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Porträtfoto: © Oliver Tjaden, Düsseldorf

Vivian Greven

Körper und ihre Abwesenheit

In der Ausstellung „Jetzt!“, die im Kunstmuseum Bonn über fünfzig Positionen zeit­genössischer, junger Malerei präsentierte und derzeit in den Deichtorhallen Hamburg zu sehen ist, sind die Malereien von Vivian Greven ein Segen. Inmitten grell figurativer und abstrakt expressiver Großformate vermitteln ihre Bilder Ruhe und Innigkeit. In lichter, subtiler Tonalität nehmen einzelne oder mehrere Figuren den Bildraum ein und kommunizieren mit ihrer Mimik und ihren Gesten. In einer Zuständlichkeit zwischen Gegenwärtigkeit und Abwesenheit, Wachsein und Träumen und dabei wie versteinert, sind die Figuren als plastische Körper ausformuliert. Der Realismus in einem chromatischen Kontinuum und die aufeinander treffenden Binnenflächen, die Nähe mit einer distanzierten Sachlichkeit verbinden, lassen mitunter an die Pop Art denken. Aber eigentlich sind die Bilder über jede stilistische Bedingtheit erhaben, ja, sie lösen sich von jeder Festlegung auf eine Zeit und einen Ort. Sie vereinen den Blick auf die antike Skulptur mit dem Virtuellen heutiger, nur auf dem Bildschirm existenter Avatare. Die Häupter und die Figuren­fragmente sind, vom Bildrand beschnitten, im Close-up erfasst oder umgeben von einem Farbraum. Geleitet durch die Licht­führung streift der Blick über die Gliedmaßen, die sich voneinander abgrenzen und dann wieder ineinander übergehen. In der Bonner Ausstellungs­station von „Jetzt!“ entstammten die Bilder von Vivian Greven verschiedenen Werkgruppen, gemeinsam war ihnen die Formulierung körperlicher Erfahrung, auch als Antlitz und im Dialog miteinander, in der zärtlichen Berührung. Das gilt etwa für den horizontal ausgerichteten Ausschnitt leicht geöffneter Münder, deren Lippen versetzt aufeinander liegen und im ineinander Gleiten zum Kuss führen, der doch die Trennung der Körper nicht überwindet. Die Intensität körperlicher Begegnung kommt ebenso in der Umarmung zum Ausdruck, die einmal den Kopf umgreift, dann die Schul­ter berührt. Eine Referenz dieser Malereien von Vivian Greven ist die Skulptur „Amor und Psyche“ (1787) des klassizistischen Bildhauers Antonio Canova. Bei ihr beugt sich Amor über die von ihm geliebte sterbliche Königstochter Psyche, während diese sein Haupt umarmt, so dass sich die Köpfe zu spiegeln scheinen. Eine andere Referenz ist Canovas Skulptur „Die drei Grazien“ (1813/16), welche im Jenseits einen Reigen mit gegenseitigen Umar­mungen aufführen – in der Themenausstellung „Something Between Us“ ist Vivian Grevens „Grazia IV“ aktuell in Düsseldorf zu sehen: Als zueinander seitlich verschobene Oberkörper reichen die Grazien ihre Emphase in weichen Verläufen der Arme an ihre Nachbarinnen weiter. Das komplexe Zueinander der Glieder und Bild­geometrien ist gesteigert durch türkisblaue Flächen­formen, die Finger und Hände bezeichnen. Was sich damit als Schicht auf die Körper selbst legt und in seiner Scheren­schnitt-artigen Flächigkeit noch wie Schatten anmutet, zeugt von Abwesen­heit, ebenso wie die Grazien, in sich vertieft, selbst entrückt sind. - Vielleicht lässt ein solches bildnerisches Ge­­sche­hen freu­diger Begegnung in seiner anmutigen Ausgewo­gen­­heit, mit der Weichheit der Formen und dem Hellen der Farben auch an das Gemälde der vier Frauen der „Heimsuchung“ (1528-29) des Florentiner Manie­risten Pontormo denken, das wiederum Bill Viola zur filmischen Inszenierung als Tableau Vivant an­­ge­­regt hat?

In der Malerei von Vivian Greven erinnert das Inkarnat der gespannten Haut an Mar­­­mor, vielleicht auch an lichtdurchlässiges Porzellan, zu­­mal Greven in anderen Werk­gruppen reliefierte Ober­­flä­chen mit konturierenden Schnitten erzeugt hat: Evoziert wird ein Aus­tausch von Innen und Außen, der die Mythen und ihre Erzählungen der Über­schrei­­tung von Diesseits und Jenseits aufgreift, die ihrerseits beispielhaft auch für unser Leben und den Um­­gang miteinander sind. Zwi­schen Künstlichkeit, idealtypischer Erscheinung und greifbarer Realität stellen sich eine Atemporalität und Hybridität ein, wie sie in der Rezeption von Grevens Male­­rei wiederholt erwähnt werden. „Dies ist eine Welt der Wissen­schaft und Tech­nologie, des Versuchs und des Irrtums, in der die getestete Hypothese das Gefühl selbst ist“, schreibt Kristian Vistrup Madsen dazu im Katalog der Galerie Aurel Scheibler (2019). Vivian Greven geht der Entzauberung des Körpers in der Gegenwart mit der Erinne­rung an seine Verzauberung in der Vergangenheit nach. In den Bildern der 1985 in Bonn geborenen Malerin, die an der Düsseldorfer Akademie bei Siegfried Anzinger und Thomas Grünfeld studiert hat, hält die Zeit inne. Sie malt Szenen der Vertrautheit und Privatheit, erst recht indem sie diese isoliert. Aber die Geborgenheit kollidiert mit der Einsamkeit. Vivian Grevens Bilder handeln von Liebe, Verletzung, Einzigartigkeit, Individu­alität und Gemeinschaft und zwischenmenschlichen Erfahrun­gen und widmen sich dazu Archetypen der emotionalen Entäußerung: vorgetragen als Erzählungen mit offenen Enden, gestenreich und doch äußerst zurückhaltend.

Vivian Greven ist beteiligt bei: Something Between Us

bis 31. Mai in Kai 10, Arthena Foundation, in der Kaistraße 10 im Medienhafen Düsseldorf, www.kaistrasse10.de

Die Ausstellung „Jetzt!“ ist in den Deichtorhallen Hamburg noch bis 17. Mai
zu sehen.

TH

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