Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
28 29 30 31 1 2 3
4 5 6 7 8 9 10

12.606 Beiträge zu
3.829 Filmen im Forum

Kein Geld, kein Feuer

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Von dem einen oder anderen Krimi–Autor einmal abgesehen, kennen Schriftsteller aus Island hierzulande wohl nur die Wenigsten. Deshalb mal kurz in den Raum gefragt: Hat irgendjemand schon mal von Ásta Sigurðardóttir (1930–1971) gehört? Nun, ging mir bis vor kurzem genauso.
Sigurðardóttir, soviel zu ihrer Biografie, wuchs als sogenanntes „Mädchen vom Land“ in ärmlichen Verhältnissen auf, holte Schule und Abitur in Reykjavík nach, vollendete eine Lehrerausbildung, verdingte sich aufgrund finanzieller Probleme indes auch als Aktmodell, wurde mehrfach schwanger und verfiel schließlich dem Alkohol. Eine durchweg triste Biografie also, die sich auch in den vorliegenden dreizehn Erzählungen hinreichend spiegelt. Mögen sie im ersten Moment etwas schlicht daherkommen, entwickeln sie alle einen unterschwelligen poetischen Sog. Fast immer präsentieren sich vereinsamte Kreaturen, die in ihrem Erscheinungsbild auch das sozial reduzierte Inselleben ein Stück weit mitspiegeln. Von romantischer Beschönigung kann jedenfalls keine Rede sein.
Man nehme „Die Straße im Regen“, ein leises Capriccio mit dem Auftritt eines verschrobenen Typen, wie einem Film Aki Kaurismäkis entsprungen. Zunächst sehen wir eine junge, verwahrlost erscheinende Frau, die durch die Stadt irrt und nun an ihn, einen „Säufer“, gerät; der setzt sich zu ihr auf eine Bank, reicht ihr eine Zigarette, bittet sie aber postwendend um Geld – das sie nicht hat, was sie zerknirscht einräumen muss; ja, sie schämt sich sogar, „dass sie für diesen großzügigen Mann nicht einmal einen Fünfer übrig hatte“. Und so hadert sie, kämpft mit ihren Skrupeln und ihrer ganzen Minderwertigkeit. Man mag hier (und auch anderswo in den Erzählungen) an einzelne Geschichten Emmanuel Boves erinnert sein, an diese traurigen Leidensathleten, die so wenig auf die Kette bekommen, gleichzeitig aber stilvoll vor sich hin greinen; bei Sigurðardóttir heißt es in einem ähnlichen Tonfall etwa: „Wie tragisch, dass alle gut zu mir sein wollten, wenn ich es gar nicht brauchte“.
Auffällig türmen sich harmlose Irritationen des Alltags zu einem ganzen Konfliktgebirge – wie in der Titelgeschichte, wo sich eine Frau mit einem (nur für sie) existenziellen Problem konfrontiert sieht: Sie hat kein einziges Streichholz mehr für ihre Zigaretten, das Kiosk hat zu, der Toaster zu Hause ist defekt, die Herdplatte kommt nicht in Frage. Um an Feuer zu gelangen, versucht sie nun, auf der Straße ein Auto anzuhalten – doch alle, darunter die Polizei, fahren einfach weiter. Endlich hält jemand an. Eine elegante, indes höchst undurchsichtige Frau, vermutlich auf Drogen, beschimpft die Anhalterin, nachdem diese ihre Avancen, bei ihr einzusteigen, abgelehnt hat: Sie wolle in Wahrheit gar keine Streichhölzer, behauptet sie, sondern sei nur auf einen Mann aus, „Nichts als Geilheit!“, poltert sie, ohrfeigt sie noch und fährt davon.
Oftmals scheitern vulnerable Frauen, die überdies häufig schwanger (wie in: „In welchem Wagen“, „Königslilien“) und/oder einem grundlosem männlichem Sadismus ausgesetzt sind (wie in: „Der Traum“, „Eine Tiergeschichte“) an ihren minimalsten Eigenansprüchen; zudem setzt eine unwirtliche Natur allen gleich zu („Lammzeit“, „Frostregen“). Selbst eine jähe, fast schon verzweifelt erscheinende Gottesfürchtigkeit verspricht keinen Trost, mag die Hauptfigur ihr Schicksal noch so sehr an eine höhere Macht gebunden sehen. Doch umsonst, von „dort oben“ her ist keine Hilfe zu erwarten. Andererseits gilt: Nur willfähriges Opfer sein, das wollen Sigurðardóttirs Antiheldinnen auch nicht. Was ihnen letztlich bleibt, ist der trotzige Rest ihrer Authentizität.
Ásta Sigurðardóttir: Streichhölzer. Erzählungen. Aus dem Isländischen von Tina Flecken. Guggolz Verlag, Berlin 2025, 221 S., 24.-€

aus biograph 08/2025

Neue Kinofilme

Die nackte Kanone

Literatur und Vorträge.