Elena sagt spontan zu, als sie von einem Kollegen in ihrer Agentur die Option auf einen dreiwöchigen Aufenthalt in einem Haus mit Garten und Swimmingpool an der südfranzösischen Atlantikküste erhält. Sie ist nicht das erste Mal dort, kennt sich aus in der Gegend. Ihr Mann Kolja bleibt aus diffusen Termingründen zurück, ihre Kinder, der kleine Rinus und die heftig pubertierende 13–jährige Linn sind aber samt ihrer Freundin mit von der Partie. Vor allem ist Eve dabei, die hauseigene Nanny (man erahnt spätestens hier einen großbürgerlichen Hintergrund), die sich auch in der Urlaubsfremde um alles kümmern soll; sie erweist sich bald als Elenas Kontrahentin, denn sie kultiviert einen pointiert anderen Blick auf die Dinge.
Ständig alternierend zwischen Elenas und Eves Äußerungen und Sichtweisen (es wirkt wie ein gedoppeltes Tagebuch) wird man als Leser Zeuge einer mit allerlei psychologischen Untiefen ausgestatteten Gemengelage, eine, die sich nicht nur nicht auflösen will, sondern deren bedrückenden Dimensionen allmählich deutlicher in Erscheinung treten. Dabei trägt insbesondere Elena allerlei Probleme mit sich herum. Immer klarer wird ein komplexes Beziehungsgeflecht, bei dem die Konflikte freilich mehr angedeutet als explizit ausgesprochen werden. Wesentliche Dinge aus der jeweiligen Vergangenheit zeigen sich nebenher, etwa, dass Eves Mann im Knast sitzt, dass Elena ein Alkoholproblem hat, von dem auch ihre Kinder wissen. Elenas Ehe mit Kolja befindet sich kurz vor dem Aus – oder ist aufgrund wechselseitiger Resignation vielleicht auch schon „gerettet“: „Wir werden uns in diesem Sommer trennen oder für alle Zeit zusammenbleiben.“ Dabei weiß auch sie: ohne ihn wäre sie obdachlos. Und Linn fragt vorsorglich gleich mal nach: „Wenn ihr euch trennt, kann ich dann zu Kolja ziehen?“
Trotz eines schmucken Sommerambientes also eine eher unbehagliche Konstellation. Elenas Verhältnis zu ihren Kindern wirkt seltsam unterkühlt, da hilft es nichts, wenn sie sagt: „Ich habe nichts außer diesen Kindern (…), nichts, was ich außer ihnen vorweisen könnte.“ Angestrengt wirkt ihr Versuch, eine Fassade der Souveränität aufrecht zu erhalten, da diese schon bröckelt, wenn äußere Umstände (ein sich ausbreitender Waldbrand in der Gegend; ein zugelaufener Hund, der aufgenommen wird, dann aber wieder wegläuft; Linns jähes Verschwinden eine ganze Nacht über) ihrem gebeuteltem Nervenkostüm erkennbar zusetzen. Es irritiert, dass Elena ihr warum–auch–immer–gestörtes Verhältnis zu ihrer Tochter nicht in den Griff bekommt; an einer Stelle bezeichnet sie sie als ein „hässliches Kind“. Man erfährt nicht, was eine Mutter zu dieser harschen Aussage bringt.
Die Atmosphäre in diesem Soziotop bleibt undurchsichtig. In das fragile Sommergefüge gelangt vollkommen überraschend nun noch ein Deutscher, Franz, der wie ein Eindringling wirkt und zur weiteren Verunsicherung beizutragen scheint. Er habe vom Hauseigentümer die Erlaubnis erhalten, ein paar Tage zu bleiben, erklärt er lapidar. Doch der Eindruck täuscht ohnehin: Franz bringt sich gut ein, kocht und werkelt im Haus, erweist sich als integrer Typ. Im Grunde ist er der Einzige, der authentisch ist und auch keine verdeckten Altlasten mit sich herumträgt. Elena verliebt sich in ihn, Eve indessen auch. Wie geht es aus? Sollten sich all die versteckten Konflikte mit diesem Deus ex Machina wunderbarerweise in Luft auflösen? Nina Bussmann hält die Sache souverän am Köcheln, bringt, wenn Zuordnungen zu eindeutig werden, alles wieder in die Schwebe und hält die Geschichte in einer subtil–spannenden Uneindeutigkeit.
Nina Bussmann: Drei Wochen im August. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025, 318 S., 25.-€
aus biograph 09/2025
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