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Alles auf Rache

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Wenn man sich an die früheren, auch an dieser Stelle bereits vorgestellten Romane David Vanns erinnert, dann fallen einem Bilder schierer Gewalt ein, jähe Hassausbrüche, tödliche Konfrontationen, die scheinbar aus dem Nichts zu kommen scheinen. Vann hat in seinen Romanen immerzu auf einer besonderen Klaviatur des Exzesses gespielt. Ganz anders kommt, zumindest auf den ersten Blick, sein neuer Roman „Aquarium“ daher, alles wirkt da zu Anfang genauso harmlos, milde und freundlich wie es der Titel suggeriert.
Die Ich–Erzählerin, die 12–jährige Caitlin, verbringt ihre Nachmittage nach der Schule im Großaquarium von Seattle, wo sie darauf wartet, von ihrer Mutter abgeholt zu werden. Sie interessiert sich für die vielen Fische dort und kennt sich auch gut aus in der Materie. Was auch einem älteren Herrn auffällt, mit dem sie sich bald intensiv unterhält und den sie auch immer wieder trifft. Als Leser hat man aber zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, der Mann hege andere Absichten als eben ein paar nette vertiefende Gespräche, alles sieht nach einer Art Opa–Enkelin–Symbiose aus. Als Caitlins Mutter Sheri von den nachmittaglichen Treffen ihrer Tochter Wind bekommt, vermutet sie sofort einen potentiellen Kinderschänder dahinter und benachrichtigt die  Polizei. Die kommt auch, hält sich aber in Mutmaßungen zurück – Familienangelegenheit, heißt es, und danach sieht es tatsächlich zunächst auch aus.
Wie sich nämlich herausstellt, ist der ältere Herr niemand anders als Sheris lange verschwundener Vater bzw. Caitlins Großvater. Man erfährt: Noch bevor seine Frau, Sheris Mutter, gestorben war, hatte der sich aus dem Staub gemacht, Sheri hatte ihre sterbenskranke Mutter jahrelang allein pflegen müssen, hatte, was sie jetzt nicht müde wird zu beklagen, nie ein eigenes Leben führen können und fühlt sich um ihre besten Jahre betrogen. Hier nimmt der Roman deutlich an Fahrt auf. Sheri wandelt sich jetzt, da ihr Vater leibhaftig vor ihr steht, zu einer Furie aus Hass und Zorn, unglaublich die Heftigkeit, die sich aus ihrer lange aufgestauten Wut entlädt, u.a. zertrümmert sie mal eben seinen Wagen und fordert ansonsten brutalstmögliche Kompensation; ziemlich überraschend lässt ein zerknirschter, zutiefst reuevoller Vater alles mit sich geschehen, geht auf alle Forderungen ein. Sheri nutzt diese Schwäche, diktiert ihm ihre Bedingungen, stellt massive Geldforderungen in den Raum, doch auch Tochter Caitlin soll erfahren, was es heißt, jemanden, der sich nicht mehr bewegen konnte, der etwa seinen Stuhlgang nicht mehr kontrollieren konnte, über Jahre zu pflegen.
Sheris überantwortet sich nur noch ihrem pathologischen Wahn, womit sie alle um sich herum, nicht zuletzt ihre Tochter, in eine höchst schwierige Situation bringt. Es kommt zu kruden, sehr drastischen Szenen von geradezu alttestamentarischer Wucht. Ein ähnlich traumatisches Szenario hatte Vann übrigens schon einmal in aller Konsequenz durchgespielt – in seinem Roman „Dreck“ (biograph 9/2013).
Bei aller Dramatik – Sheris Vater geht in schierer Selbstbestrafung auf seinem langen Weg zur Vergebung auf alles Geforderte ein – behält Vann die Sichtweise des Mädchens und ihre Entwicklung im Blick, wobei am spannendsten zu beobachten ist, wie Caitlin zwischen der Liebe zu ihrer höchst problematischen Mutter und der unerwarteten, neuen Zuneigung zu ihrem Großvater stets versucht, die Balance herzustellen und ihre Loyalitätsprobleme in den Griff zu bekommen. Am Ende steht hier ein erstaunliches, ganz ungewöhnliches Buch.

David Vann: Aquarium. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, 283 S., 22.95 €

aus biograph 06/16

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