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Krebs frei Haus

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Es sieht zunächst eher nach einem „fait divers“ aus, einer jener typischen französischen Klatsch- und Tratschgeschichten, die gerne auch ein wenig sensationsgeil daherkommen. Es geht um den Fall einer jungen Prostituierten, die Jahrzehnte zuvor aus der Provinz nach Paris gekommen war und dort gewaltsam ermordet wurde. Ihr Fall wird aufgrund modernster DNA-Untersuchungen neu aufgerollt. Der wahre bzw. vermeintliche Täter wird bald identifiziert, der aber behauptet, die Leiche seinerzeit bloß gefunden und ansonsten nichts mit ihr zu tun zu haben. Marc, ein Journalist, interessiert sich für den Fall, will hinter das Geheimnis dieses komplett normal erscheinenden Täters kommen. Sein Bauchgefühl sagt ihm: Irgend etwas stimmt hier nicht, die Sache liefert einfach zu viele Fragezeichen.
Das ist also die Ausgangslage für Marcs Recherche, er schnappt sich die Akte und geht der Sache auf eigene Faust und höchst akribisch nach. Warum zum Beispiel lebte Émilie, so der Namen der Getöteten, in einer Wohnung von 25 qm², obwohl sie offensichtlich Reiche und Mächtige als Kunden hatte und dabei viel Geld verdiente? Warum hatte sie sich mit 19 Jahren schon aus dem Gewerbe zurückgezogen? Marc dringt immer tiefer in einen Fall, der sich zusehends komplexer gestaltet – aber natürlich soll hier nicht alles verraten werden, immerhin ist Gila Lustigers Roman von der Anlage her ein Krimi, wenn auch einer der gehobenen Art. Seine Recherchen führen Marc jedenfalls in ein Kaff namens Charfeuil im Süden Frankreichs, dort ging Émilie zur Schule und dort in unmittelbarer Umgebung gab es auch ein Unternehmen, das Ergänzungsprodukte für Tiernahrung herstellte. Durch den Krebstod ihres Vaters keimte bei Émilie der Verdacht, dass die Firma offensichtlich mit krebserzeugenden Stoffen arbeitete und dies zu vertuschen suchte. Es konnten sogar mehrere Fälle von Nierenkrebs in der unmittelbaren Umgebung der Firma belegt werden, an die vierzig im Laufe der Zeit. Émilie reichte Beschwerde ein, die wiederum zog weitere Kreise und wurde zu einem Politikum. Bald geriet ein Spitzenpolitiker ins Visier, der nicht nur stets „wohlwollend“ seine schützende Hand über die Firma und den sich abzeichnenden Skandal legte, sondern nun, bei Marcs Recherche, auch als Mörder Émilies in Betracht kommt. Und der sich natürlich windet und mit Prostitution, Gewalt und Swinger-Clubs nichts am Hut haben will. Jedenfalls: Abgründe tun sich auf. Man kann hier kaum umhin, an den in Frankreich gerade wieder vor Gericht gestellten, ehemaligen Chef des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, zu denken.
Aber das ist natürlich nur ein Nebenaspekt, denn Lustigers Roman schafft trotz einer gewissen Weitschweifigkeit ein interessantes, sehr dichtes Bild des heutigen Frankreich. Lustiger, die seit mehreren Jahren in Paris lebt, hat sich offensichtlich bei vielen Behörden schlau gemacht, hat Polizei, Gewerkschaften und diverse Verwaltungen befragt und mit ihrer Kenntnis nationaler Gepflogenheiten eine sehr authentisch wirkende Kulisse geschaffen. Nicht ganz einsichtig ist freilich, warum deutsch sprechende, aber durch und durch französische Figuren im Bistro oder am Telefon phasenweise (nicht oft, aber auffallend) Alltagsfranzösisch sprechen, das hier einfach unübersetzt bleibt. Vielleicht ist Lustiger zu sehr dem Pariser Flair oder dem Charme der französischen Sprache erlegen; ein Lektorat hätte allerdings erkennen müssen, dass das nicht geht.

Gila Lustiger: Die Schuld der Anderen. Roman. Berlin Verlag 2015, 494 S., 22.99 €

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