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Wim Wenders
Porträtfoto: © Peter Lindbergh, 2015

Wim Wenders in Düsseldorf

Verteidigung der Wirklichkeit

Wim Wenders ist gefragt. Gerade noch war er in Berlin allgegenwärtig, wo er auf der Berlinale für sein Lebenswerk geehrt wurde, jetzt ist er in Düsseldorf, stellt hier seinen neuen Film „Every Thing Will Be Fine“ vor, hat die Ausstellung seiner Foto­grafien im Museum Kunstpalast eröffnet, führt öffentliche Gespräche, demnächst mit Peter Lindbergh, und gibt Interviews. Aber worüber reden: Über die Fotografie oder die Filme? Ausgestellt sind die Fotografien, die in den vergangenen Jahren international beachtet wurden. In erster Linie aber ist er als Pionier des Autorenfilms mit seinen Filmen berühmt, er wurde vielfach ausgezeichnet und lehrt als Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Zur Erhaltung seines Gesamt­werkes und zur Nachwuchsförderung hat er mit seiner Frau 2012 die Wim Wenders Stiftung in Düsseldorf gegründet.

Für Wim Wenders sind Film und Fotografie indes sehr verschiedene Disziplinen. Fast könnte man sagen, dass die Fotografie eine Gegenposition formuliert. Für Wenders beinhaltet sie den Abstand zur Betriebsamkeit und zu den Abläufen am Filmset. Er fotografiert überall auf der Welt: in Australien, Amerika, Japan, auch in Brandenburg, und zwar immer losgelöst von den Filmaufnahmen. Beim Fotografieren sei er alleine, sagt Wim Wenders. Im teils stundenlangen Marsch lässt er sich auf den Ort – seine Vegetation, Atmosphäre und Geschichtlichkeit – ein. Indem er analog fotografiert, sieht er das Ergebnis teils erst Wochen später. Er bleibt der Situation ausgeliefert, muss ihr vertrauen: Auch das ist ihm wichtig. Vor allem aber geben die fotografischen Bilder keine Erzählungen vor. Während die filmischen Bilder eine Abfolge beschreiben, steht jede Fotografie für sich. „Es gibt keine Psychologie, keine Dramaturgie oder Szenen, die sich beeinflussen. Deswegen mag ich das: Es ist alles in dem einen Bild drin.“ Und er verzichtet in seiner Foto­grafie ganz auf Menschen. Beim Filmemachen habe er gemerkt, „den Charakteren gehört doch immer die ganze Aufmerksamkeit.“ Und: „Der Film wird von seiner Geschichte geschoben und durchgezogen.“

Das ist auch dann der Fall, wenn die äußere Handlung zugunsten der urbanen Szenerie und des landschaftlichen Raumes verknappt ist. Das Genre, das Wenders dazu wiederholt gewählt hat, ist das Roadmovie, sei es bei „Alice in den Städten“ oder „Paris, Texas“. Der Wechsel der Orte im Vergehen der Zeit führt zur Charak­terbildung des Protagonisten im Stile des klassischen Entwicklungsromans. Und das Ich spiegelt sich in der Umgebung.

Dies trifft nun auch auf seinen neuen Spielfilm „Every Thing Will Be Fine“ zu. Der Schriftsteller Tomas (James Franco), der sich in einer Schaffenskrise befindet, über­fährt in der Schneelandschaft Kanadas unverschuldet ein Kind. Der große Bruder Christopher erlebt dies mit, er wird von Tomas zu seiner Mutter gebracht. Die Wege trennen sich, und während Tomas durch dieses Ereignis erfolgreich in die Schreiberei zurückfindet und sich doch schuldig fühlt, kreist Christophers Bewusstsein weiterhin um das traumatisch existenzielle Erlebnis, er nimmt eine innere Beziehung zu Tomas auf, liest seine Bücher, interessiert sich selbst für Schriftstellerei und wird ihm in seiner Zurückgezogenheit ähnlich. Schließlich kommt es zu einer stundenlangen nächtlichen Begegnung, die, ganz ohne Worte im Close-up des Gesichtes geschildert, Tomas aus seiner inneren Zerrissenheit hilft und für Christopher den Frieden mit sich und der Welt bedeutet. Diesen Prozess von Tomas‘ Selbstfindung über elf Jahre beschreibt Wenders subtil mittels präziser Sprache und in Rückkopplung zur Landschaft. So ist der Fluss anfangs zu Eis gefroren, später fließt das Wasser wieder – wie wichtig die Natur als Reflexionsebene ist, zeigt sich auch daran, dass Wenders in 3D-Technik gedreht hat.

