Vom Hauptberuf ist oder war Jean–Luc Bannalec, wie mittlerweile jedem interessierten Leser bekannt, nicht Schriftsteller, sondern ein deutscher Lektor aus dem S. Fischer Verlag in Frankfurt. Unter diesem Pseudonym (den Namen trägt übrigens auch ein kleines bretonisches Städtchen unweit von Quimper) hat er nun seinen achten Fall vorgelegt. Und auch seine in Frankreich nunmehr aus dem Deutschen übersetzten Bücher verkaufen sich wie warme Semmel, ähh, Croissants, ich meine, wie heiße Crêpes. Keine Frage, das mitschwingende Urlaubsflair, von der Erzählerstimme ordentlich angeheizt, hat daran entscheidenden Anteil. Soviel lässt sich seriöserweise festhalten: Es handelt sich bei Kommissar Dupin und seinen Mordfällen stets um eine solide und professionell abgewickelte Geschichte, hier konkret um eine Rachegeschichte, mit den notwendigen (wenn auch insgesamt recht spannungsarm verlaufenden) Volten und Haken, die zu erzählen, wie immer bei einem Krimi, sich verbietet. Dupin tritt dieses Mal sogar als ein ansatzweise an Literatur interessierter Beamter auf, die Lektüre muss natürlich seinem Tätigkeitsbereich entsprechen oder diesem zuträglich sein (wer liest auch schon einfach nur zum Spaß?) – und was läge da näher als der von ihm unendlich vergötterte Georges Simenon? Tatsächlich hat der einige seiner Romane in der Bretagne angesiedelt, vor allem „Le chien jaune“, der gelbe Hund, und der spielt wie auch Dupins gesamter achter Fall in dem Küstenstädtchen Concarneau. Dupin wird aus der Lektüre dieses Romans Rückschlüsse ziehen, die ihm bei der Lösung eines überschaubar komplexen Falls voranbringen werden. Aber diese intertextuellen Bezüge sind gleich mit das Reizvollste, was dieser Krimi zu bieten hat; ansonsten könnte man mit Fug und Recht von einer aufgemotzten Reisebroschüre (inclusive Kochrezepte) reden, geradezu aufdringlich manchmal, wie hier für eine Region, die das überhaupt nicht nötig hat, geworben wird.
Bannalecs Bretagne–affine Informationen prahlen nicht nur mit einem bunten Lokalkolorit und Wetterphänomenen der Superlative – prächtige Sonnenuntergänge, „paradiesischer“ Strand und Wasser wie in der Karibik , phantastisches Licht etc. –, sondern nähren auch das klischeehafte Bild vom eisernen Bretonen, der, sollte es in diesem Landstrich mal nicht ganz so traumhaft zugehen, sich davon null beeindrucken lässt: „Kein Bretone ließ sich wegen des Wetters von irgendetwas Wichtigem abhalten.“ Und schon gar nicht Dupin, der ermittelnde Kommissar, der ursprünglich zwar nicht aus der Bretagne stammt, aber angeblich schon lange dort lebt. Er ist einer, der eher nüchtern und beflissen seinem Job nachgeht und nur selten für Scherze aufgelegt ist; er nimmt seinen Beruf erkennbar sehr ernst. Aber einige Marotten, die er durchaus pflegt, scheint er von seinem Erzeuger übernommen zu haben. Auffallend, dass dieser koffeinsüchtige Kriminologe sich auf einer Terrasse nie irgendeinen Kaffee bestellt, sondern immer einen café bzw. petit café. Wie überhaupt des öfteren französische und deutsche Sprachregelungen durcheinander geraten, das product placement nimmt ohnehin Überhand, „Bannalec“ scheint seiner Bretagnetrunkenheit phasenweise komplett zu erliegen.
Es ist, als ob man an die Hand genommen würde und die besten Produkte einer Region vorgeführt bekäme. Klar, seinen Fans wird das nichts ausmachen, sie wollen das sogar. Und vermutlich wird auch der neunte Fall da anfangen, wo der achte aufgehört hat: genau in dieser bretonischen Wohlfühl–Oase, Mordfall hin oder her.
Jean-Luc Bannalec: Bretonisches Vermächtnis. Kommissar Dupins achter Fall. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019, 311 S., 16.-€
aus biograph Sept. 2019
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