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Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Auf  den ersten Blick erscheint die Genrebezeichnung zu Hervé Le Telliers neuem Buch – „Briefroman“ – wie aus der Zeit gefallen. Briefromane – da denkt man vornehmlich an Erscheinungen des 18. und 19. Jahrhunderts, an Goethes „Werther“ etwa oder an Choderlos de Laclos' „Gefährliche Liebschaften“. Überhaupt Briefe: Gibt es in Zeiten des immer und überall präsenten Selfies, der direkten Bilder– oder Datenübermittlung via Smartphone, etwas, das anachronistischer erschiene als das Schreiben von Briefen? Le Tellier zeigt indes, dass eigentlich nur diese altmodische Form der Kommunikation etwas wirklich Substantielles über den Schreiber aussagen kann, die Art, wie auf den Initialbrief mittels eines Antwortbriefes reagiert wird, ist dabei entscheidend, denn sie beflügelt alles Weitere.
Le Tellier hat sich als seinen Adressaten niemanden anders ausgesucht als den jeweils aktuell amtierenden Präsidenten der Republik, und der ist, zu Anfang des Buches, FrançMitterand. Es beginnt mit einer Urlaubskarte von ihm, Le Tellier, die er im September 1983 aus Arcachon am Atlantik mit nachträglichen Glückwünschen zum Wahlsieg 1981 nach Paris schickt. Als Antwort erhält er, wie nicht viel anders zu erwarten, einen (hier stets mit abgedruckten) Standardbrief aus dem Élysée mit Dank und der Versicherung der Weitergabe seines „Anliegens“ an die gegebenen Stellen. Le Tellier bedankt sich seinerseits, und so geht es munter weiter: Auf jeden neuen Brief, in dem er bald auch seine privaten Miseren (Arbeitslosigkeit, Jobsuche, Trennungen) beschreibt, erhält er dasselbe Antwortschreiben, mit dem Unterschied, dass er dieselben Worte immer gemäß seiner augenblicklichen Gefühlslage interpretiert, d.h. im Grunde immer anders. Aus immer denselben Worten entnimmt er zum Beispiel Empathie, lobt er und erkennt er Bedeutsames, „FrançStil, so luftig leicht, so literarisch und doch gleichzeitig dermaßen genau und direkt“. Es dauert nicht lange, und er nennt Mitterand seinen „Freund“. Und da er aus dem Élysée auch nach Mitterands Ableben immer wieder dasselbe Schreiben erhält, weiß er: Mitterand ist gar nicht tot. Dieselben Worte (dasselbe Antwortschreiben) beim nächsten Präsidenten, Chirac, aber die werden ganz anders interpretiert, die Unterschiede, der altertümelnde Sprachstil, die linkische Art, lägen „auf der Hand“. Immerhin gefällt er ihm besser als Sarkozy, der ihm eine einzige Enttäuschung ist, er sei in seinen Antworten „fantasielos“, seine Sprache „erbärmlich und sinnlos“, seine Vulgarität stoße ihn ab. Einzig Sarkozy bezaubernde Frau, Carla Bruni, stößt auf sein Wohlwollen, für sie, die, wie man weiß, selber gelegentlich die Gitarre zupft, komponiert er sogar ein Lied, das er per Brief zu ihren Händen schickt, aber eine ansprechende Reaktion bleibt auch von ihrer Seite aus (was ja nicht verwundert). Dann doch gleich lieber wieder dem ollen Chirac schreiben. Oder direkt an den vermeintlich toten Mitterand, zu dessen Geburtstag (es wäre der 101.) er ein Fest geben will, zu dem er alle anderen Präsidenten gleich mit einlädt.
Le Tellier zieht diesen einen, gewiss überschaubaren Witz durch bis zum Schluss, d.h. bis zu Emmanuel Macron, aber es wird nie langweilig. Was man bei aller Schmunzelei letztlich auch herauslesen kann, ist, ohne einer Bedeutungsschwere das Wort zu reden, die stupende Einsamkeit des Briefschreibers, der in seinen Monologen noch die letzten standardisierten Phrasen als Trost von höchster Stelle begreift.  

Hervé Le Tellier: Ich und der Präsident. Ein Briefroman. Aus dem Französischen von Jürgen und Romy Ritte. Dtv, München 2017, 85 S., 8.- €

aus biograph 11/2017

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