Ke

Sperrig liegt die Metallkonstruktion auf dem Boden. Eine Matte aus ineinander verflochtenen Verpackungsstahlbändern öffnet sich wie ein Kreissegment nach oben und franst zu allen Seiten unregelmäßig aus. Tritt man nah heran, ist Vorsicht geboten: die scharf geschnittenen Bänder könnten einen verletzen. Ihre Farben changieren zwischen hellgrün und blaugrau, beige, anthrazit und rostfarben. Man mag sie Himmel und Erde zuordnen, dem Idealen und Realen. Reste von Barcodes auf vereinzelten, zerrissenen Aufklebern verraten die Verwendung der Bänder in der Transportindustrie. Leichte Knicke und Rostansätze lassen auf eine unachtsame Behandlung und die Wiederverwendung der Bänder schließen. Sie unterstreichen die Aura einer eher rohen Welt, wenn auch ein leichter Schimmer, typisch für das Material Metall, hier und da aufblinkt.

THE CRADLE, die Wiege! Natürlich wippt das Gebilde vor und zurück, sobald man einige der Metallbänder fester antippt. Das grundlegende Prinzip einer Wiege, die hin und her wiegt, ist mit der gerundeten Form gegeben. Man mag geneigt sein, sich darauf zu legen und eine fötale Stellung einzunehmen, wenn nur nicht die Materialität in ihrer Schärfe und Härte dagegen spräche. In allen Kulturen assoziiert man die Wiege mit Empfindungen wie Geborgenheit, Weichheit, Wärme und Heimat. Doch diese Sinneseindrücke fallen allesamt durch ihr Fehlen auf. Die Sehnsucht nach ihnen wirkt umso nachhaltiger. Das versichernde Grundgefühl getragen zu werden, das idealiter in der frühen Kindheit ausgebildet wird, ist kaum mit dieser Wiege vorstellbar. Die Scharfkantigkeit der Bänder warnt vielmehr vor einer Berührung.

Yuhan Ke hat zur Realisierung ihrer Vision von einer Wiege die Verpackungs­stahl­bänder selbst ineinander verwoben. Das Resultat entpuppt sich als so ruppig, dass es der Verletztheit und Missachtung kindlicher Bedürfnisse Ausdruck verleiht. In dieser dargebotenen Schärfe und Sperrigkeit artikuliert sich latent nicht nur ein Bedauern, sondern auch ein Aufbegehren. Als besonders beißend mag man das rostige Metallband wahrnehmen, das wie ein Bogen allein über das Gebilde ragt. Liebevoll behütete Kinder erhalten über solch einen Arm über dem Bett oder dem Kinderwagen oft Spielzeuge wie eine Rassel oder einen kleinen Teddy, die ihre Aufmerksamkeit wecken und sie unterhalten sollen. Hier wird je­doch nichts dargeboten außer der Leere. Der schlichte Werktitel lädt zur Visu­a­lisierung anmutiger Wiegen ein. Das realisierte Modell zeigt eine offene Wunde. Auch dies ist eine Wiege.

@yuhan_keee   

Anna Schlüter

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Karate Kid: Legends

Kunst.

HINWEIS