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Christian Jendreiko
Porträtfoto: © Jens Nober, Essen

Christian Jendreiko

Hier und jetzt

Der Raum ist schnell beschrieben. Er befindet sich im Über­gang von Alt- und Neubau, die Zugänge über Eck. Man durchquert das Museum Folkwang und landet fast zwangsläufig dort. Im Eingangsbereich hängt eine kleine Farbzeich­nung, Kurztexte zur Ausstellung von Christian Jendreiko befinden sich darunter in einem Kasten und auf den im Raum verteilten Schemeln. Für einige Minuten sitzt man hier alleine, ein paar Museumsbesucher gehen weiter in den anschließenden Saal, der, jetzt durch einen mittig geteilten Vorhang abgetrennt, Ma­lerei des deutschen Expressionismus zeigt. Auf jeder Hälfte des weißen Vorhangs befindet sich eine Farbzeichnung, die aus Folgen von Linien verknappte Figurationen konstituiert. Der Duktus entspricht dem Blatt am Anfang der Ausstellung und liegt im Prinzip des Lakonischen, bei dem ein Formelement zum anderen leitet, ja sogar im Arrangement des Raumes vor. Dort sind wenige Dinge – Objekte, Ausstellungsmobiliar, technisches Gerät – wie beiläufig, aber genau platziert. Im Grunde handelt es sich um modulare Repetitionen einzelner Typen in verschiedenen Daseinsweisen und unterschiedlicher Kombi­nato­rik, erst recht weil Vieles schon in früheren Ausstellungen und Aktionen von Jendreiko vorgekommen ist, etwa dem „Gottes­rauschen“, das 2007 im Kunstverein in Düsseldorf ein­gerichtet war.

In Essen nun führt der Weg mittig durch den Raum; die Dinge sind auf die sich gegenüberliegenden Seiten des Saals hin gerückt, die Sockel sind auf der einen Hälfte weiß, auf der anderen, auf der die Tools für die Soundcollage von Jendreiko und Werni stehen, schwarz und grau. Hier handelt es sich kaum um einen paradiesischen Garten, wie vielleicht der Aus­stellungstitel „Lust und Rätsel“ und Jendreikos Farbzeich­nun­gen nahelegen, die mit Linien überbordend gefüllt sind und in denen Schrift zum mäandernden Ornament wird. Andererseits finden sich im Saal einzelne Mineralien, einmal ist ein Gesteins­brocken unter eine Vitrinenhaube geklemmt und öffnet diese ein Stück weit; einmal hält ein Stein – unter einer geschlossenen Vitrine – ein Buch offen, in Langzeilen lesen wir hier u.a.: „Es geht darum, die Welt nicht als statisches Tableau wahrzunehmen, sondern als dynamisches Ereignis“ (- was man nicht sieht: Es handelt sich hier um Jendreikos Ausstellungskatalog „Heterologics“, 2009, mit dem Text „Skizzen“). Die Tisch- und Sockelvitrinen selbst forcieren ein fokussierendes Zeigen und Entziehen zugleich. Immer wieder greift die Präsentation Per­spektiven des Schauens auf und lädt die Dinge dadurch mit Bedeutung auf.

Das betrifft auch die Reisetasche, die „unberührbar“ und selbst noch geschlossen ist. Was ist als Inhalt zu erwarten, wenn auf ihr „roma“ steht, umgeben von billig gedruckten Fotos von Sehenswürdigkeiten? Und es gilt auch für den Stapel einzeln verpackter Farbzeichnungen, von denen man lediglich die oberste – die Oberseite – sehen kann und auch nur, wenn man sich auf die Zehenspitzen stellt. Daneben befindet sich eine verschnürte Rolle mit Malereien auf Papierbahnen, deren Farbigkeit rausblitzt. Sie sind Material für weitere Ausstellungen – oder diese schon, wenn sie geöffnet würden. So wie eine andere Farbzeichnung zu oberst des Stapels gelegt werden könnte oder die Textseite in der Vitrine umgeblättert werden könnte.
Einzelne Gitarren, die mit Kabeln an technisches Equipment angeschlossen sind, weisen auf den elektronisch erzeugten Sound, der die ganze Zeit im Raum schwebt, zum Teil des Sehens wird, sich selbst aber nicht fassen lässt: Ein sich selbst generierendes Spiel nach feststehenden Regeln, die nur die Programmierer kennen. „Zuhören, wie jemand Daten verarbeitet“, schreibt Jendreiko im Text „Ohne Titel“ (2009). Christian Jendreiko und Stefan Werni kommen zügig hinein. Während Werni sich hinsetzt und spielt, wechselt Jendreiko kontinuierlich zwischen den Reglern und Schaltern der elektronischen Anlagen. Die Töne und Sequenzen ergänzen sich, führen als Neue Musik vom einen zum nächsten, überlagern sich, manchmal scheint man das aufeinander Reagieren und miteinander Handeln der Beiden zu begreifen, aber es lässt sich kaum erinnern und ist nicht voraus zu denken.

