Mittlerweile überschneiden sich die Ereignisse. Nachdem Jeehye Song im vergangenen Jahr zu vier Einzelausstellungen – in Galerien in Köln, Neapel und Seoul, dazu, anlässlich der Verleihung des Friedrich-Vordemberge-Stipendiums, in der Artothek in Köln – eingeladen war, beginnt das neue Jahr mit ihrer Intervention im Parkhaus der Kunsthalle Düsseldorf sowie einer Soloausstellung in London. Mit der Installation im Parkhaus, die sie während der Laufzeit noch weiter entwickeln wird, begibt sie sich auf Neuland. Erstmals hat sie figurative Skulpturen, also dreidimensionale Gestalten, aus Gips geschaffen, mit denen sie aber ganz direkt an ihre figürliche Malerei anschließt: im Sujet, aber auch in den Abweichungen der Maße und Proportionen – ist das noch Realismus oder Surrealismus oder überwiegt doch schon die Abstraktion des Absurden?
Jeehye Song wurde 1991 in Seoul geboren. Nach einem dortigen Studium der Metallkunst und des Design ist sie 2015 an die Kunstakademie Düsseldorf und in die freie Kunst gewechselt. Sie hat bei Stefan Kürten und Andreas Schulze studiert und bei diesem 2021 als Meisterschülerin abgeschlossen. Zu ihrem jetzigen Stil, den Motiven und ihrer Darstellungsweise, hat sie in den letzten Jahren gefunden. Die Malerei selbst entsteht schnell, mit Acryl auf Leinwand.
Anschließend legt Jeehye Song die Bilder im Atelier in Flingern längere Zeit beiseite und prüft sie dann, mit Abstand, neu. Den Duktus kennzeichnet noch das Spontane, das, wie im Rausch gesehen, als plötzlicher Einfall und Bildlösung im Skizzenbuch notiert ist. Meist befindet sich eine Figur – eine einzige Figur – im Interieur und wenn sie selbst nicht zu sehen ist, dann weisen Kleidungsstücke oder Alltagsgegenstände auf sie und markieren einen eng gefassten, privat konnotierten Raum: ein Bade- oder Schlafzimmer oder den Balkon. So sind persönliche und mithin belanglos scheinende Handlungen zu sehen, das Zähneputzen oder das Rauchen etwa, wiedergegeben in sorgfältiger Erfassung. Aber irgendwie stimmt vieles in diesen kalkulierten Malereien gerade nicht, zu dem Offenkundigen kommen einzelne Abweichungen in der Nuance, trotz oder gerade wegen der spannungsvollen Perspektiven, der räumlichen Intensivierung durch die merkwürdige Haltung der Figuren, ja, Biegung der Körperglieder und wie in einem engen Käfig, in dem sie sich nur noch steif dehnen können und an ihre Grenzen geraten. Dazu sind die Übergänge der Extremitäten mitunter fließend, einzelne Glieder sind gelängt, so dass die Proportionen verzerrt und die Körper deformiert sind. Unterstützt durch absurde Köpfe, die auch an Tiere erinnern können, besitzen sie insgesamt das flächig Skurrile eines Comics und muten doch, auflebend im Inkarnat, wie eine dreidimensionale Animation an. Einzelne Körperpartien stemmen sich regelrecht in die Wand, verschwinden in dieser und scheinen so die Enge des Raumes und ihre (selbstgewählte?) Isolation aufzubrechen, nehmen Kontakt nach außen auf und bleiben doch bei sich oder tauchen umgekehrt aus einer Wasserfläche auf oder ragen vom Bildrand hinein: Die Wände werden zu Membranen des tastenden Austauschs.
Selbst ein Einkaufswagen wird zum Gefängnis, in dem sich ein monströser Fleischklumpen als mögliche Deformation eines menschlichen Körpers befindet, auf dem Haupt ein Papierschiffchen, und man weiß nicht, ob er das Produkt oder der Konsument selbst ist. Andererseits wird der Wagen von langen schlaffen Armen am Bildrand geschoben. Der Surrealismus erweist sich als grausam reale, genaueste Beobachtung unserer Umwelt und unserer Gewohnheiten, das geht mit sanftem, aber auch schmerzlich beißendem Humor einher. Unterstützt ist dies durch die Direktheit und Dominanz des Körpers, umfangen von der atmosphärischen Verdichtung aus Kargheit, Enge und Neonlicht mit großen und kleinen Schatten, die exakt vermessen und dann wieder leicht verrückt sind. Ein Stück Wirklichkeit wird zum Traum, dazu trägt noch der Rauch mit seinen Schwaden bei und erinnert ebenso an Sprechblasen, die freilich leer bleiben. Dann wieder scheint der Rauch an und in den Wänden zu kleben. Er steht für ein Gefühl der Freiheit und andererseits für Schmutz und Gefährdung.
Jeehye Song erzählt Geschichten aus unserem Alltag, verdichtet diese aufs äußerste, treibt sie auf die Spitze und macht so das Unerträgliche erträglich. Sie selbst spricht von einer „wohlfühlenden Dystopie“, und auch wenn sie die Konzeption ihrer Malerei schon vor der Corona-Pandemie und all den globalen Bedrohungen und Hysterien dieser Tage entwickelt hat, so passen sie doch erschreckend hierher, schon in der Unmöglichkeit, den privaten Raum zu verlassen. Ihre Bilder zeigen, wie wir uns in inneren und äußeren Krisenzeiten verhalten, dazu zwischen dem Rückzug ins häusliche Schneckenhaus und der Euphorie des möglichen Ausbruchs einrichten, wortwörtlich im Kreis drehen und trotz allem und mit allem am Leben festhalten.
Jeehye Song:
27.1.-23.4. im Parkhaus Kunsthalle Düsseldorf;
sowie ab 1.2. Artistellar Gallery in London
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