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Eine üble Geschichte

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Modianos Figuren sind Flaneure der Großstadt, am liebsten durchqueren (oder genauer: durchirren) sie die französische Metropole, immer auf der Suche nach Zeichen und Signalen, die etwas für sie Verborgenes, Rätselhaftes ans Licht bringen, letztlich Verbindungen stiften sollen. Was dieses Verborgene konkret ist, erschließt sich einem zunächst nicht und gewinnt erst im Laufe der Geschichte an Kontur. Dabei ist es faszinierend, wie Modiano in fast allen seinen Romanen sich auf dieses eine Motiv konzentriert, und das, ohne sich jemals dem Verdacht auszusetzen, immer dasselbe zu schreiben. „Ich hatte das Gefühl, ein heimliches Leben zu führen, und in so einem Leben vermeidet man es, Spuren zu hinterlassen“, sagt hier die erzählende Hauptfigur Jean von sich, und man fragt sich, warum er gleich soviel geheimnisvolles Gewese in die Geschichte mithineinlegt. Er behandelt dieses Notizbuch, als ob er an Amnesie erkrankt sei und Vergewisserungen brauche. Vor allem tauchen da Namen und Daten aus seiner Vergangenheit auf; einmal spricht er von „Morsezeichen“, die zu dechiffrieren ihn selbst vor Rätsel stellen. Tatsächlich belegen die Notizen zufällige Begegnungen, Namen von Metrostationen, Hausnummern – Mosaikstücke für ein Puzzle, das er erst noch zusammensetzen muss. Nur ganz allmählich kommt also Licht in eine irgendwie mysteriöse Geschichte, seine Bekanntschaft mit Dannie, einer Studentin aus der Cité universitaire, trägt dazu bei, sie, die sich auch immer sehr rätselhaft geriert, sich mit obskuren Nebenfiguren, richtigen Schattenwesen, umgibt, die seinen Fragen ausweicht, als ob sie etwas zu verbergen hätte, sodass seine Treffen mit ihr auch verschwörerisch wirken. Jean selbst wird bald polizeilich zu ihrer Person befragt, denn Dannie soll „etwas Schlimmes“ getan haben, in „eine üble Geschichte“ verwickelt gewesen sein, da sollen Schüsse gefallen, sogar jemand getötet worden sein; Dannie benötigte plötzlich einen neuen Personalausweis, eine andere Identität. Hat Dannie wirklich damit etwas mit der Sache zu tun gehabt? Oder gründet das alles nur auf irgendwelchen Mutmaßungen? Die Akte, die dann ein gewisser Langlais, ein Kriminaler, Jean übergibt, erzählt jedenfalls von der Tötung einer Person durch zwei Schüsse. Mehr ist kaum in Erfahrung zu bringen, auf die ggf. sinnstiftenden Leerstellen muss man sich einlassen, sie bilden gleichsam den Kern der Erzählung selbst.
Und von wegen Identität: Zusätzlich in der Schwebe gehalten wird dieser komplett actionfreie und dabei hochsubtile „Thriller“ durch die im Ausstand begriffene, auch immer wieder hinterfragte eigene Identität Jeans. Er hegt nämlich Zweifel an ihr und umspielt ein ums andere Mal Rimbauds Diktum „Ich ist ein Anderer“. So wartet er auf den Tag, da einer ihm die Karteikarte mit seinem „richtigen Namen“ übergibt. Nicht einmal darauf ist bei Modianos Figuren also Verlass.

Patrick Modiano: Gräser der Nacht. Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Carl Hanser Verlag, München 2014, 176 S., 18.90 €

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