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Wilhelm Mundt
Porträtfoto: Ralf Silberkuhl

Wilhelm Mundt

Keine Steine am Wegesrand

Seit 1988/89 widmet sich Wilhelm Mundt nahezu ausschließlich den von ihm so betitelten „Trashstones“ aus amorphen plastischen Körpern. Diese gehören mit zu den konzentriertesten und tiefgründigsten Beiträgen zur zeitgenössischen Skulptur, einprägsam und zuordbar, indem jede der mittlerweile rund 770 Skulpturen auf den gleichen Prinzipien beruht. Die aufgetragene fortlaufende Nummerierung identifiziert die Skulpturen innerhalb der Werkgruppe. Gemeinsam sind ihnen das kompakt Monolithische – fast so als wären die Skulpturen mit ihrem Kontinuum der Oberfläche und ihrer kraftvollen Präsenz vom Himmel gefallen – und die intensive, immer wieder neu überraschende Farbigkeit. Mit jeder Bewegung sehen sie anders aus, sie sind zu umrunden, so wie sie Wilhelm Mundt mit ihren wechselnden Dimensionen (vom handlichen Format bis zur mehrere Meter langen Skulptur) ohne Sockel und in vorgegebener Ausrichtung auf den Ausstellungsraum hin positioniert.
 
Sanft verlaufende Hebungen und Senken, zackig ausbuchtende Sequenzen und weiche Rundungen laden die Oberfläche sinnlich auf. Einmal wirken die Skulpturen wie Natur­phä­nomene, Felsgestein etwa oder sogar ein abgewandt liegendes Säugetier, dann wieder tragen sie einen futuristischen Look, können extravagant und poppig auftreten. Andere „Trashstones“ reflektieren die Umgebung in ihrer Aluminiumfläche und verschmelzen so mit dem Raum. Oder sie sind, mit dem Schimmer der Verhärtung des Materials, gescheckt, überhaupt immer wieder weiß mit dunklen Flecken, die aus der milchigen Tiefe aufscheinen. In jüngerer Zeit sind sie auch schwarz und rundum durchsetzt von einer schwingenden weißen Linie. Dann wieder sind breite farbige oder schwarze Bänder eingelagert und kreuzen sich, oder eine plakativ leuchtende Buntfarbe besetzt die Oberfläche, die wie ein flüssig nachgiebiger Überzug oder eine robuste Panzerung wirkt: Also, diese Skulpturen verfügen über die Evidenz abstrakter Malerei, die sich nun aber auf und mit der Oberfläche in den Raum hinein ereignet. Mundts Umgang mit der Farbigkeit zwischen greifbarer Dichte und künstlich virtuellem Entzug führt auch dazu, dass die Skulpturen ebenso auf Ausstellungen zu zeitgenössischen Tendenzen der Malerei zu sehen sind. Also außer bei Ausstellungen wie: „Am Beispiel Plastik“ – im Hinweis auf das Elementare der Skulptur – im Museum Morsbroich in Leverkusen und in der Kunsthalle Mannheim (1993/94) oder „Plastik“ – in Hinblick auf das Neu- und Fremdartige der Substanz der Oberfläche – im Kunstverein in Stuttgart (1997), auch 2004 mit Thomas Locher und Peter Zimmermann in der Münchner Galerie Six Friedrich/Lisa Ungar und 2010 bei „slick surfaces“ u.a. in der Neuen Galerie Gladbeck.

Wilhelm Mundt wurde 1959 in Grevenbroich geboren. Ab 1979 studiert er an der Düsseldorfer Kunstakademie. In der Landeshauptstadt selbst hat er nie gewohnt (auch wenn er hier eine Künstlerband mitgründet und in einem Film der Künstlergruppe „Anarchistische Gummizelle“ agiert), sondern ist bis heute in der Umgebung ansässig. Das Atelier befindet sich seit langem in einer großen Scheune in Rommerskirchen. Wie der Rundgang zeigt, ist es Werkstatt, Labor, Lager und Zwischen­lager: Ort der verschiedenen Produktionsschritte und ihrer ungelösten Aufgaben. - Mundt hat zunächst in der Bildhauerklasse von Klaus Rinke studiert, ist dann zu Irmin Kamp gewechselt und hat zeitweilig bei Tony Cragg als Assistent gearbeitet. In den frühen Jahren prägend ist für ihn die skulptural begriffene, ordnende Akkumulation von Ready-mades des Alltäg­lichen, besonders von Mobiliar und Architekturelementen wie sie ne­ben den jungen britischen Künstlern dieser Jahre die sog. „Modell­bauer“ praktizieren, die, wenige Jahre älter, zeitgleich bei Rinke und Richter studiert haben. Mundt selbst erstellt schon bald riesengroße technoid wirkende, kantig geometrische Objekte aus Polyurethan-Schaum, Polyester und Metall. Sie scheinen Industrie­anlagen entnommen und simulieren funktionale Normstücke mit Steck­verbindungen und sprechen so den ästhetischen Wert der industriellen Parallelwelten an: Mit derartigen Werken und Installationen wird Mundt zunächst bekannt, 1988 stellt er im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigs­hafen und im Museum Fridericianum in Kassel aus.

