Archaisch und rätselhaft kommen die einzelnen Bildzeichen daher. Ein Stock oder Stab. Ein grober Kamm – oder ist es ein anderes Werkzeug? Eine Form erinnert an ein unteres Bein mit Fuß von Ausschneide-Gliederpuppen. Eine andere an einen Löffel. Eine weitere erlaubt vielleicht die Assoziation mit einer Beinprothese, die beweglich an einem Fuß hängt. Eine Nadel mit V-förmigem Ende scheint die Oberfläche zu durchstechen. Eine durch einen Lichtkranz hervortretende Figur erinnert an einen Kanister mit seiner Tülle. Auf der verkrumpelten Oberfläche treten kleine Fundstücke hervor, die vom Spielen oder Arbeiten liegengeblieben zu sein scheinen. Wie Fragmente der Braille-Schrift appellieren sie an den Tastsinn. Ein Bilderrätsel? Hieroglyphen? Rätselhaft!
Der Kunstfaserteppich ist in einen Bildteppich verwandelt und erinnert insofern an Tapisserien, die traditionell narrativ angelegt waren. Steinern grau-beige ist der schwarze Grund übermalt. Darauf sind Motive eingewirkt, allerdings nicht durch Kette und Schuss, sondern durch Farben, Füllspachtel und Zeichenkohle. Viele Elemente treten reliefartig hervor, werfen Schatten, so dass sie körperhaft akzentuiert sind. Zwei dunkle, dominante Linien kreuzen sich in der oberen Bildhälfte, als zeichneten sie abstrahiert einen schreitenden Menschen in Profilansicht nach. Sind es Hände, die an den Enden der kürzeren Linie angedeutet sind? Das menschliche Maß wäre mit der Höhe der Arbeit von 180 cm eine naheliegende Assoziation. Man könnte mit dem Bild auch den Ausschnitt eines Grabungsfeldes in Verbindung bringen. Eine Archäologie des Alltags oder der Erinnerungen? Dem Geist des Vergangenen widerspricht jedoch die Kunstfaser als materielle Basis. Was veranlasst uns überhaupt, Linienführungen und uns unbekannte Dinge mit Sinnzuschreibungen versehen zu wollen? Ist es der Versuch, die Welt durch kategorische Identifizierungen mental in den Griff zu bekommen? Unüberschaubarkeit durch Rasterungen erträglicher zu machen? Stößt unsere Selbstgewissheit und unsere Genussfähigkeit beim Sehen unbarmherzig an ihre Grenzen, wenn uns die rational sinnhafte Verortung fehlt? Tobias Kergers Arbeit lässt mehr Fragen als Antworten zu. Nicht nur seine Bildwelt, sondern auch der englische Titel verweigert alle schnelle und sinnträchtige Deutung: „Mad associations based on a crumb relief”. Die deutsche Übersetzung “Verrückte Assoziationen auf einem krümeligen Relief (basierend)” hilft auch nicht weiter. Die bruchstückhaften Applikationen auf dichtem Grund bieten manche Indizien, doch keine befriedigend schlüssige Aussage im Miteinander. Undurchdringlich dicht ist der Untergrund, und genauso undurchdringlich behaupten die einzelnen Bildelemente ihr Sein. Die Arbeit beansprucht die Anerkennung ihrer schweigsam eigensinnigen Natur. Der Versuch sie zu deuten macht den Akt des Übergriffs fühlbar...
Aus der Reihe „Kunst-Stücke“
In dieser Reihe schreiben Studierende der Kunstgeschichte an der H.-Heine-Universität Düsseldorf über Kunstwerke Düsseldorfer Künstler und Künstlerinnen.
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