Es gibt Details, die wir aus anderen Wenders-Filmen kennen. Dass Tomas Christopher an die Hand nimmt, kennen wir aus dem Verhältnis von Alice und Phillip. Und während Tomas als Schriftsteller tätig ist, arbeitet Christophers Mutter als Illustratorin. Ein Leitmotiv in Wenders‘ ganzem filmischen Werk ist, wie die Künste und insbesondere die Fotografie mit der Wirklichkeit umgehen: der Realität und der Wahrheit. Da sind die optischen Geräte, mit denen sich Tom Ripley und Jonathan im „Ame­rikanischen Freund“ beschäftigen (hier kommt auch ein Kunst­fälscher ins Spiel), und da ist Phillip Winter, der in „Alice in den Städten“ im Blick auf seine Polaroids sagt: „Es ist nie das drauf, was man sieht“.

Wim Wenders wurde 1945 in Düsseldorf geboren. Nach dem Abitur im Ruhrgebiet hat er Medizin und dann in Düsseldorf Philosophie studiert. In dieser Zeit hat er sich ein Atelier eingerichtet und figürliche Abstraktionen großformatig, in Acryl auf Leinwand gemalt. 1966 wechselt er nach Paris zum Studium in der Radierwerkstatt von Johnny Friedländer. Zu seinen Kupferstichen gehören auch Blätter, die an Comic Strips erinnern. Folgenreicher ist die Cinémathèque Française, in der er wie ein Besessener Filme sieht: „Irgendwann war die Entscheidung da, dass ich Filme mache, und dann habe ich nie mehr gemalt.“ Nach der Rückkehr hat er 1967-1970 an der Hochschule für Film und Fernsehen in München studiert. Später hat Wim Wenders in einem Vortrag über diesen Wechsel der künstlerischen Disziplin ge­­sagt: „Als ich anfing zu filmen, verstand ich mich als Maler des Raums auf der Suche nach der Zeit“, und meint damit die Fähigkeit des Films zum Erzäh­len. „Natürlich stellen auch in meinen Fil­men die Geschichten eine Ordnung der Bilder her. Ohne Geschichten drohen die Bilder, die mich interessieren, verloren zu gehen und jeder Willkür anheim zu fallen.“ (Livorno 1982)

Hier setzt der Unterschied zu den Foto­grafien an. Diese erfassen ihre Orte in einem Bild; die Narration ist ganz dem Betrachter überlassen. Nach den fotografischen Anfängen mit Polaroids und in schwarz-weiß-Aufnahmen Mitte der 1970er Jahre, datiert er seinen „richtigen“ Einstieg in dieses Medium mit der Entdeckung der Farbe. Eher zufällig fällt ihm im Frühling 1983 in einem Laden in Tokio eine 6x7-Kamera in die Hände. Zur Vorbereitung von „Paris, Texas“ reist er anschließend drei Monate durch den Westen der Vereinigten Staaten – und fotografiert. Aber er be­­lässt es bei den Kontaktbögen, bis er viel später vom Centre Pompidou zu einer Ausstel­lung eingeladen wird und F.C. Gundlach ihm dafür zum Dye-Transfer-Verfahren rät:
„Das war mein Beginn als Fotograf“.
Eine umfassende Bilanz der Fotografie ist nun also im Museum Kunstpalast in zwei sich gegenüber liegenden Sälen zu sehen. Der eine umfasst unterschiedliche Kapitel in Kabinetten, bei denen die überwiegend großformatigen Fotografien die Betrachter umfangen. Dieser Teil enthält die frühen s/w-Bilder und die kulturell motivierten Themen. Hier finden sich auch die Aufnahmen, die das Licht – als bildkonstituierendes Element der Fotografie – in seiner Abbildhaftigkeit und Materialität einsetzen: an Ground Zero, wo es inmitten der Trümmer wie eine Himmelserscheinung eine gleißende Helligkeit bildet, oder bei den Aufnahmen zu Fukushima, wo eine (für Wenders unerwartete) Sinuskurve als Lichtspur der unsichtbaren Strahlung durch die Aufnahmen führt.

Dagegen kennzeichnet die Panoramaformate im gegenüberliegenden Saal die Erfahrung von der Weite der menschenleeren Landschaft – sie ist verbunden mit der Erkenntnis von der Kleinheit des Menschen und vom Archaischen der Erde als Form der Erhabenheit. Wenders verweist im Gespräch auf die Deutsche Romantik und die Malerei von Caspar David Friedrich mit der Repoussoirfigur, die den Betrachterblick in den Bildraum zieht. Einsamkeit, Verlassenheit im kargen Raum, das Vorübergehende der Zivilisation und ihre Spuren sind verwandte Aspekte, denen er in seiner Foto­grafie nachgeht: Schließlich geht es um den Ort selbst, seine Aura und sein Wesen. Es ist faszinierend zu beobachten, wie genau Wenders schaut und in seinen fotografischen Bildern verdichtet – im Respekt vor der Natur. Dabei gelingt ihm etwas, was so beim Film nicht funktioniert: „Beim Fotografieren bin ich nur der Aufzeichner der Geschichten, die der Ort vorgibt“.

Wim Wenders
4 Real & True 2. Landschaften. Photographien
Bis 16. August im Museum Kunstpalast im Ehrenhof.
Am 25. Juni, 19 Uhr führen Wim Wenders und Peter Lindbergh dort ein Gespräch.

Thomas Hirsch

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