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Mann des Schattens

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Lange Zeit galt er sowohl der akademischen Kritik als auch der avantgardistischen Moderne als rückständig: Claude Sautet, so hieß es, würde bourgeoise Filme für ein bourgeoises Publikum machen, was gleichbedeutend war für: totlangweilig zu sein. Dieser Vorwurf sollte nicht wirklich Bestand haben, auch wenn die „Nouvelle Vague“ Anfang der 60er–Jahre mit Godard, Truffaut oder Rohmer durch ihre Experimentierfreude von vorneherein mehr Aufmerksamkeit auf sich zog (wobei Sautet, der sich gern zurückhielt, zu diesem Club gar nicht unbedingt gehören wollte).
Daniel Auteuil, der bei zwei Filmen („Einige Tage mit mir“, „Ein Herz im Winter“) Hauptdarsteller war, gibt den zutreffenden Hinweis auf die charakterliche Beschaffenheit des Sautetschen Helden, den er selbst kongenial verkörperte: eine Art „Camus–Held“, schweigsam, verschlossen, unnahbar. In den Filmen der 70er und 80er–Jahre ging es tatsächlich immer auch um eine gewisse Verlorenheit der Figuren, um ihre soziale Randständigkeit. Zuvor, Anfang 1960, als Sautet noch als Regieassistent unterwegs war, trat man an ihn heran, um vorhandene Drehbücher zu überarbeiten, er sollte sie „neu besohlen“, eine Korrekturarbeit, die ihm sogar gefiel, weil sie nur einen „geheimen Ruhm“ mit sich brachte; als „Mann des Schattens“ entsprach dies vollumfänglich seinem Charakter. So erzählt es Sautet selbst.
Die Gespräche mit Michel Boujut folgen streng chronologisch den Entstehungsjahren seiner Filme, angefangen bei dem Krimi „Der Panther wird gehetzt“ (1960) bis zu seinem letzten Film „Nelly und Monsieur Arnaud“ (1995). Der als schweigsam geltende Sautet fällt dabei durch lebhafte Auskunftsfreudigkeit auf, ist gut aufgestellt, wenn er Charaktere erläutert, tiefer sitzende Motive erklärt. Oftmals geht es um Details im Plot, um das Streichen einzelner Szenen, weil alles Überflüssige oder Eindeutige vermieden, dem Zuschauer Platz für eigene Interpretationen gelassen werden soll: „Ich finde nicht, dass in meinen Filmen etwas fehlt, eher ist zu viel da“, präzisiert er.
Von besonderem Interesse sind seine Einlassungen zu einzelnen Schauspielern, etwa zu Romy Schneider, die Anfang 1970 immer noch mit ihrer alten Sissy–Rolle hadert. Sautet kommt ihr da wie gerufen. In „Die Dinge des Lebens“, „Das Mädchen und der Kommissar“, „Cesar und Rosalie“ konnte Schneider etliche Facetten ihres Könnens zeigen; in letztgenannten Film war sie von Yves Montands misogynem Auftreten allerdings zutiefst angewidert, „der Typ kotze“ sie an, sagte sie unverhohlen. Die Ablehnung war zwar nicht von Dauer, Sautet bestätigt aber: Montand stand die Eitelkeit, sein Narzissmus, ins Gesicht geschrieben. Und so plaudert Sautet aus dem Nähkästchen und lockert die manchmal auf technische Details zugeschnittenen Kommentare auf, die grundsätzlich natürlich einem besseren Verständnis einzelner verhandelter Konflikte dienen. Auffallend in dem Zusammenhang sind vor allem die Männer in deutlicher midlife–crisis (besonders in „Vincent, Francois, Paul und die anderen“), wenn ihr Scheitern genauer beleuchtet wird. Unter der Hand ergibt sich gerade mit diesem Film ein aufschlussreiches Bild gesellschaftlicher Phänomene der 1970er–Jahre.
Kommentare von Zeitzeugen runden das Bild ab, lesenswert etwa Bertrand Tavernier in seinem Nachwort. Auch er gab Sautet das eine oder andere Skript zum „besohlen“; er bezeichnet Sautet als „besten Scriptdoktor und Filmreparateur des französischen Kinos“. Fehlt noch Philippe Sarde, der mit seiner sparsam eingesetzten Musik mitverantwortlich ist für das eigentümliche Klima eines jeden Sautet–Streifens. Kurzum: Ein überaus lesenswertes Buch, das sofort Lust macht, den DVD–Schrank aufzusuchen, um sich nochmals den „Dingen des Lebens“ zuzuwenden.
Claude Sautet – Regisseur der Zwischentöne. Gespräche mit Michel Boujut. Aus dem Französischen von Marcus Seibert. Alexander Verlag, Berlin 2022, 326 S., 30.-€
   
(aus biograph 11/2022)

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