In seinem neuen Roman, der nicht die Entdeckung, sondern ausdrücklich die Eroberung Amerikas thematisiert, folgt der Österreicher Franzobel dem spanischen Konquistador Ferdinand De Soto über den großen Teich. Von Sevilla aus startet im Jahre 1538 die Expedition mit 800 Mann, etlichen Pferden, Schweinen und anderem für die langfristige Versorgung benötigtem Getier über La Gomera nach Kuba. Von dort ist es nur noch ein Katzensprung nach Amerika, konkret nach Florida, wo ein Eldorado vermutet wird. Die Realität indes wird eine andere sein, die Träume von Gold und Reichtümern kollidieren mit einer Situation, die das komplette Gegenteil beschreibt, Gewalt, Hunger und multiplen Tod, manchmal auch ohne De Sotos aggressives Dazutun, es genügt das Gerücht: Ein ganzes Dorf, 71 Leute, erhängt sich vor seinem Eintreffen, weil die Bewohner die Versklavung befürchten.
Die ganze Unternehmung erweist sich ohnehin rasch als fulminantes Scheitern, die einzelnen Aktionen, die Versuche, die Hindernisse (z.B. in der Kommunikation mit den Indianerstämmen) beiseite zu schaffen, sind gleichermaßen von Naivität wie von schierem religiösem Wahn beseelt. De Soto erweist sich, obwohl die ganze Zeit über keinerlei Kolonien gegründet werden, als Kolonialist erster Güte. Allein die Diskussion, wie mit den Indianern nach der Eroberung Floridas umzugehen ist, weist darauf hin, dass Versklavung jederzeit eine Option ist. Bei den zahlreichen Scharmützeln sterben viele seiner Männer; ihnen steht immerhin, so ist das bei Kreuzzügen halt geregelt, ein christliches Begräbnis zu, De Soto lässt es sich nicht nehmen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine Messe zu lesen, um den Sieg des Christentums zu feiern. Nicht alle aber sind auf den Kopf gefallen: Der verschlagene Häuptling Casqui verhandelt mit ihm, räumt seine Niederlage ein, um dann über ihn und seine Mannen herzufallen; De Soto lässt ihn kurzerhand kreuzigen und 500 seiner Leute töten. Er dringt weiter ins Landesinnere vor, stößt auf verlassene Dörfer – „Die Kunde vom Strafgericht an Casqui musste sich wie ein Waldbrand ausgebreitet haben.“ Das Missionarische bleibt ihm eigen, denn „nur mit Wundern konnten sie die Wilden ködern.“ Etwa wenn es darum geht, Wasser in Bier zu verwandeln; Seelenrettung ist ihnen leidlich schnuppe.
Doch wie man es dreht und wendet: Selbst nach einem Jahr ist De Soto nicht wirklich vorangekommen, er kann allenfalls für sich in Anspruch nehmen, den Mississippi entdeckt zu haben, dumm nur, dass ausgerechnet der sich als unüberwindbares Hindernis erweist. Die Stimmung der Truppe sinkt zusehends, das „Perlenland“, das ihnen einst verheißen war, erschließt sich nicht. So wird bald die Rückkehr erwogen. Dezimiert (die Hälfte der 800 Männer ist tot), frustriert, gescheitert und um die Erkenntnis reicher, dass es in Amerika kein „Goldland“ gibt, geht es zurück nach Spanien.
Franzobel hat seine fabelhafte Fabulierkunst schon oft unter Beweis gestellt, hier veranstaltet er einen Geschichtsunterricht ganz besonderer Art, auffallend arbeitet er mit allerlei Anachronismen. Das Geschehen kommentiert ein heutiger Erzähler, der damalige Phänomene mit der Sichtweise und Sprache des 21. Jahrhunderts verschränkt: So tauchen Vergleiche auf mit Hollywood, Internet, Fußball, mit Schauspielern wie Robert Redford oder Paul Newman oder dem Mann aus der Camel–Werbung. Groteske Vergleiche, Wortspiele, auch zeitgemäßer ironischer Unsinn wie ein feministischer Stamm, bei dem Männer zur Dienerschaft degradiert sind und denen es verboten ist, im Stehen zu pinkeln, gehören dazu. Franzobel liebt das Drastische, das Naturalistische, er offeriert einen Funkenflug der Ideen. Die Vermischung von Fakten der Geschichte und einer reichen, geradezu überbordenden Fantasie zeitigt ein einzigartiges Leseerlebnis.
Franzobel: Die Eroberung Amerikas. Roman. Zsolnay Verlag, Wien 2021, 543 S., 26.-€
aus biograph 08/2021
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