Die Zeit steht still. Die fotografischen Bilder von Axel Hütte sind nichts für das schnelle Sehen. So verführerisch, üppig und farblich brillant diese Aufnahmen von Natur, Landschaft und Stadtpanoramen auch wirken, so rigoros und distanziert sind sie doch. Sie entziehen sich der Vereinnahmung durch das Sehen. Die klassischen Wahrnehmungsstrategien sind ausgehebelt, eine kalkulierte Hermetik tritt in Kraft. Vorder- und Mittelgrund verbarrikadieren den Blick in die Tiefe. Vielleicht ermöglicht die Vereinzelung von Baumstämmen ein visuelles Vortasten, das jedoch im nebelverhangenen oder sich schließenden Mittelgrund stecken bleibt. Andere Fotografien fokussieren als Vordergrund flächig überkreuzende Diagonalen von Brückengeländern. Von der plakativen verneinenden Dominanz werden sie zur rhythmisierenden Ordnung, die nun selbst, als künstlich-industrieller Schnitt, ein Thema ist. Einige Darstellungen der reinen Natur scheinen auf dem Kopf zu stehen – tun sie das? Dann wiederum lässt sich das horizontale Verschwimmen vertikal langgestreckten Geästs als Spiegelung auf einer Wasserfläche entziffern und verliert doch nichts von seinem Geheimnis. Axel Hütte geht der Organisation der Natur und dem Reichtum ihrer Phänomene nach. Oft bleiben die Dimensionen unklar. Unter einem massig von oben lastenden Felsvorsprung, der mit seinen herab wuchernden Vegetationen wie ein geöffneter Schlund wirkt, schlängelt sich ein Pfad durch eine abenteuerliche, halb verschattete Steinlandschaft und mündet in einem lichten, von schlanken grünen Ästen aufgefangenen Himmel: Als müsse man erst durch die Düsternis um in der paradiesischen Freiheit anzukommen. Und ebenso wie die Erwartung an die vertraute Zentralperspektive in diesen Bildern unterlaufen wird, so ist auch der Kamerastandpunkt kaum auszumachen. Dabei ist das fotografische Bild mit seiner Ausschnitthaftigkeit genau komponiert. Schließlich geht es Axel Hütte darum, selbst den inneren Zusammenhalt der Orte zu begreifen und das Zusammenwirken der Strukturen der Natur zu verdeutlichen. Die klimatische Verfasstheit, die Temperierungen mit ihren Erhitzungen und Abkühlungen kehren im Bild wieder.
Axel Hütte, der 1951 in Essen geboren wurde und heute in Düsseldorf und Berlin lebt, setzt mit seinen Fotografien die lange kunstgeschichtliche Tradition der Landschaftsdarstellung fort unter den Prämissen seines zeitgenössischen Mediums, der Fotografie. Seine Aufnahmen entstehen analog, mit einer Plattenkamera, oft mit langer Belichtungszeit. Hütte reist für seine Fotografien um die ganze Welt, oft an unwirtliche, schwer zugängliche Orte. Seine Aufnahmen sind sublim, erhaben, auratisch. Sie verweisen auf nichts außer sich, denken aber ihre Traditionen mit. „Man kann mich detailliert über Renaissance und Romantik befragen“, sagt Axel Hütte und spricht damit Fragen der Perspektive und der Transzendenz des Landschaftlichen an. So gibt es einzelne Fotografien, die mit ihrem niederen Horizont und dem Ausblick in eine entleerte Ferne an Caspar David Friedrich erinnern könnten. „Das Eismeer“ zum Beispiel findet auf formaler Ebene seinen Nachhall in einer ganz neuen Bildfolge, die Axel Hütte in der Antarktis aufgenommen hat. Mit ihren einzelnen, sehr unterschiedlichen Bildern demonstriert Hütte neben der Wesenhaftigkeit und dem fernen Entschwinden der weißen Schollen das Verhältnis von See und Himmel unter verschiedenen Lichtverhältnissen, auch als Gliederungsprinzip der Bilder. Der Klimawandel klingt als Thema an.
Immer vermitteln Hüttes Bilder ihren Ort in deutlicher Präsenz. Das gilt auch für seine Ansichten von Metropolen bei Nacht, die sich mittels Lichtern, Lichtfeldern und Konturen definieren. Sie setzen sich in den beiden Videos fort, die in der Düsseldorfer Ausstellung zu sehen sind. Diese weisen auf Hüttes experimentelle Suche nach den angemessenen Mitteln, wie sie auch in den unterschiedlichen Print-Verfahren zum Ausdruck kommt. Und sie teilen auf der biografischen Ebene mit, dass Axel Hütte an der Kunstakademie Düsseldorf zunächst Film studiert hat, ehe er in die Fotoklasse von Bernd und Hilla Becher gewechselt ist. Vor allem die Künstler ihrer ersten Generation, zu der er gehört, werden unter dem Terminus „Neue Düsseldorfer Fotoschule“ international gefeiert. Und auch wenn jeder der Fotografen seinen Stil besitzt, so gibt es doch Gemeinsamkeiten, die bereits das fotografische Werk der Bechers kennzeichnen. Das betrifft im besonderen das exakte typologische Sehen, den Aufnahmestandpunkt aus der überschauenden Distanz, den Verzicht auf den Menschen, die vermeintliche Anonymität der Aufnahme.
Also um so besser, dass Axel Hüttes frühe Fotografien von 1978 bis 1995 derzeit im Museum Quadrat Bottrop zu sehen sind. Vorrangige Sujets sind das Porträt und die italienische Landschaft, und zwar in Verbindung mit der antiken Architektur. Diese „erdet“ die Natur mit ihrem niedrigen Horizont, tritt ihrerseits aber unwirsch von ihrer nüchternen Seite auf, etwa als Mauerwerk, das vom Rand aus kantig in die Landschaft schneidet. Oder bogenförmige Durchgänge leiten das Sehen und steuern so die Bildtiefe. Klaus Heinrich Kohrs beschreibt in einem frühen Text, „welche Überblendungen von Mustern stattfanden, bis die ‚Gewalt des Bildschemas‘ sich der Natur öffnete und damit eine neue Freiheit erlangte, bis die ‚ideale Landschaft‘ auf ihre gegenwärtigen Erscheinungsbedingungen reduziert war und bis […] der Vorschein eines neuen Heroismus der Landschaft erreicht war.“ (Kat. Karl Schmidt-Rottluff Stipendium, Düsseldorf 1989). Also, schon da, in den frühen Bildern, spürt Hütte dem locus amoenus nach – auch wenn sich dieser in den heutigen Bildern in sprachlosen kollektiven Erinnerungen konkretisiert: als Wunsch nach der vollkommenen Schönheit, die aber doch immer ihre Gefährdung und ihre Unerreichbarkeit in sich birgt.
Axel Hütte
Night and Day, bis 14. Januar im Museum Kunstpalast, Kulturzentrum Ehrenhof in Düsseldorf.
Außerdem: Axel Hütte. Frühwerk,
bis 7. Januar im Josef Albers Museum. Quadrat Bottrop.
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