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Dabeisein ist alles

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Zurück von einer Atlantik–Überfahrt im englischen Dover landend, muss der junge Schriftsteller Adam Symes sein frisch geschriebenes Manuskript, angeblich bereits seine Autobiographie, dem Zoll übergeben, der es „überprüft“ und im Handumdrehen verbrennt. Empörung zwecklos. Denn mutmaßlich ist das Vorliegende, und darauf brauchen die Beamten im puritanisch regierten England nur einen flüchtigen Blick zu werfen, einfach nur „Schweinekram“, kurz: Pornographie (so viel literaturwissenschaftlichen Spürsinn hätte man diesem Berufsstand nicht unbedingt zugetraut). Adam muss seinem Lektor nun klar machen, dass es nichts wird mit dem geplanten Buch, dass er den Vertrag nicht erfüllen kann, vor allem, dass er kein Anrecht auf ein Honorar hat, im Gegenteil: er muss sogar die 50 Pfund Anzahlung zurückzahlen. Wie sich zeigen wird, ist Adam notorisch klamm, was konkret heißt: er kann seine Angebetete Nina nicht heiraten. Im Laufe der Zeit wiederholt sich dieses Muster ein ums andere Mal: Adam kommt kurzfristig zu Geld (etwa aufgrund von riskantem Glücksspiel) und verliert es auf der Stelle wieder. Nina hat die rettende Idee: sie schickt ihn zu ihrem Vater, um sich von ihm, sozusagen in heiratstechnischer Voraussicht, Geld einzuholen, aber der Mann ist bereits dermaßen vertrottelt, dass er Adam mit einem Staubsaugervertreter verwechselt. Zwar sichert er ihm am Ende 1000 Pfund zu, woraus aber auch nichts wird, denn der alte Herr unterschreibt den Scheck dummer– oder hinterhältigerweise mit: „Charlie Chaplin“.
Vor allem in der ersten Romanhälfte, die geschmückt ist mit viel Firlefanz, spektakulären Abstürzen und Party–Dekadenz, wird den wilden Exzessen der „roaring twenties“ ein Denkmal gesetzt, und das ist teilweise urkomisch. Waugh (1903–1966) garniert das gerne mit subtilen Seitenhieben auf die feine britische Gesellschaft, und das klingt dann etwa so: „Sie trafen sich im Chez Espinosa, dem zweitteuersten Restaurant in London. Es war mit Wachsdecken und Lalique–Glas ausgestattet, und die Art von Leuten, die solche Dinge mochten, gingen ständig dorthin und sagten, wie schrecklich es sei.“ Als der Journalist Simon Balrain zu einer dieser angesagten Londoner Partys nicht eingeladen wird und darob stinksauer ist, begibt er sich in Verkleidung und falschem Bart dorthin und gelangt sogar in den inneren Zirkel dieser Veranstaltung; hinterher schreibt er einen Artikel voller Lügen – und bringt sich um. Das wiederum ist Adams Chance: er übernimmt Balrains Posten, hat fortan eine Kolumne unter dem Namen „Mr. Chatterbox“ – und ruft als erstes Nina an: Wir können doch noch heiraten! Doch bald fängt auch Adam an, Geschichten und Charaktere einfach nur zu erfinden. Er verzapft reichlichen Quatsch in seiner Kolumne und befeuert damit das Gerede in den Salons. Das Geldproblem bleibt für ihn ein Thema bis zum Schluss. Nina wird es zu bunt, sie heiratet kurz entschlossen einen anderen – nur um nach den Flitterwochen sofort wieder mit Adam ins Bett zu steigen. Das alles erinnert natürlich stark an klassische Screwballkomödien.
Waugh zieht alle Register seines (betont englischen) Witzes, der bei aller Anlage zur Satire manchmal auch etwas in slapstickhafter Überdrehtheit münden kann. Wirklich berühmt wurde Waugh ja erst später mit dem auch zweifach verfilmten Roman „Wiedersehen mit Brideshead“(1945). An dieser Stelle soll nur der Hinweis genügen: man kann zu jedem Buch von ihm greifen, es lohnt sich. Garantiert.

Evelyn Waugh: Lust und Laster. Roman. Aus dem Englischen von pociao. Diogenes Verlag, Zürich 2015, 285 S., 23.90 €

aus biograph 03/2016

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