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Porträtfoto: © Carsten Gliese, Köln

Bert Gerresheim

Andere Perspektiven

Bei Bert Gerresheim ist Heinrich Heine eine zerrissene Persönlichkeit. Sowohl das Hadern über die politischen Zu­stände als auch die Genialität bei gleichzeitiger körperlicher Destabilität zeichnen sich in seinem Bronzedenkmal am Schwanenmarkt ab. Auf der Wiese finden sich Trümmer, deren Details die Passanten nach und nach identifizieren. Heines monumentale Totenmaske ist von einem Gerüst umfangen, welches das antike „Scheingrab“ zitiert. Hingegen ist das Gesicht klein und in drei Blöcke gespalten. Eine Trom­mel verweist auf die Französische Revolution; in einem Buch mit dem Porträt Heines liegt eine Schere, welche die Zensur anspricht. Eine Öffnung des Ensembles in die Land­schaft findet dadurch statt, dass einzelne Teile auf einer Plinthe oder auf Pflastersteinen hervorgehoben sind. - „Wie Böcklins Toteninsel“, sagt Bert Gerresheim. Mitten in Heines Geburts­stadt hat er einen Ort für die Erinnerung, den Rückzug und das Mysterium geschaffen. Neben den Realismus, der noch erzählerische Züge besitzt, tritt die Abstraktion in sanft schwellenden, aber hart geschnittenen Elementen.

Die Werke von Bert Gerresheim – die Plastiken und die Zeichnungen – bersten an Verweisen und Zitaten zur Kunst- und Kulturgeschichte, vorgetragen als Realismus und Surrealismus. Objektives Abbild und subjektive Interpretation sind verwoben. Es geht um die Vielschichtigkeit, die Kom­plexität des Wesens. Viele seiner Werke konstituieren Risse, wortwörtlich. Gesichts- und Körper­partien sind expressiv bewegt, dabei verschoben und manieristisch verdreht. Bei einzelnen Arbeiten wird dies durch einen farbigen, unter den Vorsprüngen streckenweise verschwindenden Streifen unterstützt, etwa beim „Hoppeditz“ (2008) an der Zollstraße. Schon 1967, als Stipendiat der Villa Massimo in Rom, hat Gerresheim diese bildnerische Form des Zweifels und des Relativen für seine Porträts und seinen kritischen Blick auf die Wirk­lichkeit entwickelt und dafür die Formulierung „Vexieren“ gefunden.„Verwandlung und die Frage nach der Identität sind die Themen Gerresheims, … als Folgen einer Aus­­­einandersetzung mit der Welt, in der der Weihrauch ebenso verfügbar ist wie das blutige Hemd des ermordeten Politikers, die nackte Wirbelsäule ebenso wie die Mütze des Komi­kers“, hat Uwe M. Schneede zu seinem bildnerischen Programm geschrieben, anlässlich seiner Einzel­­ausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf 1968.
Bert Gerresheim wurde 1935 in Düsseldorf geboren. Er hat hier an der Kunstakademie bei Otto Pankok studiert, aber neben den Zeichnungen auch schon Skulpturen geschaffen, wichtig wird die persönliche Begegnung mit Gerhard Marcks. Im Anschluss studiert er in Köln Kunstgeschichte, Archäologie und Germanistik: Quellen, aus denen sich bis heute sein Werk speist. Zu den fundamentalen Erfahrungen und Prägungen gehören die Aufnahme in den (weltlichen) Franziskanerorden 1974 und, ganz zu Beginn, die Dunkelheit als unmittelbare Gefährdung. Gerresheim erwähnt im Gespräch die nächtlichen Bombenangriffe, die er als Kind erlebt hat. In seiner Kunst ist das vielleicht noch in der Schilderung von Groteskem spürbar, welches bei ihm aber auch im Topos des Narren vorliegt.

Im Atelier an der Hüttenstraße, einer ehemaligen Druckerei, wo er seit Jahrzehnten arbeitet, hängt über dem Türsturz ein Druck des „Einzugs Christi in Brüssel“ von James Ensor. In seinen „Werkstatt­notizen“ hat Gerresheim jüngst geschrieben: „Bei jedem besuch in Ensors wohnatelier in der vlanderenstraat 27, Oostende, zerrspiegelt als raumdekor eine verspielte glaskugel das gesamte lebensambiente: alles erscheint als wechselhaftes gespensterspiel.“ - Natürlich kehrt Ensor im Atelier von Gerresheim auch an anderen Stellen wieder, geballt im „oostender stundenbuch“ (2011), das 66 Bleistiftzeichnungen umfasst und das Uta Hus­meier-Schirlitz vom Neusser Museum treffend als eine „Art Andachtsbuch“ bezeichnet. Es ist eine zeichnerische Interpretation von Ensors phantastischen Bildwelten. In drastischer Plastizität, mit nervösen Schraffuren in feinsten Grauabstufungen beschreibt Gerresheim, wie Gestalten hinter Masken und in Rüstungen grausam und betörend sinnlich auftreten. Ein Skelett verhüllt seinen Schä­del mit Blumen. Eine weitere, in Buchform publizierte Zeichnungsfolge ist „Extramundi“ (2013), die sich in ihrer Gliederung auf Dante bezieht. Überhaupt begegnen uns auf diesen Blättern die wichtigen Referenzen in Gerresheims Oeuvre, neben den Genannten etwa Hieronymus Bosch, Goya, de Chirico und Max Ernst. Die Porträts sind bilddominant, bisweilen sind weitere Motive collagenartig eingeblendet, und auch diese Zeichnungen sind auf das Prinzip des Vexierens hin angelegt. Vögel und Tierwesen tauchen hier ebenso auf wie sie in die Kleinplastik übertragen sind. Totentänze erweisen sich durchgehend als Sujet. Am berührendsten trägt Gerresheim die Gegenwart des Todes vielleicht in einer weiteren öffentlichen Plastik vor, im Bildfeld an der Westfassade der Marienbasilika in Kevelaer (2002). Ausgehend von der Offenbarung des Johannes und dem Bericht des Propheten Ezechiel, schildert er mit bronzenen Menschenmassen die Apokalypse. Dabei ist Gerresheim ganz in die christliche Heilsbotschaft versenkt: Diese ist wahrscheinlich doch die wichtigste Referenz seiner Arbeit.

Bert Gerresheim – Alles vexiert
bis 7. Februar

im Clemens Sels Museum in Neuss, Am Obertor
www.clemens-sels-museum-neuss.de

Thomas Hirsch

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