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Porträtfoto: Wolfgang Schäfer, Butoh, The Call, 2017
Foto: Claudia van Koolwijk

Wolfgang Schäfer

Eins mit der Schöpfung

In der letzten Zeit gab es wiederholt Gelegenheit, Butoh-Performances von Wolfgang Schäfer zu erleben, anlässlich einer Gruppenausstellung in der Neu­brückstraße und zu seinen Einzelausstellungen im Stadtmuseum und im Museum Goch, aufgeführt aber jeweils als eigenständiges Ereignis. Und jede Performance ist einzigartig im Zusammenwirken von geplanter Konzeption, Erfah­rung und augenblicklicher Reaktion auf die Umgebung und Situation, zugleich folgt sie festgelegten Regeln wie der diskret vorgetragenen Struktur in Kapiteln, die den Ablauf des Lebens symbolisieren, im fast nackten Auftritt, weiß geschminkt, um unabgelenkt auf das rein Kreatürliche zu verweisen. Aufgeladen mit fernöstlichem Gedankengut, ist die Gleichzeitigkeit von Expressivität und Introvertiertheit, die Befreiung von Konventionen und Traditionen im Tanz für Butoh kennzeichnend. Wolfgang Schäfer sagt für seine Butoh-Performances, dass „ich versucht habe, außer mich zu geraten und diese sogenannte Desorientierung im Dickicht des Waldes rituell zu inszenieren, rituell zu erfahren.“ Die Bewegungen sind verlangsamt, mitunter erinnert das Geschehen an Pantomime, ist aber doch anders. Abrufbar auf vimeo ist „The Call“: eine Aktion, die Wolfgang Schäfer 2017 draußen bei Dunkelheit durchgeführt hat, beginnend vor der Kreuzigungsszene in der Nische von St. Lambertus, die mit weißem Stroboskop-Licht angestrahlt wurde und auf die er, in weiße Folie gehüllt, reagierte. Er setzte das Erschrecken, wie es die Skulpturengruppe aus Stein vor Augen führt, in den öffentlichen Alltag fort. Er hockte zunächst, in der geknautschten, dichten Folie wie in einem Kokon verborgen, auf dem Pflaster, den Kopf eingezogen, nur eine Hand züngelte heraus. Er rollte sich auf der Erde und streckte dort ein Bein von sich, ehe er Stabilität ge­­wann, sich aufrichtete und die Hülle wie eine Blüte zu beiden Seiten und über sich ausbreitete. Er kämpfte sich taumelnd frei, tanzte ekstatisch und schritt, tanzte, immer wieder innehaltend, die Straße entlang zur d | d Galerie. Spiritualität, hier durchsetzt mit der christlichen Ikonographie, ist ein wichtiger Aspekt generell sei­­ner künstlerischen Konzeption, und so war neben Jimi Hendrix eben auch Jeff Buckley mit Leonard Cohens „Hallelujah“ zu hören. In der Galerie, wo seine Bilder zu sehen waren, schloss er dann die Performance ab und befreite sich dabei von der Folie, wobei die schwarz-weiße Projektion von kahlem Geäst auf seinen nackten Oberkörper und die Wand fiel … - natürlich ließe sich das alles viel ausführlicher beschreiben oder eben doch nur sehen, in der Zeit beobachten.

Neben der Performance ist die Malerei das wichtigste, konstant praktizierte Medium von Wolfgang Schäfer. Dazu kommen Fotografien, Videos, auch als Projektionen und in Verbindung mit Licht und Schatten bei den Performances, Skulpturen mit Holz und Gestrüpp, etwa mit Reisig gefüllte „Nester“, die an der Wand hängen, und weiterhin Installationen mit Fundobjekten, und gemeinsam ist allem der Bezug auf die Natur, als Teil der Suche nach dem, was alles zusammenhält. Schäfer deutet in seinen Werken einen Kreislauf des Lebens an, er beschreibt Transformationen und Metamorphosen und ist „auf der Suche nach einem Ur­­mythos“, wie Stephan Mann in der frisch erschienenen Monographie schreibt. Geboren 1955 in Altenkirchen, hat Wolfgang Schäfer an der Fachhochschule in Düsseldorf mit den Schwerpunkten Illustration und Fotografie studiert und dort seine Diplomarbeit über den Begriff des Naturbewusstseins geschrieben. Er setzt diese Hinwendung anschließend in der freien Kunst fort. Um 1980 Fotografien von Naturausschnitten, etwa – auf den Malediven – von Situationen am Strand oder von Wald, Gestrüpp, die von Land Art-Aktionen begleitet werden.
In diesen Jahren, zur Zeit der Jungen Wilden, beginnt er auch zu malen. Nur für kurze Zeit malt er figürlich, ehe er die Abstraktion einschlägt, wobei er sich 1982 dem Action Painting zuwendet. Er entwickelt Malerei-Performances, in denen er die Farbmaterie folgend dem Schatten eines Jazz-Tänzers auf das ausgelegte Papier aufträgt. Ein Schlüsselerlebnis ist in diesen Jahren der Butoh-Tanz von Tadashi Endo, dem er in der Altstadt in Düsseldorf begegnet. In der Folge besucht er in Japan Kazuo Ohno, einen der großen Lehrer des Butoh-Tanzes, und nimmt dort an seinen Kursen teil. Und er tritt mit Tadashi Endo in verschiedenen Städten in Deutschland auf.