Aber die Produktionsrückstände werfen augenblicklich Fragen nach ihrem Anteil am Werk und der weiteren Aufmerksamkeit ihnen gegenüber auf: „Dieses Verhältnis von künstlerischer Wertschöpfung und Abwertung des kreativen Prozesses bringt Mundt gezielt durch­­einander, indem er seinen Müll in die Zirkulation des künstlerisch Wertvollen wieder einspeist“, hat Matthias Winzen zur Themenaus­stellung „Deep Storage“ im Kunst­museum Düssel­­­dorf 1998 ge­­schrieben – in Bezug auf die Entstehung der „Trashstones“. Ohne auf eine besondere Organisation der einzelnen Dinge, Über­­bleibsel und Fundstücke, Werk­zeuge etc. Wert zu legen und vielmehr der Eigen­­­­dynamik der Zusammen­bal­lung vertrauend, umfängt Mundt diese von 1988/89 an mit Spezialfolien aus Glasfaser. Und er festigt, umschließt und verbirgt die Massen weiter mit Polyester. Er mischt der Kunststoff­emul­sion, die er in zig Schichten aufträgt, die Farbe bei. Später spachtelt und schleift er die Flächen, wobei Kanten eingeebnet werden, die Farbstrukturen auf eine Ebene treten, also tiefere Farbpartien wieder hervorgeholt werden können. Schließlich, „die energetische Präsenz der ‚Inhaltsstoffe‘ ist per se in der Form und in der Farbe wirksam: die Haut reagiert sensibel auf das Fleisch und die Knochen.“ (Roland Scotti, Kat. Appenzell 2007)

Wilhelm Mundt, der seit 2009 eine Professur für Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden inne hat, vermeidet selbst die häufig assoziierte Zuordnung zum Recyling, zumal dieser Begriff heute inflationär verwendet wird und seine Rückstände nicht den Weg in das Ökosystem finden, sondern neue Kunst konstituieren. Mundt konserviert die Dynamik industrieller Prozesse und spricht zugleich Erinnerung und Autobiographisches, das Lebensumfeld an, indem er all das dem Sichtbarem entzieht und dem (kollektiven) Gedächtnis überantwortet. Er ist ja noch weiter gegangen und hat mal in einer Ausstellung im Unter­geschoss der Galerie Luis Campaña am Kölner Friesenplatz die „Trashstones“ mit Decken umwickelt und so – eigentlich für alle Ewigkeit – verborgen.

Befragt man das Werk von Wilhelm Mundt auf seine kunsthistorischen Bezüge seit den Anfängen, so kommt man ausgehend von Duchamps Ready-made auch auf die Fährte von Henry Moores biomorphem, geschlossenem Kernvolumen, das sich bei Mundt aber immer weiter verändert hat bis hin zum Ausbrechen von innen heraus. Denn Mundts Gesamtwerk ist noch komplexer, nicht nur in seinen Verweisen und Kontexten, sondern indem er in Seitenwegen mit forschendem Temperament dem Austausch von Innen und Außen nachgegangen ist und mit Öffnungen und Umstülpungen bei einzelnen „Trashstones“, aber auch gänzlich anderen Objekten gearbeitet hat. So erklärt sich auch die Graphitzeichnung einer Spritze auf einem der „Trashstones“, der derzeit im Ausstellungspavillon im Skulpturenpark Wald­frieden ausgestellt ist. In Umkehrung der Bezeichnung „Klumpen“, die er für seine Werke selbst bevorzugt, spricht er in Wuppertal von „Unklumpen“, bezogen auf die beiden zentralen Skulpturen im Raum: Diese hängen kopfüber von der Decke, ihre Hülle ist transparent und lässt zusammengepresst neben Industrieresten oder Verpackungs­material autobiographisch konnotierte Gegenstände (eine Jacke, ein Autoreifen) erkennen. Vielleicht verweist schon der Gestus des „Hängenden“ auf eigene frühe Erfahrungen mit der Schlächterei in der Verwandtschaft, die Wilhelm Mundt in einem Interview erwähnt hat, und auf die Gesetze der Schwerkraft. Aber es geht noch weiter. In die „Unklumpen“ ist ein kleiner Monitor integriert, der Mundt im Video-Loop während der Autofahrt durch eine Landschaft zeigt, dabei brüllend: „Fichte, Tanne, Lärche, Kaninchen, Fleisch!“ Wie verhält es sich mit der Idylle in unserer Zeit mit unserem Kannibalismus der Schöpfung gegenüber, und welche Rolle spielt der Einzelne bei all dem zwischen Vergangenheit und Zukunft, Denken, Handeln und Dasein ...

Wilhelm Mundt Unklumpen, noch bis 31. Juli im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal,
www.skulpturenpark-waldfrieden.de

TH

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