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Atelierfoto: Silke Albrecht

Silke Albrecht

Malerei im Zustand der Auflösung

Die Malerei nimmt von der Fläche Besitz und reicht in den Raum. Silke Albrecht malt mit Tusche, Acryl, Öl, Lack, Spray. Sie trägt die Farbe mit dem Pinsel auf, vertreibt sie, schüttet sie und lässt sie fließen und sprüht an einzelnen Stellen. Mitunter grundiert sie die Baumwollflächen mit farblosem Binder, so dass die Textur sichtbar bleibt. In ihren aktuellen, in der Kunsthalle am Grabbeplatz ausgestellten Bildern tauchen reine Farbpartien als lebhaftes Geschehen in kaum zu fassender Präsenz auf, wachsen auseinander und schieben sich hell leuchtend übereinander, verfestigen sich zu abstrakten Verläufen und liegen dann wieder als weiche faserige Schleier voreinander. Sie wirken ebenso nahe wie entfernt und sind doch nicht zu fassen. Schon das allein ist sensationell.

Aber die Bilder erweitern sich – von Werkgruppe zu Werkgruppe verschieden – in den Realraum. So liegen Lochbleche über Teilen der Malerei und rastern diese sozusagen auf, entziehen sie zusätzlich dem Begreifen und steigern weiter das Gefühl ihrer Tiefe. Darüber, aber auch direkt auf der Malerei, kann ein farbiger Klebestreifen verlaufen. Auch können Stoffstücke oder eine transparente Plastikfolie appliziert sein. Oder Blumengranulat sitzt körnig dicht, wie ein Nebel, nebeneinander, und erst von nahem wird klar, dass es sich bei den dunklen Stellen um Schatten handelt. Verschiedentlich bezieht Silke Albrecht Farbreste, Überbleibsel vom Atelierboden ein und verweist damit auf den Ort der Entstehung dieser Bilder. Andere Arbeiten beinhalten collagierte Papiere oder eigene Fotografien. Bei einem Bild, das in der Kunst­halle hängt, hat sie einen Stofffetzen aufgenäht, der lapidar nach vorne hängt und in der Organisation des Bildgeschehens zum Zusammenspiel von Abstraktion und Konkretheit beiträgt. Auch Spiegelscherben, ein Ladekabel oder Stahlgitter sind Teile dieser Werke. Bildträger können ebenso bedruckte Stoffe sein, die sie zusammennäht, wie Kupferplatten, auf die sie in planem Zustand die Farben gießt. Das Farbklima und die Maßnah­men wechseln von Werkgruppe zu Werk­gruppe. Sie befragen jedes Mal aufs neue, wie sich konkrete Materie und das unbegreifliche Farberleben und Form und Formlosigkeit zueinander verhalten. Das betrifft nicht nur die rein ästhetische Ebene. Die Dinge in ihren Bildern stammen aus unserer Zivi­li­sation im 21. Jahrhundert, sie demonstrieren in ihrer Fragmen­tierung Überfluss und eine permanente Be­we­gung: Alles ist in Veränderung begriffen und schwappt auf die Malerei über.

In der Ausstellung der Best-Stipendiat*innen sind die Bilder von Silke Albrecht zusammen mit den Werken von Moritz Wegwerth und Nils Bleibtreu im Emporensaal der Kunsthalle zu sehen. Die Begleitbroschüre vermerkt dazu, gemeinsam sei den drei Künstler_innen, dass sie sich den „Heraus­for­de­rungen und Fragestellungen etwa nach der Autonomie des Individuums, dem Eintritt in ein neues Erdzeitalter – das Anthropozän –, der allgegenwärtigen Globalisierung und der neuen Herausbildung einer Weltgesellschaft“ stellen. Unmit­telbar bestätigt wird dies im Video „Ressort“ von Moritz Wegwerth, das die nächtliche Insektenvernichtung in einem fernen Urlaubsparadies, vorgetragen als wolkiges Gebläse in der Dunkelheit, zeigt. - Der Tourist möchte die Natur erleben und doch nur so viel Natur zulassen, wie sie ihn nicht stört, sagt Silke Albrecht.

