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Die Phantome des Pfandleihers

Die biograph Buchbesprechung von Thomas Laux

Sol Nazerman hat was hinter sich, es ist von „Beschädigungen an Körper und Geist“ die Rede, aber was da genau passiert ist, erfährt man zunächst nicht, es heißt lapidar, Sol trage „ein Geheimnis“ mit sich. Sol führt eine Pfandleihe in Spanish Harlem, was nun kein Ort für nostalgische Träume ist, eher einer für knallhartes Kalkül, denn Sol erweist sich, wenn die Leute zu ihm kommen, um ihm ihr Zeug anzudrehen, als eiskalter Hund. Sol hat viel Erfahrung in Sachen Ramsch & Beschiss, und so muss er eben auch wachsam sein: wenn einer daherkommt mit einem Rasenmäher, dann schrillen die Alarmglocken, schließlich könnte das Ding ja auch geklaut sein, und dann könnte Sol unversehens Ärger mit den Behörden bekommen.
Es ist eine kunterbunte Truppe, die hier ein– und ausgeht, Sols knurrig–knorzige Verhandlungsart ist spektakulär. Mit ihm im Laden steht der junge dunkelhäutige Jesus Ortiz, der ihm zu Hand geht, allerdings auch einen schlechten Umgang pflegt: seine sogenannten Freunde treten eines Tages mit dem „Vorschlag“ an ihn heran, seinen Chef gemeinsam auszurauben. Zumindest vorläufig zeigt Jesus sich noch loyal gegenüber seinem Arbeitgeber. Wie lange das gelten wird – wer weiß.
Eine beiläufig eingestreute Beobachtung hätte Jesus etwas mehr über den jüdischen Pfandleiher wissen lassen können, doch Jesus kann mit den blauen Zahlen an Sols Unterarm nichts anfangen. Als Leser hat man nun natürlich den hinreichenden Beleg für seine KZ–Gefangenschaft, doch die wird kaum direkt thematisiert, sie macht sich bei Sol vornehmlich in seinen „zerquälten Nächten“ bemerkbar, wenn er aufwacht, von Alpträumen zerfressen. Tagsüber geht Sol mit seiner Vergangenheit eher diskret um, aber sie erklärt wohl auch seine Misanthropie. Der Mann ist komplett desillusioniert („Seiner Miene nach zu urteilen, irrte der Pfandleiher durch einen namenlosen Friedhof der Gedanken“). Er traut keinem Menschen über den Weg, nicht Gott, nicht der Politik, nicht den Zeitungen, der einzige Mensch, der zwischenzeitlich und mit bescheidenem Erfolg in seine Nähe gerät, ist eine gewisse Miss Birchfield, die die Allüren des notorischen Griesgrams geflissentlich übersieht und versucht, ihn aus seinem Schneckenhaus herauszulocken. Fast rührend, wie sie sich nie davon abbringen lässt, ihm immer wieder ein wenig Lebensfreude einzuflößen; ein zähes Unterfangen.
Bereits in seinem ersten Buch auf deutsch, „Mr. Moonbloom“ (im biograph vor drei Jahren vorgestellt), hatte E.L. Wallant, der insgesamt nur drei Bücher verfasste und 1963 mit 36 Jahren jäh verstarb, sich auf einen Außenseiter fokussiert, der sich über die einzeln noch vorhandenen Bezüge zu seinen Mitmenschen profilierte; da war der Held ein Mieteneintreiber eines Mehrfamilienhauses, scheinbar kalt agierend, in Wirklichkeit aber nur seine sozialen Defizite verwaltend. Während jener Mr. Moonbloom am Ende aber auch emotional noch die Kurve kriegte, erleben wir Sol in einem virulenten „Zustand der Auflösung“. Seine Ruhe, seinen Frieden findet er nicht mehr, ja, er wähnt sich bereits tot („Gestorben war er schon längst, nur der Kadaver war noch zu beseitigen“). Als er den Laden aufgeben will, stellt sich ihm sein Boss, ein schmieriger, gewaltbereiter Zuhälter, in den Weg. Und dann ist da ja noch die Gang, die ihn ausrauben will. Ausgerechnet Jesus wirft sich vor Sol, als auf ihn geschossen wird; Jesus stirbt, und Sol irrt heulend durch die Stadt. Dem heute vergessenen Wallant ist ein großartiger Roman über die latenten Langzeitwirkungen unbewältigter Traumata gelungen. Absolut lesenswert.

Edward L. Wallant: Der Pfandleiher. Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch von Barbara Schaden. Berlin Verlag,
Berlin 2015, 351 S., 22.- €


aus biograph 01/2016

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