Die Malerei läuft dabei weiter, seit 1987 hat er sein Atelier auf dem Gelände der Ronsdorfer Straße 77a, dort wo heute das „Weltkunstzimmer“, Ausstellungsflächen und Gastateliers sind, ermöglicht von der Hans Peter Zimmer Stiftung, deren Geschäftsführer er seit der Gründung 2011 ist. Ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre gehört er zum engeren Kreis der von künstlerischen Ideen und einer anarchisch pulsierenden Energie getragenen „MedienMafia“, ein Netzwerk von Künstlern in Düsseldorf, das von Achim Duchow, Joe Brockerhoff und Norbert Faehling initiiert worden ist. Achim Duchow ist der Star, der, in vielerlei verwandt mit Sigmar Polke, in seiner Malerei mit Ironie den Kunstbetrieb persifliert, nichts ausschließt und maßgeblich für ein künstlerisches Klima ist, das sich von den ausgetretenen Pfaden der Kunst abwendet. Das trifft auch auf Wolfgang Schäfer zu, der ebenfalls vorübergehend die Pop Art für sich entdeckt, sie mit ihrem Realismus und ihrer Rastertechnik zeitweilig anwendet – etwa bei seinen Bildern zum (medial vermittelten) Antlitz der Maria Callas (ab 1991, v.a. 2006-08) – und zwischen konkret und abstrakt changiert – wie bei seinen gleichmäßig breiten verschlungenen Bahnen auf monochromem Grund, die auf einer Kamerafahrt im Blick auf den Mond basieren (1998/99) –, ehe er sich doch wieder ganz der Abstraktion und der expressiven Handlung zuwendet, bei der eines erst aus dem anderen erwächst. „Keine Narration, keine Komposition“, sagt Schäfer. Stattdessen: ein Spiel mit dem Zufall, dessen Zulassen und Reagieren darauf mit einem Bildgrund, der eine immense Tiefe besitzt, durch den man sich sehen muss. So verwendet er Reisig als Malmittel, das er in flüssige Farbe legt und sodann gegen die Leinwand drückt. Oder dort vorübergehend mit Klebeband befestigt und darauf dann die Farbe aufträgt, so dass das fein verzweigende Geäst zeichnerisch wie Nervenbahnen verläuft oder wie eine vibrierende Wolke in der Fläche steht. Die meist riesengroßen Bilder entstehen überwiegend auf dem Boden, im Zugriff von allen Seiten. Bei einer Werkgruppe der letzten Jahre hat er die Bildtafeln versetzt aufeinandergelegt und die Farbe so aufgetragen, dass die Kanten sichtbar wie eine scharfe Grenze oder der Sog in eine Passage durch die Bildfläche der darunter liegenden Leinwand verlaufen. Bis heute arbeitet er prozesshaft, experimentell, verbindet etwa Ölfarbe mit Wasser, trägt partienweise Lack auf, mitunter verwendet er die Sprühpistole und erzeugt einen unfassbaren, schwebenden Vorhang und setzt einzelne Lichtpunkte, die wie aus großer Tiefe aufscheinen. Weich-unscharfe Linien schlängeln im Mittelgrund durch das Bildfeld, buntfarbige Flecken halten das unruhig brodelnde Bildgeschehen in der Balance, stellen sogar Ruhe her. Oder regelmäßige vertikale Streifen im Hintergrund stabilisieren den abstrakt expressiven Gestus darüber. Bei einer neueren Werkgruppe zieht sich eine breite lange Bahn durch das entsprechend gelängte Format und betont das aktionistische Vorgehen weiter. Zu einem dieser äußerst reduzierten Bilder gehört eine Yucca Palme, als vielleicht direktester Verweis auf die Natur und die Verbundenheit mit ihr. Die Butoh-Performance aber erscheint hier als Fortsetzung der Konzeption mit anderen, verwandten Mitteln – alles wird eins.

Kunsthalle Düsseldorf, 16. Januar, 19 Uhr: Nachtfoyer:
Künstlergespräch und Butoh-Performance

Ausstellungen: Kunstverein Mönchengladbach MMIII, 17.02.-24.03.,
Butoh-Performance 18.03.2024 um 18 Uhr; Kunstverein Leverkusen, 19.04.-28.04., Eröffnung mit Butoh-Performance 19.04.2024 um 19 Uhr

TH

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