Neben ihren abstrakten Bildern ist in der Kunsthalle eine realistische Malerei in Öl auf Leinwand zu sehen. Von schräg oben empfunden, strecken sich lange Blätter einer sternförmig wachsenden Pflanze dem Betrachter entgegen. Die Erde wirkt ausgetrocknet, die Blätter werfen Schatten; daneben befinden sich eine Gruppe kleiner hellgrüner Kakteen. Im Hintergrund flackert ein dunkelroter Himmel. Plötzlich scheint nicht die sich öffnende Pflanze den Raum zu definieren, sondern das Feld lichtheller Kak­teen auf der linken Seite, das geradezu plastisch auftritt. Das Ver­führe­rische geht mit einer beginnenden Fremdheit einher. Silke Albrecht er­wähnt für diese Werkgruppe Henri Rousseau und dessen naives Bild einer Schönheit des Exotischen, Unberührten der Natur, das heute mehr denn je unwahr ist.

Silke Albrecht wurde 1986 in Soest geboren. Sie hat zunächst an der Kunst­akademie in Münster in der Malklasse von Michael van Ofen studiert und so­­dann in Düsseldorf in der Klasse für freie Kunst von Andreas Gursky. Sie beginnt mit realistischer Malerei, die bereits inhaltlich gebrochen ist. Zu sehen sind gebaute Räume, die unbehaust sind, kalt und unergründlich wirken. Auch malt sie einen Schacht und ein Steinfeld mit einem schwarzen Loch. 2009/2010 entstehen Malereien von Tur­bi­­nen und Ventilatoren. Vielleicht hängt auch damit zusammen, dass 2011 die gegenständliche Motivik in abstrakte Splitter zerfällt. Von da aus entwickelt Silke Albrecht immer komplexere, nun gegenstandsfreie Bilder, die rein aus Farbigkeit bestehen. Zeitweilig wendet sie sich wieder realistischen Darstellun­gen zu; 2016 malt sie Figuren im Interieur, aber ohne Gesichter. Malerei unterläuft bei ihr das klassische Verständnis und befragt das Angemessene und die Aus­sagekraft dieses Mediums in heutiger Zeit, in der die gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Krisen um die Ohren fliegen und niemand vor den drängenden Problemen die Augen verschließen darf.

Darauf deuten noch die Titel einzelner Werkgruppen: „und was ist mit Afrika“ (2015) oder „dass der Mensch zur Natur gehört“ (2019). 2018 ist die Werkgruppe „shattered earth“ entstanden, die in der Philipp von Rosen Galerie in Köln ausgestellt war. Zu sehen waren dort Malereien mit collagierten Aufnahmen vom Kosmos, die teils an Satellitenbilder der Erde erinnern. Die Farbströme, die wie ein Hurricane durch das Bildfeld fahren und selbst in Auflösung begriffen scheinen, korrelieren mit den Farbfetzen und -punkten, die auf der Bildfläche pulsieren. In einem Bild aus der Serie „terrestrial“ vermitteln Plastiktüten und Baumwolltaschen mit den Aufdrucken ihrer Produzenten die Permanenz unseres Konsumrausches. Die diskreten Verweise auf den Müll und Schrott unserer Zivilisation aber ziehen sich als beharrlicher Ton durch die neueren Bilder von Silke Albrecht, es reichen schon die Rostspuren an einem Lochblech. Mit ihrer Kölner Galerie wurde sie zuletzt für eine Förderkoje auf der Art Cologne ausgezeichnet – wenn Corona es zulässt: im November, ansonsten im nächsten Jahr.

Silke Albrecht ist beteiligt bei „SURPRIZE. -
Die Stipendiat*innen des Best Kunstförderpreises“ in der Kunsthalle
am Grabbeplatz, bis 1. November, Di-So 11-18 Uhr.

TH

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