Maria Leitner taucht in keiner Literaturgeschichte auf, in keiner Anthologie, sie zählt zu den großen Vergessenen des deutschsprachigen Literaturbetriebs. Daten zu Leben und Werk lassen sich am leichtesten aus dem Nachwort von Katharina Prager entnehmen, das dem vorliegenden Roman dankenswerterweise angefügt ist, man sollte es vorab lesen. Maria Leitner war österreichisch–ungarischer Herkunft, wurde 1892 im heutigen Kroatien geboren, lebte nach vielen Reisen rund um den Globus in Berlin und Paris und starb 1942 in einer Psychiatrie in Marseille, wo sie elendig verhungerte; das Schiff, das sie nach Amerika bringen sollte, erreichte sie nicht mehr. Insbesondere in den frühen 30er–Jahren war sie als Reporterin und Journalistin tätig – und verfasste zudem Erzählungen und Romane. Ihre Bücher wurden von den Nazis verbrannt, zu eindeutig hatte sie sich, insbesondere in ihren Reportagen, einem radikal–politischen Engagement verschrieben und auch früh auf die Kriegsvorbereitungen in Deutschland hingewiesen. Bei ihren Recherchen sprach sie etwa mit Vertretern der IG Farben, verantwortlich für die Herstellung von Zyklon B. Kurzum: eine Frau, die sich früh und zeitlebens kritisch mit dem Zeitgeist und dessen kruden Erscheinungsformen auseinandergesetzt hat.
„Hotel Amerika“ ist ihr erster Roman, er erschien 1930 und beruht auf ihren Erfahrungen in den USA. Zu Anfang werden uns diverse Angestellte in einem New Yorker Hotel vorgestellt, darunter Shirley, die dort bereits seit sechs Jahren als Wäscherin arbeitet und nun ihren letzten Tag hat. Ihre Arbeit steht exemplarisch für die unterbezahlten Jobs, die die Frauen, aus allen Herren Länder hier zusammentreffend, ausüben, sie verdingen sich als Scheuerfrauen, Stubenmädchen, Kartoffelschälerinnen. Ständig wird die Diskrepanz erfahrbar zwischen der elendigen Arbeit, den finanziellen Nöten einerseits und dem geradezu zur Schau gestellten Überfluss andererseits, was sich zumeist in der üppig ausstaffierten Präsenz der Hotelgäste ausdrückt, die sich pompös bedienen lassen und den einfachen Frauen gerne auch ihr snobistisches Distinktionsverhalten unter die Nase reiben (eine ältere Lady etwa leistet sich auf ihrem Zimmer einen Mini–Urwald mit Palmen, einem Affen und einem Papagei, verlangt indes von Célestine, ihrem „Stubenmädchen“, sie solle gefälligst nicht so viel Seife beim Putzen verschwenden). Immerhin zeigt sich in dem Alltag dieser Frauen eine zwar diffuse, aber doch intakte Solidarität, gegen die allseitige Ausbeutung treten sie erstaunlich selbstbewusst auf. Geschlechtertrennung und Segregation findet sich freilich in allen Nischen: „Männer und Frauen essen in getrennten Räumen, die Neger [sic] werden nicht mit den Weißen vermischt.“ Das Einheitsessen besteht aus wurmstichigen Pellkartoffeln („Die gebratenen Tauben fliegen nur den Satten in den Mund“), und als das einmal lautstark moniert wird und ein Aufstand droht, versucht ein herbeigerufener Direktor, die Frauen mit wohlfeilen Versprechungen bei der Stange zu halten.
Der Roman beschreibt einen einzigen Tag in besagtem Hotel mit einer Hochzeit im Ballsaal als Höhepunkt. Als es so weit ist, prallen die Gegensätze abermals aufeinander, nur die junge Braut lebt weiter in ihrem Kokon aus „Überfluss, Luxus, Sorglosigkeit“, inmitten eines Tableaus aus tropischen Pflanzen, Orchideen, Schmetterlingen. Unversehens proben die Kellner den Aufstand, und die Chefs haben alle Hände voll zu tun, um Aufsehen zu vermeiden; schließlich aber werden auch diese Angestellten nur mit kleinen Zugeständnissen abgespeist. Das hieratische System erweist sich als robust, was Maria Leitner nicht dazu verleitet, dies resignativ abzuhaken. Die Frau ist eine Überraschung, ja eine Entdeckung, und wir freuen uns auf weitere Publikationen in naher Zeit.
Maria Leitner: Hotel Amerika. Roman. Reclam Verlag, Stuttgart 2024, 254 S., 25.-€
aus biograph 09/2024
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