Alles Persönliche, Stille, Spielerische, Humorvolle, die feine Andeutung und das kunsthistorische Zitat stehen nicht allein für sich – immer sind die Werke von Petra Ellert von der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Fragestellungen durchdrungen. Im Atelier in Bilk weist sie auf ein ovales Relief mit der Zeichnung einer schwarzhaarigen Frau mit selbstbewusst aufmerksamen blauen Augen, die die Arme wie schützend vor der Brust verschränkt. Ihr Kleid ist übersät mit dem Rapport eines gezeichneten Kampfpanzers, der in unterschiedliche Richtungen zielt: „Blue Eyes“ (2012) handelt von der Sorge um die Arabische Revolution in diesen Jahren. „Black Forest“ (2014), ein weiteres, ebenfalls weitgehend schwarz-weißes Relief dieser Werkgruppe, zeigt eine Frau in einer Motorradjacke, auf der „Gulf“ steht. Zugleich trägt sie einen traditionell folkloristischen Schwarzwälder Bollenhut, vor dem ein halbtransparenter Schleier über die Augen fällt, etwas wie bei einer Burka. Ellert bezieht sich hier auf die zufällige Begegnung mit einer amerikanischen Touristin im Bikini und mit Bollenhut auf einem Motorrad mitten im Schwarzwald.
Zu dieser subtilen Aufmerksamkeit im Umgang mit Tagesgeschehen und Verhaltensmustern passt, dass sie mit Papier und den Verfahren der Zeichnung arbeitet – den stillsten, intimsten künstlerischen Parametern, erst recht, weil sie die Papiere in der Regel weiß, unberührt lässt. Sie erstellt die Zeichnung mit Japantusche nur vereinzelt als lineare, konturierende oder skizzenhafte Setzung. Primär entwickelt sie ihre Werke im händischen Zerreißen großer steifer Bögen und vergrößerter Fotovorlagen, die sie besonders aus den Printmedien nimmt. Sie fügt die Teile mit ihren Rissspuren anschließend wieder aneinander, setzt sie versetzt aufeinander und wölbt sie, so dass sich die ursprüngliche Fläche zum Volumen hin erweitert. Der schneeweiße Bogen vermittelt Introvertiertheit und ist hier ebenso Ausdruck für Widerstandsfähigkeit. Die verschobenen, freistehenden Kanten greifen in den Raum aus. Die Schichtungen führen mitunter zu Verschattungen, die im Wechsel der Perspektive seitliche Einblicke zulassen und eine verhaltene Expressivität erzeugen, wobei die Maßnahmen konzentriert sind und die Anzahl der Teile begrenzt bleibt, die Flächen für sich ausgesprochen groß sind und etwas Makelloses besitzen.
Dass sie damit vor allem der Skulptur zuzurechnen ist, hat Hans Joachim Albrecht in seinem Buch „Bildhauerei in Deutschland im 20. Jahrhundert“ (Berlin 2017) dargelegt. Als Bildhauer im Bereich der konstruktiven Metallskulptur und Theoretiker war er einer der frühen Lehrer von Petra Ellert an der Werkkunstschule / Fachhochschule Niederrhein in Krefeld. Sie begann dort mit einer Ausbildung zur Goldschmiedin und wird bereits hier ihr Gespür für die Ausdrucksstärke und Flexibilität zart anmutender Werkstoffe vertieft haben, die Genauigkeit der Linie, welche der Blick abschreitet, und das Aufblättern einer Form in sukzessiver Erfahrbarkeit, als Bewegung oder hin zur Allansichtigkeit. 1973 bis 1976 schließt Petra Ellert eine klassische Bildhauerausbildung an der Akademie der Schönen Künste in Florenz an. Sie saugt die Kunst der italienischen Renaissance mit ihren Augen auf und rückt die menschliche Figur in das Zentrum ihres plastischen Schaffens. In der Arbeit mit Ton findet sie zu ihrer künftig bevorzugten Form der Gesichtsdarstellung: als Halbporträt, leicht von der Seite, dadurch gelängt und schematisch, immer aber ausdrucksstark und eigen. In Deutschland setzt sie ihre künstlerische Arbeit zunächst mit Wellpappe fort, welche zwar Volumen erzeugt, aber doch geschnitten werden muss. Ende der 1980er Jahre wechselt sie zum Papier und zum händischen und damit subjektiven, minutiös gestischen Zugriff im sorgsamen Reißen, mit dem sie ihre Figurendarstellungen (die anfänglich farbig gefasst sind) sozusagen beseelt. Um weitere Stabilität zu erlangen, verleimt sie mehrere Bögen. Sie gibt den Menschen als Haupt oder als Büste, den Kopf im Nacken oder nach vorne gebeugt, als Ganzfigur oder als flirrende Stele ineinander verschränkter Fetzen wieder, mitunter auf einem monochromen Sockel oder unter einem halbrunden Laborglas geschützt, umso mehr verbunden mit der Einladung zum Sehen von allen Seiten. Die Darstellung von Wimpern mit Papier wird bei ihr zum plastischen Ereignis. Daneben hat sie Tiere im Maßstab 1:1 geschaffen, eine Katze oder einen Wolf, deren Fell durch das aufgerissene Papier erst recht simuliert wird, und sie versteht diese Darstellungen ebenfalls als Porträts. Immer besitzen ihre Skulpturen Individualität und sind häufig noch mit Namen betitelt.