Christian Jendreiko wurde 1969 in Recklinghausen geboren, er hat Medienwissenschaft sowie Germanistik und katholische Theologie mit Abschluss in Bochum studiert. Seit 2018 lehrt er als Professor für digitale Kommunikation an der Hochschule Düsseldorf, vorher hat er u.a. an der Kunstakademie in Nürnberg unterrichtet. Seit ihrer Gründung 1998 ist er Mitglied der überwiegend in Düsseldorf ansässigen Künstlergruppe hobbypopMuseum, das ebenfalls mit Strategien des Multimedialen und Performativen seine Ausstellungen entwickelt. „Bekannt ist er als Konzeptkünstler, der mit Profis und Laien Klangaktionen realisiert“, schreibt Helga Meister. „Im Gegensatz zu einem perfekten Klang bei der Musik geht es ihm um die körperliche Geste“. (Neue Düsseldorfer Kunstszene, Köln 2017, 162) Wobei Jendreiko ab Mitte der 1980er Jahre in Bands gespielt hat, von Anfang an bereits mit Stefan Werni, zunächst im Bereich von Jazz, ehe er sich ganz der elektronischen Musik zugewandt hat. Seine Aktionen basieren auf textlichen Notationen, diese Anweisungen initiieren Ereignisse, welche das Wandelbare – als Klang noch Ephemere – in sich tragen. Seine eigenen Aufführungen sind „generative Assemblagen“, die sich an Ort und Stelle verselbständigen. In der Präsen­tation im Museum Folkwang ist der Ausgangspunkt die Installation „Lust und Rätsel“, die er erstmals 2003 realisiert hat. Die Elemente korrespondieren sichtlich miteinander, aber die Beziehungen ändern sich mit jedem Schritt des Betrachters durch das plötzlich entstehende Dickicht. Ein junge, androgyn gestylte Frau, gekleidet in einen beigen Anzug und mit knallgelben Pelzschuhen, kommt in den Raum, öffnet die Vorhänge etwas und geht wieder weg. Wenig später läuft, im langen Gang schon von weitem sichtbar – und der Sound entschleunigt alles Geschehen – , eine Gruppe Kinder mit Malutensilien hierher, geht aber direkt zu den Expressionisten weiter. Ist das alles Zufall oder Plan, also inszeniert? „Lust und Rätsel“ – gilt das nicht für das kleine Ereignis des Alltags wie für das Leben in seiner Ganzheit?

Die Aktion am 30. März trägt einen eigenen, im Kontext nicht mehr kryptisch anmutenden Titel: „Das Zeug­nis“. Dazu haben Jendreiko/Werni ein Textblatt ausgelegt, bei dem jedes Wort auf der Goldwaage liegt. Also, es geht um Erzeugung und Bezeugung, also den Prozess und das Ergebnis, das im Wandel bleibt. Nach 50 Minuten ist der Set beendet. Während Stefan Werni noch etwas bleibt, ist Christian Jendreiko sofort weg. Später werden Beide wieder kommen und weiter (oder von neuem?) Sound produzieren. Und es folgen im Mai weitere Termine, dann mit Performances, Lesungen und Vorträgen. Denkbar dass sich unterdessen oder spätestens damit der Saal verändert. Also, es „geht darum, dass alles nebensächlich ist und doch alles zählt.“ (C.J., Skizzen, 2007-09)

Christian Jendreiko & Gäste, Lust und Rätsel
bis 26. Mai im Museum Folkwang in Essen
www.museum-folkwang.de

TH

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