Die Gespräche in der Atelierwohnung am Paulusplatz beginnen stilvoll, mit einem Ritual. Walter Vogel kredenzt einen Espresso. „Die Zubereitung [...] zeugt von Kultur und Genuss, und die Vorbereitung wird akribisch durchgeführt. Beste Bohnen vom Einkäufer, für jede Tasse frisch gemahlen, Tasse angewärmt. Gemahlen seit Jahrzehnten in einer kleinen handgroßen Kaffeemaschine, gemessen mit einer Stoppuhr. [...] Perfekt“, hat Ernst Volland in seinem Blog geschrieben.
Wir sind mitten im Thema: Mit seinen Fotografien, Büchern und Kalendern über die Caffè-Bars in Italien wurde Vogel über die Kunst- und Fotografie-Kreise hinaus bekannt. Seine fotografische Hommage an die Kaffeehäuser und an das Fortleben ihrer Traditionen besitzt die Qualität eindringlicher Reiseberichte. Vogel gestaltet seine Bücher zu den unterschiedlichen Sujets selbst, er legt die Bildabfolge fest und schreibt die Beschreibungen und autobiographischen Anekdoten. „Wer ein Kontrastprogramm zu Turin sucht, der ist in Genua gut aufgehoben. Schroffer, steiler, enger, tiefe Schatten, grelles Sonnenlicht“, notiert Walter Vogel und spricht damit das Sehen des Fotografen an, die Rolle des Lichts, von Helligkeit und Dunkel. „Genua la Superba – noch verbirgt sich der Glanz vergangener Epochen der Adelspaläste unter rußgeschwärzten Fassaden, vernachlässigt seit dem Niedergang der Hafenmetropole, die nur ein geschärftes Auge durchdringt. […] Erhabenheit und Verkommenheit, ein nicht reizloser Kontrast: In den düsteren Gassen öffnet sich manche Tür zu einer Bar, einem Geschäft, mit dem überraschenden Blick auf gepflegte Interieurs, penibel sauber und von einem Menschenschlag betrieben, der von alters her durch Fleiß und Zielstrebigkeit für seinen Lebensunterhalt Sorge trägt.“ (Caffè all‘italiana, 2013)
Im September 1961 ist Walter Vogel das erste Mal nach Italien, nach Venedig gereist. 1963 gibt er den sicheren Beruf des Ingenieurs in der Industrie auf, um sich ganz der Fotografie zuzuwenden. Er bewirbt sich für die Fotoklasse von Otto Steinert an der Folkwangschule Essen, mit Erfolg. Als Semesteraufgaben erstellt er erste Bildserien. Sie zeigen Situationen in Düsseldorf, Tiere und den Zoo und widmen sich dem Ruhrgebiet mit seinen Zechen und seinen Menschen. An der Folkwangschule befreundet er sich mit Pina Bausch. Er fotografiert sie über viele Jahre und begleitet sie bei einigen ihrer Gastspiele. Eine dieser Reisen führt 1968 nach New York und fördert seinen Entschluss, den Radius der Fotoreportage zu erweitern. Auftraggeber sind Zeitschriften; in den 1970er Jahren arbeitet er als Bildjournalist für das ZEIT- Magazin, daneben entstehen eigene fotografische Beiträge. Sie widmen sich besonders Orten, die im Wandel begriffen sind; mitunter kehrt er wiederholt, mit mehrjährigem Abstand, an sie zurück. Er findet die aussterbenden urbanen Milieus ebenso in Lüttich und Paris wie in den Altstadtgassen von Neapel und Genua. Er fotografiert die Slums in Kalkutta und den Rotlichtbezirk in Bangkok und reist für einzelne Serien mehrmals auf den afrikanischen Kontinent: all das analog und in Schwarz-Weiß, mit der Leica-Kamera für die Genreszenen, Interieurs und Stadtansichten und mit der Hasselblad für die Porträts. Vogel faszinieren die Paradiesvögel, die Zirkus-Artisten und die Travestie-Künstler, er arbeitet ihren Charakter, ihren Mut und ihre Einzigartigkeit heraus. Und er widmet sich ebenso den „kleinen Leuten“, wie er sagt, das sind in den Caffè-Bars die Bedienungen hinter der Theke und die Büroangestellten, die mittags ihren Kaffee trinken. Indem Walter Vogels Fotografie dem Tresen in die Raumtiefe folgt, erfasst sie die Personen im Profil. Bei einem Mann gerät die Armbanduhr in den Fokus, beim nächsten die Sonnenbrille, eingehängt in das Hemd – und dann zeigt sich, was für ein wunderbarer Choreograph Walter Vogel ist, der die Geschehnisse im Vordergrund und im Hintergrund zu orchestrieren versteht. Ein respektvoller Humor schwingt mit, Vogel porträtiert mit Grandezza. Er ist Teil des Geschehens und bleibt doch im Verborgenen. Er komponiert subtil; keine dominanten Schrägen, kein Vernachlässigen der Umgebung, vielmehr liegt eine gespannte Ruhe und Selbstverständlichkeit über den Darstellungen. Die Bildtitel nennen die Porträtierten ebenso wie den genauen Ort. Im nächsten Bild wendet sich Walter Vogel der Sachfotografie zu. Seine Stillleben zeigen einzelne Gegenstände, erst recht Kuriositäten wie den „verfahrbaren Zuckerstreuer, diebstahlgesichert“, den er in der Caffè-Bar „Stazione Terminus“ in Neapel fotografiert hat. Aber die Fotografie von Walter Vogel formuliert auch den leeren weiten Innenraum aus und sie erfasst den Platz auf der Straße. Kunstlicht wechselt mit Tageslicht und der schwarzen Dunkelheit, die von einzelnen Spots erhellt ist. Dann wieder verwandelt das Gegenlicht die Personen in Silhouetten.
