Zwei vertraute Welten treffen irritierend aufeinander. Linien und Konturen zeichnen eindeutig einen Teppich, wie wir ihn aus der Wohnkultur kennen. Kabelbinder aus Polyamid sind der vorherrschende Werkstoff. Sie bilden zwischen den zwei stabilisierenden Stahlröhren am oberen und unteren Rand die ornamentalen Linien und Konturen. Abstandhalter sorgen dafür, dass das Liniengeflecht frei im Raum zu schweben scheint. Kabelbinder erscheinen uns vertraut, wenn auch aus der Welt der Baumärkte. Sie schaffen Ordnung, indem sie Kabel miteinander verbinden, und werden gar von der Polizei als Einweghandschellen eingesetzt. Hier zaubern sie die Schönheit des Teppichmusters wie filigrane Bleistiftlinien und erinnern zugleich an Stacheldraht. Das verwendete Material untergräbt subtil die Wahrnehmung des vertraut erscheinenden Teppichformats. Traditionelle Werte und heutige Nützlichkeitsorientierung stoßen ebenso faszinierend wie unbarmherzig aufeinander. Auch das Fehlen von Farbe reduziert das vertraute Wohlgefühl, das ein Teppich zu erzeugen vermag.
Wenn Tayyib Sen die Arbeit „Mitgift“ betitelt, so spielt er mit dem traditionell verstandenen Begriff als Beigabe für eine Tochter zu ihrer Heirat und den Wortsegmenten „mit“ und „gift“. Letzteres stammt von Gabe, Gegebenes im Althochdeutschen. Heute noch absolut bekannt, aber selten benutzt, schleicht sich durch das autonome Wort „Gift“ die Ahnung von Zersetzung und Ambivalenz in den Begriff. Das in der Familie „Mitgegebene“ verhält sich wie Ererbtes. Man muss sich nolens volens damit auseinandersetzen. Der Begriff „Mitgift“ gilt bevorzugt Frauen, nicht Männern. Und meist sind es Frauen, die Teppiche knüpfen und darin über Generationen traditionelle Muster und Emotionen weitergeben.
An der Wand angebracht ruft die Arbeit auch Tapisserien in Erinnerung, die ehemals Edelleuten und Königen vorbehalten waren, um die Kälte ihrer Unterkünfte zu dämmen und ihren Status zu bezeugen. Überträgt man die Statusfunktion auf „Mitgift“, so wirkt hier kein beeindruckendes Gehabe. Vielmehr erfolgt eine Konfrontation, die zum Innehalten und Analysieren auffordert. Man steht einem Opus gegenüber, das an sich Unvereinbares ornamental zusammenführt. Zudem vermitteln bei genauerem Betrachten dornenartige Auswüchse an den seitlichen Rändern eine nicht geringe Widerspenstigkeit zwischen Objekt und umgebendem Raum. Dornen sind in der westlichen Kultur eng mit der Dornenkrone Christi verknüpft. Hier artikulieren sie Verwundungen am Rande, sie kragen aus und bleiben ohne Resonanz. Als Teil der Kabelbinder sind sie ready mades. Sie gehören der Alltagswelt an, die auf Brauchbarkeit ausgerichtet ist und kaum weitere Fragen stellt.
@Tayyyyiib
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Ingrid Wiener
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