Eine Serie fast lebensgroßer Porträt-Reliefs, bei denen aus fotografischen Abbildungen das Haupt oder Gliedmaßen in den Raum hinein vorgesetzt sind, widmet sich in stiller Empathie „entarteten“ Komponisten in Deutschland in den späten 1930er Jahren und vermittelt eine psychische Anspannung und die Fragilität angesichts der Bedrohungslage (1999). In einer gänzlich anderen, nun weiter subjektiven Werkgruppe, kombiniert sie kleine plastische Akte mit Liebesbriefen, die unter ihnen wie ein Bettlaken ausgebreitet sind (2003). Sodann wendet sie sich populären Science-Fiction-Comics und deren zeichnerischem Vokabular zu, welche die Raumfahrt zwischen Realität und Utopie beschreiben, und fügt den reliefartig plastischen Erhebungen affirmativ Text hinzu (2004). Sie erstellt persönliche Porträts mit aufgeworfenen Oberflächen aus Blattgold und setzt sie auf gerissene weiße Papiergründe (2015). Und sie schafft, eingefasst in einen Kastenrahmen, äußerst reduzierte Porträts rein mit dem Weiß und den versetzten Risslinien und Überschneidungen, die sich zwischen Wachsein und Schlafen verhalten und ein konzentriertes Verinnerlichen verkörpern (2019) – und zu jeder dieser Werkgruppen gäbe es viel mehr zu sagen.
In den 1990er und 2000er Jahren hat Petra Ellert als Dozentin für plastisches Gestalten an der Sommerakademie Paderborn unterrichtet. Sie war Gastkünstlerin an der Hochschule für Musik in Weimar und hat dort Kostüme und Bühnenbilder entworfen. Daneben und neben der eigenen Ausstellungstätigkeit hat sie selbst Ausstellungen kuratiert, etwa eine Reihe mit Kollegen in der Basilika St. Lambertus. Etliche eigenen Ausstellungen fanden ebenfalls in Kirchen statt. Die Dunkelheit und die damit verbundene spirituelle Durchdringung, aber auch schon die Erscheinungsweisen von Licht und Schatten haben sie zur Arbeit mit Kunstlicht geführt. Petra Ellert hat Lichtinstallationen an Fassaden und im Innenraum öffentlicher Gebäude geschaffen. Sie hat mit Strahlern Schattentheater entwickelt und LED-Kabel mit unterschiedlichen Konnotationen über einzelne ihrer Figuren aus Papier gelegt oder sie mit diesen umhüllt. Das Licht blinkt oder leuchtet konstant und scheint mit zunehmender Dämmerung allmählich heller zu werden. Auch bei diesen Werken deutet sich die Theatralik an, mit der sie sich bei ihren Bühnenbildern auseinandergesetzt hat. Und dann wirken alle ihre Figuren vital, in Aktivität begriffen als Momentaufnahmen im Übergang. Aber zeigte Petra Ellert anfänglich eine „Gruppe in Bewegung“ bzw. „Körper in Bewegung“ (1988 bzw. 1989) aus nacheinander Schreitenden, so rückt sie in jüngster Zeit die Figuren zusammen und vereinigt sie wie inniger Umarmung und im Tanz. Ein Schlüsselwerk auf dem Weg dahin ist das raumgreifende Figurenensemble „Tod“ (2000), das sie 2017 in den Flottmann-Hallen Herne ausgestellt hat. Die Skulpturengruppe geht von Michelangelos Marmorskulptur der Pietà mit seiner Darstellung des Trauerns nach der Kreuzabnahme, des Todes und der Beziehung zwischen Mutter und Sohn aus. Petra Ellert setzt in ihrer zeitgenössischen Interpretation Maria auf einen Bürostuhl und repetiert die Szene – als fotografische Reproduktion und mit Papier in plastischer Raffung etwa des Faltenwurfes – sechzehn Mal mit der ausgesparten weißen Körperform auf dem Schoß, angeordnet als geschlossenes Oval. In dessen Mitte liegt die fotografische Form von Michelangelos Jesus auf einer Bahre entsprechend sechzehn Mal übereinander. Die Stuhllehnen, die die Szene in der Gegenwart verorten, halten das Publikum auf Abstand: Wir sind Zuschauer eines Dramas, das von der Welt, in der wir leben, handelt.
Petra Ellert und Mario Reis
ab 13. Juni in der Galerie H1 - Buch & Kunst, Hermann-Geisen-Str. 1, 56203 Höhr-Grenzhausen/Westerwald, info@ha-eins.de
Eröffnung am Freitag, 13. Juni, um 18 Uhr.
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