Nicht oft lädt eine menschliche Darstellung in Rückenansicht ein, das Betrachten derart mit Einfühlen in die dargestellte Figur zu verbinden wie beim Gemälde Der Krabbenfischer von Oostduinkerke. Die selbstvergessene Haltung des Mannes mit vornüber gebeugtem Kopf, um das Säubern der Krabben durch Rütteln im Meerwasser zu beobachten, der gespreizte Stand, um die Körperhaltung zu stabilisieren, die robuste Gummihose in ihren steifen Faltungen, die über die Hosenträger auf den männlich breiten Schultern Halt findet… All das macht die Figur so real und lebendig, dass man ihr Tun unwillkürlich nachempfindet. Die Kühle des Wassers, die Sand aufwühlenden Wellen und das Spritzen des Schmutzwassers aus dem Rüttelkasten vervollständigen das Bild, wie der Mann gerade arbeitet. Die Boje liegt ganz vergessen hinter ihm, er braucht sie gerade nicht mehr…
Dem Sujet nach könnte das Bild viel früher entstanden sein: Ein Mann bei der Arbeit ist als Bildthema keine Neuerfindung. Die Malerei stellt konzentriert eine reale Szene dar. Nirgendwo Getue. Nirgendwo Effekthascherei. Durch den Bildtitel ist die Szene zudem konkret an der Küste im flämischen Belgien verortet. Allein die schwache Wellenbewegung am Ufer zieht die Blicke in die unbestimmte Weite des Meeres. Über der scharf gezogenen Horizontlinie kündigt sich tröstlich eine Aufhellung an, als wäre der liebe Gott doch noch irgendwo zugegen. Und gar die Burgruine auf den Felsklippen riecht nach romantischer Verirrung. Inmitten der rauen Realität verschafft sich ein sehnsuchtsvolles Empfinden vom Einklang mit der Natur und dem All Gehör.
Die Malerei fesselt durch ihre Konzentration auf das sinnliche Wahrnehmen. Die nasse Kälte ist überall im Bild durch das Changieren von Braun und Blau-Grau zu spüren. Die Gummihose zieht in ihrem malerischen Gelb die Blicke an und macht die Vorstellung von klammer Kälte und dem umschlossenen Körper bewusst. Das Beobachten gerät selbst zum Betrachtungsgegenstand. Sehen, Vorstellen, Nachempfinden werden eins im subjektiven Empfinden von Raum und Zeit. Geht es letztlich um den Krabbenfischer von Oostduinkerke? So sehr er in seiner Körperlichkeit und seinem Tun malerisch real fühlbar gemacht wurde, so sehr wendet sich unser Blick zurück nach innen, wo Realität zu einem persönlichen Konstrukt wird.
www.orakatz.com
Aus der Reihe „Kunst-Stücke“
In dieser Reihe schreiben Studierende der Kunstgeschichte an der H.-Heine-Universität Düsseldorf über Kunstwerke Düsseldorfer Künstler und Künstlerinnen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Kai Richter
In situ
Keine Angst
„Tod und Teufel“ im Kunstpalast
Daniel BEN-BENYAMIN
GÖTTIN
Ilse Henin
Erzählungen vom Leben, vom Umgang der Lebewesen miteinander und von der Einrichtung in der Welt
In die Seele sehen
Chaïm Soutine in der Kunstsammlung NRW am Grabbeplatz
Volker Döhne
Spuren vom Menschen
Das Andere der Kunst
„Calling“ im Kunstverein am Grabbeplatz
Tobias Kerger
MAD ASSOCIATIONS BASED ON A CRUMB RELIEF, 2023
GEDANKEN ZUM MITNEHMEN
„Leonardo da Vinci – uomo universale“ in Wuppertal
Heike Kati Barath
Auf der Kippe
Jan Stieding
Nach der Erinnerung
Ein Kleid für ZERO
Vom Fortleben einer Bewegung in der ZERO foundation
Paula Knaps Loos
AUGE UM AUGE
Manfred Müller
Fläche und Körper
Ein Jahr für Sigrid Kopfermann
Drei Ausstellungen zum 100. Geburtstag
Seoyoung Yun
o.T., 2023
Mio Zajac
CLARK SICKLE-LEAF CARPET
Peter Piller
Bilder entdecken und sehen
Die Reize echter Fotografie
Drei Ausstellungen im NRW-Forum
Jan Kolata
Formereignisse, die sich zueinander verhalten
Heerich und Hombroich
Erwin Heerich noch zum 100. Geburtstag
Andreas Steinbrecher
PHILIA 2022
Jeehye Song
Seltsame Zeiten
Mit der Linie
Norbert Kricke zum 100. Geburtstag
Ulrike Arnold
FALESIA, Algarve, Portugal #1, 2021