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Ansichten des Outlaws

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

T. C. Boyle hat seit langem, spätestens seit seinem Roman „Grün ist die Hoffnung“ (1984), ein Faible für neurotische Kreaturen, seine Figuren definieren sich durch ihre Verschrobenheiten, ihre Spleens, ihr nachhaltiges Anderssein. Irgendwie fühlt man sich als Leser trotzdem, zumindest ein Stück weit, auf ihrer Seite, mag man noch so sehr den Kopf schütteln über ihre seltsamen Volten, ihre verdrehten Reaktionen. In „Hart auf Hart“, seinem neuesten Roman, ist es nicht anders. Immer wieder aber, wenn Außenseiter bzw. Andersdenkende auf Konfrontation gehen mit den „braven“ Bürgern und sich in der direkten Auseinandersetzung zu profilieren suchen, prallen nicht nur ideologisch Welten aufeinander, das Ganze kann auch rasch zu einer Frage von Leben und Tod werden.
Sara, eine vierzigjährige Frau und politisch agitierende Hardlinerin, die berserkerhaft Polizisten beschimpft und gegen das „faschistische Schweinesystem“ wettert, nimmt irgendwo unterwegs einen Anhalter mit, einen gewissen Adam. Der ist deutlich jünger als sie, vielleicht Mitte zwanzig, sein ganzes Outfit signalisiert bereits: Ich bin anders als ihr. Mit seiner Attitüde aber gefällt er Sara, im Grunde sind sie beide soziale Außenseiter. Sie kommen sich näher, die sich abzeichnende Liaison wird sich am Ende aber als Missverständnis herausstellen. Zu Beginn weiß sie auch noch nicht, was für einen Vogel sie sich da eingefangen hat, denn Adam ist jemand, der alle Begriffe von Vernunft oder Angemessenheit pulverisiert, der Mann hat, in einem Wort, einfach nicht mehr alle Latten am Zaun und sieht überall Aliens.
Dabei meint er es ernst. Adams Vorbild ist ein gewisser John Colter, ein Mann, der im 18. Jahrhundert barfüßig die amerikanischen Wälder durchstreifte, sich mit Indianern anlegte und mit der Zeit völlig verwilderte. Adam hat nun den Namen seines Alter Ego angenommen, ständig raunt er jedem zu: „Nenn mich Colter!“
Anders als Sara, die sich an den Realitäten reibt, dabei aber durch ihre Wut und Kritik noch ansatzweise auf gesellschaftliche Veränderung spekuliert, kann bei Adam von einer solidarischen Sensibilisierung überhaupt keine Rede mehr sein: Für ihn dreht sich alles um seine anarchisch ausgelebte Freiheit in den Wäldern, er ist allenfalls mit einer Überlebensstrategie ausgestattet, die sich brachial an der Befriedigung elementarster Bedürfnisse orientiert – von Hunger, Durst, Sex.
Colter bzw. Adam wähnt sich außerhalb jedweden Gesetzes, seine Knarre hat er immer dabei, und wenn nötig, benutzt er sie auch: ein Mann, der ihn in seiner Opiumplantage überrascht, erschießt er, und es ist erst einmal bezeichnend und ein schöner Nebenplot, dass in der Frage, wer der Täter ist, die ganze dörfliche Gemeinschaft sich wohlfeile Sündenböcke heranzieht: das waren bestimmt die Mexikaner, die zuvor in den Wäldern gesichtet wurden, heißt es. Die Zeichen stehen lange Zeit auf Konfrontation zwischen den Lagern, bis die rassistisch unterfütterte These nicht mehr haltbar ist und alles sich auf Adam fokussiert. Die Schlinge um seinen Hals zieht sich weiter zu. Denn archaisch und unerbittlich ist eben auch das Gesetz des Stärkeren, das gemacht ist, die Störenfriede sämtlicher Couleur zu bändigen und gegebenenfalls auszuschalten.
Es gibt eine Reihe von Nebensträngen, die aus Platzgründen hier unerwähnt bleiben müssen. Boyle verpackt seine Zivilisationskritik in eine solide Außenseitergeschichte, die nicht darauf spekuliert, hohe Literatur sein zu wollen, sondern einfach auf gutem Niveau unterhalten will. Boyle ist selbst der beste Garant dafür, dass das funktioniert.

T. C. Boyle: Hart auf Hart. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. C. Hanser Verlag, München 2015, 396 S., 22.90 € 

aus biograph 10/2015

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