Walter Vogel wurde 1932 in Düsseldorf geboren. Er beginnt 1950 zu fotografieren, die erste Kamera erwirbt er mit dem selbstverdienten Geld. Sein vielleicht bekanntestes frühes Bild zeigt den „Mathematiklehrer“ (1950): mit strengem, aufmerksamem Blick über den Pult gebeugt, auf diesem sorgsam die Utensilien angeordnet, hinter sich die kahle Wand – ausgestellt ist diese Fotografie derzeit im Stadtmuseum, neben weiteren frühen Aufnahmen aus dem Ruhrgebiet, darunter die „Kommunionkinder“ (1965) mit ihren weißen Kleidern vor den monumentalen dunklen Zechenanlagen, die wie ein Bergmassiv wirken. Im Opel-Werk Bochum (1965) fotografiert Vogel längs durch die Fertigungshalle, so dass man selbst den sechsten Kadett im Stakkato der seriellen Abfolge erkennen kann.
Bekannt wurde Walter Vogel in Düsseldorf aber vor allem mit seinen Aufnahmen der Kunstszene. Sie zeigen Daniel Spoerri und sein Restaurant in der Altstadt und Joseph Beuys mit goldener Maske und dem totem Hasen in der Galerie Schmela. Und dann gibt es über die Jahrzehnte die wunderbar schwerelosen Porträts und Bühnenfotografien zu Pina Bausch und ihrem Tanztheater. Ihr hat Walter Vogel später ebenfalls ein Buch gewidmet, voller Feingefühl und vorsichtiger Intimität, aber auch reich an Informationen. Von 1977 bis 1996 lebt Vogel in Frankfurt am Main, wo er ein Fotostudio betreibt und Auftragsfotografien erstellt, aber auch mit seiner Serie der Travestie-Künstler beginnt. 1996 wendet er sich wieder ganz der freien Fotografie zu; nach einer Zwischenstation in Bad Orb lebt er seit 2002 wieder in Düsseldorf. 2012 wurde er hier mit dem Kunstpreis der Künstler der Großen Kunstausstellung NRW und im vergangenen Jahr mit dem Preis der Leica Hall of Fame ausgezeichnet.
Außer im Stadtmuseum sind derzeit in der Kunsthalle am Grabbeplatz Fotografien von ihm zu sehen: drei Aufnahmen aus seiner Serie zum Spanischen Nationalzirkus (1964/65). Es trifft sich gut, dass jetzt im Verlag Thomas Resche ein bibliophiles Buch zu den Zirkusbildern, begleitet von Texten von Walter Vogel, erschienen ist. Und doch können die Reproduktionen in Büchern und Katalogen nur Hinweise bleiben, zu akribisch für den Offsetdruck erarbeitet Vogel in der Dunkelkammer Licht und Dunkelheit, Schärfe und Raumtiefe, Fläche und Kontur, bis er einen Abzug auf Baryt anerkennt. Das verdeutlichen die Aufnahmen in der Kunsthalle. Die spärlich beleuchtete pittureske Garderobe von Señora Mara lässt vielleicht an einen Voodoo-Tempel denken, den sie wie eine Hohepriesterin erfüllt. Der Arm ist über den Kopf gelegt, so dass die Muskeln und die Konzentration der Hochseilartistin sichtbar werden. Ein anderes, hochdramatisches Foto zeigt eine Revue mit weißen Tauben, die im Gegenlicht aus einem Korb flattern; die Artistin ist, konturiert von einer Korona, von hinten erfasst. Und dann fällt einem wiederum eine Aufnahme aus einer anderen Serie ein, die die Tauben auf dem Markusplatz in Venedig zeigt: Nun wieder am hellen Tag, im weiten, offenen Raum, mitten in Italien.
Walter Vogel ist beteiligt bei: „SUBJEKT und OBJEKT“ in der Kunsthalle u. „Antlitz der Stadt“ im Stadtmuseum, beide bis Mitte August.
Direkt beim Verlag Thomas Reche sind limitierte Bücher und Editionen von Walter Vogel zu beziehen: Hans Dieter Schäfer, Wiener Leben (Ligaturen 12); W. Vogel, Beediman – Porträts aus dem indischen Alltag (Refugium 20); W. Vogel, Mit dem Zirkus unterwegs (Ligaturen 16)
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