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Holy shit

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

John Fante (1909–1983) gilt als Klassiker, seine Romane werden in Deutschland regelmäßig neu aufgelegt, und das kann man nur begrüßen. Im Kern geht es bei seinen Geschichten um spezifische Charakteristika europäischer Einwanderer in die USA, zweifellos dürfen sie auch konkret biografisch verstanden werden, das Rohmaterial hatte er von seinen italienischen Eltern sozusagen gentechnisch mitbekommen. Am berühmtesten ist seine Trilogie um den jungen Arturo Bandini, einen armen Schlucker im Moloch von Los Angeles. Auch in den jüngst wieder aufgelegten Romanen „Voll im Leben“ und „Unter Brüdern“ wird das pralle italienische Leben im amerikanischen Alltag erkundet, was eine interessante Mischung ergibt aus Mythen und kleineren Tragödien; gerne wird die Szenerie theatralisch unterfüttert, etwa durch handfesten mütterlichen Aberglauben (ein blutender Jesus an der Wand, brennende Kerzen im Haus etc.) und ähnlichen pseudoreligiösen Tinnef. „Unter Brüdern“ ist freilich, anders als der Titel es ausdrückt, eine reine Vater–Sohn–Geschichte. Der Vater ist hier die zentrale Figur, er sorgt mit seinen Eigenheiten, seinen Grillen, seiner randständigen Existenz, für einen dynamischen, manchmal irrwitzigen Plot.
Nach gut 50 Jahren Ehe droht die Scheidung zwischen Nick und Maria Molise, beide sind bereits Mitte 70, Henry, Sohn und Ich–Erzähler, wird von seinem Bruder Mario telefonisch über das drohende Ungemach unterrichtet, Auslöser war ein Lippenstiftabdruck an Nicks Unterhose. Die ganze Familie ist in Aufruhr, wobei einiges, das lange unter den Teppich gekehrt war, ans Licht geholt wird. Der Vater soll sich einst sogar mal an Harriett, Henrys Frau, vergriffen haben, deshalb will sie auch auf keinen Fall, dass dieser Problemvater – er ist überdies ein pathologischer Spieler und Alkoholiker – in Henrys Haus aufgenommen wird.
In seinem Berufsleben war der Mann ein stolzer Maurer bzw. Steinmetz, aus heiterem Himmel bekommt er nochmal einen Auftrag zum Bau eines Schlachthauses irgendwo in der Bergen, und Henry, der Feingeist, der Schreiberling (oder kurz: der Idiot der Familie), soll dem Herrn Papa dabei aktiv unter die Arme greifen. Henry lehnt das vehement ab, doch da auch seine Mutter mittlerweile wieder auf die Seite ihres Mannes umgeschwenkt ist, bleibt ihm bald nichts anderes übrig; dass ihr Mann sie gewürgt hatte – vergessen, auch von Scheidung ist keine Rede mehr, das geht ja auch gar nicht, weil: „Wir sind katholisch!“ Und der Lippenstift auf der Unterhose war, wie sie jetzt festhält, nichts anderes als – Marmelade!
So werden Dinge familientechnisch gerade gerückt. Und für Henry geht es in die Berge, die Hütte, das Schlachthaus, wird auch irgendwie zusammengeschustert, windschief und scheußlich, nach einem einzigen Unwetter ist das Ding bereits im Eimer. Der Vater fällt in ein diabetisch bedingtes Koma, kommt ins Krankenhaus, büxt wieder aus. So gibt das ein paar Mal hin und her, bis er schließlich sogar tatsächlich den Löffel abgibt...
Bei dieser ganzen Gemengelage darf Krankenschwester Miss Quinlan nicht unerwähnt bleiben, eine großartig gezeichnete Nebenfigur, die sich nach Nicks Zusammenbruch um ihn „kümmert“ und auf deren „Dienste“ auch Henry nicht verzichten will; als sie sich dann in ihrer Wohnung auszieht, sieht er, wie alt sie tatsächlich ist, und als noch ihre Perücke verrutscht und „einen weißen, kahlen Schädel“ enthüllt, ist er fertig mit der Welt.
Ein schöner, locker erzählter Roman, ebenso gut übersetzt, Fante hält gekonnt die Waage zwischen einem ernst zu nehmenden biografischen Hintergrund und einem heillos ins Groteske steuernden Witz.

John Fante: Unter Brüdern. Roman. Aus dem Amerikanischen
von Michael Kirchert und Kurt Pohl. MaroVerlag, Augsburg 2019, 217 S., 18.-€


aus biograph 10/2019

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