Das Feuilleton feiert derzeit die 40–jährige Amerikanerin (kroatisch–persischer Abstammung) Ottessa Moshfegh, und in der Tat hat sie mit ihren Publikationen bislang für einiges Aufsehen gesorgt, an dieser Stelle wurde sie erst im April letzten Jahres vorgestellt mit ihrem wirklich bemerkenswerten Erzählband „Heimweh nach einer anderen Welt“. Ihr neuer Roman scheint an den Vorgänger–Geschichten anzuknüpfen, ihre Hauptfiguren sind verhaltensauffällige Einzelgänger, bei denen die Motive des Handelns nicht auf Anhieb erklärbar sind. Dadurch, dass sie keine Scheu hat, ihre Figuren oftmals in ihren kompletten Neurosen oder Abgründen zu zeigen, geht Moshfegh ein nicht geringes Risiko ein, es stellt sich nämlich die Frage, ob alle Leser ihr da bedingungslos zu folgen bereit sind.
Vesta heißt die 72–jährige Protagonistin in dem neuen Buch, sie lebt allein in einem Häuschen im Wald, ihr Mann, ein ehemaliger Akademiker deutscher Herkunft, ist verstorben, sie hat nur noch ihren Hund Charlie. Es gibt keine Kontakte zur Umwelt, sie besitzt, sehr unvorsichtig für eine Lady in ihrem Alter, nicht einmal ein Telefon, ihr Auto ist, wie sich später erweisen soll, defekt. Bei einem Spaziergang im Wald entdeckt sie einen Zettel, auf dem zu lesen ist: „Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche.“ Tatsächlich gibt es von einer Leiche nirgendwo eine Spur, das hindert Vestas Gehirn nicht daran, plötzlich wie verrückt loszulegen. Sie steigert sich in Fantasien hinein, die so abenteuerlich abstrus sind, dass man bald an ihrem Verstand zweifeln kann. Ständig erfindet sie sich Geschichten, denen zufolge etwa ein gewisser Blake der Mörder ist; sie sieht sich von diesem Phantom fortan nachhaltig bedroht. Aus dem Nichts entwickelt sie Todesfantasien. Dem Leser wird sie dabei aber immer unsympathischer, erst recht in den Phasen, in denen sie sich zügellos bemitleidet. Das vielleicht noch Interessanteste im Bereich ihrer Wahnvorstellungen ist das von ihr über die erzählte Zeit sich verändernde Verhältnis zu ihrem verstorbenen Mann Walter, der schließlich als genuines Scheusal beschrieben ist, als einer, der an der Uni den Studentinnen hinterherlief und sie, Vesta, betrogen hat, da bekommen ihre nicht enden wollenden Reflexionen gleich auch etwas Substantielleres, etwas, das einen aufhorchen lässt. Am Ende ist sie vollkommen verloren in ihren Manien, selbst ihr einst so treuer Hund wendet sich von ihr ab. Man kann also erleben, was gesuchte Einsamkeit mit jemandem anstellen kann, der den vielen Implikationen des Alleinseins nicht gewachsen ist. Das alles mag bedenklich stimmen und sogar ein Stück weit nachvollziehbar sein. Einerseits.
Andererseits stellt sich die Frage: Was hat Moshfegh mit dem Roman eigentlich bezweckt? Das gesamte Buch zeigt sich als ein Konstrukt, als fiktionale Metaebene, auf der Prinzipien der literarischen Konstruktion durchgespielt oder gespiegelt werden (in der Fachwelt auch als „Mise en abyme“ bekannt). Moshfegh erlaubt ihrer Heldin im Strom ihrer Mutmaßungen allerlei abenteuerliche Theorien, sie lässt sie unkontrolliert lossprudeln. Was wie das heillose Durcheinander einer durchgeknallten älteren Frau aussieht, scheint aber eher das Auffächern schriftstellerischer Optionen zu sein, eine Manifestation des kreativen Prozesses selbst. Das hat zur Folge, dass der Roman über weite Strecken eher technisch, ja, ein wenig leblos wirkt, da ist kaum einmal etwas, das einen bewegt. Konsequenter Weise bleibt auch die Spannung in dieser Kriminalgeschichte überschaubar. Man staunt vielleicht über die stringente Handhabung des Ganzen, über Moshfeghs ausgefeiltes Know–How. Nur hätte sie den Beweis ihres Könnens gar nicht mehr antreten müssen.
Ottessa Moshfegh: Der Tod in ihren Händen. Roman. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Hanser Berlin 2021, 256 S., 22.-€
aus biograph 06/2021
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