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Norika Nienstedt
Porträtfoto: © Michael Jonas, Düsseldorf

Norika Nienstedt

Gestalt im Gegenüber

Manche Kunst bleibt in einer so lauten, mit Kultur randvollen Stadt wie Düsseldorf eine Sache der Eingeweihten, das sind oft die Künstler. Sie ist folglich mehr in den Off-Räumen als den Museen oder Galerien zu sehen. Um so erfreulicher, wenn sie von Zeit zu Zeit auftaucht, erst recht, wenn dies bei großen, allgemein frequentierten Ausstellungen der Fall ist. Dann kann man sehen, wie sich das stille, kleine Kunstwerk nach außen hin artikuliert. So erging es in der Großen Kunstausstellung NRW jüngst den Collagen von Norika Nienstedt. Vielleicht war die Ausstellung insgesamt dieses Jahr schwächer als in den Jahren zuvor, beginnend mit den Werken des Preisträgers, vielleicht gab es überhaupt weniger zu entdecken – aber egal, für Bilder wie die von Norika Nienstedt hat sich der Besuch gelohnt. Sie selbst ließen sich von alldem nicht beeindrucken und insistierten auf ihrer Aura: Einzelne Figuren standen im unscharfen, schwarz-weißen Bildraum; das Geschehen verhielt sich zwischen Dada und Séance, zumal die Figuren teilweise vor applizierten Farbformen verdeckt waren. Was war da überhaupt gemalt oder geklebt, oder handelte es sich nicht vielmehr um einzelne Fotos aus einer anderen, fremden, seltsamen Welt?

Große Formate waren nie die Sache von Norika Nienstedt, auch früher nicht, aber auf ihre vergangenen Werkgruppen möchte sie im Atelier an der Ackerstraße nicht weiter eingehen. Alles begann in den 1970er Jahren in Weinheim an der Bergstraße mit Kunst-Puppen von Menschen. Nach ihrem Umzug nach Düsseldorf 1982 entstanden sie auch im Hinblick auf Trickfilme und Musikvideos etwa von Pyrolator.
Davor lag das Studium 1975-79 an der Städelakademie in Frank­­furt a.M., in der Malklasse von Johann Georg Geyger, in der sie Porträts gemalt hat: von Freunden, aber auch bekannten Persönlichkeiten... Eine Zeichnung von Frank Zappa hängt jetzt an der Wand im Atelier, entstanden Mitte der 1990er Jahre. Weitere gemalte oder gezeichnete Porträts widmen sich Kulturschaffenden früherer Generationen wie Max Ernst oder Franz Kafka.

Und dann holt Norika Nienstedt doch noch eine späte, um 2000 entstandene, etwa 30 cm große Puppe hervor. Sie zeigt einen Astronauten, ganz realistisch gestaltet. Hinter dem Glas des Helms erkennt man den Kopf von Charles Wilp, mit dem sie ebenfalls für Musikvideos zusammengearbeitet hat. - Auch wenn der Realismus in den neueren, seit 2007/08 entstehenden Collagen und Tuschbildern – und den Kombinationen aus beidem – zunehmend dem Surrealismus gewichen ist und auch wenn längst keine Puppen mehr entstehen: Das Motiv der Glaskugel spielt auch jetzt, auf der Fläche immer wieder eine Rolle: als Tropfen, als lichtheller Schleier, der sich vor den Kopf schiebt. Oder als Blase, die vor dem frontalen Gesicht liegt, ebenso wie Beulen, die den Leib überziehen. Ein weiteres ist das durchgehende Interesse am Porträt, auch in der Ganzfigur. Fast alle ihrer Bilder lassen sich diesem Genre zurechnen, selbst wenn das Gesicht verdeckt oder die Figur abgewandt ist oder eine Symbiose mit Tieren eingeht.

Daneben hat Norika Nienstedt vor einigen Jahren Collagen mit zusammengeschobenen, fragmentierten Häusern auf Felsbrocken oder Stelzen geschaffen: Wie eine Mischung aus dem Turmbau zu Babel und der Arche Noah scheinen sie Überbleibsel einer Naturkatastrophe zu sein, das aus eigener Kraft von Ort zu Ort zieht. Ausgestellt waren diese Bilder 2014 im Ausstellungsraum plan.de gemeinsam mit fahrenden Modell­eisenbahnen von Michael Jonas, die mit ihren hoch aufragenden Konstruktionen aus Natur und Zivilisation Bezug darauf nahmen.

Grundlage aller Bilder von Norika Nienstedt mit dem Medium Collage sind vorgefundene Fotografien, die sie aus Zeitschriften nimmt. Die Malerei und Zeichnung wird von ihr so virtuos eingesetzt, dass man die Schnitte gar nicht sieht und alles wie aus einem Guss wirkt. Auch bei den reinen Aquarellen stellt sich eine Logik der Präsenz ein, als beruhten sie auf einer fotografischen Realität. Oder führt alles nicht vielmehr in die Welt der Träume und des kollektiven Unterbewusstseins, visualisiert durch die Erinnerung an Märchen und die Überlieferung weit zurückliegender Ereignisse, die mit der Patina des Nostalgischen überzogen sind? Die Bilder von Norika Nienstedt zeigen mithin die Protagonisten solcher Erzählungen, die nun für einen Augenblick wieder auftauchen: viele Mädchen, aber auch Männer und Jungen, alle mit großen Augen, dabei in ihrer Frisur und ihrem Habitus an das frühe 20. Jahrhundert erinnernd. Details wie die seltsamen Hüte und der direkte, aufmerksame Blick verstärken das Unheimliche. Bilder von Hans Bellmer und Hugo Ball und Hannah Höch – Max Ernst sowieso – fallen ein, sogar Francis Bacon, das Fragile des Fin de Siècle und das Zerrissene der Weimarer Republik, aber immer bleibt das Geschehen im ortlosen Raum. Hingetuschte und dadurch halb abwesende Frauen tanzen für sich. Es sind eindringliche Ereignisse aus Abwesenheit und Präsenz, Schweigen und Klang, mit denen Norika Nienstedt die kunstvollen Techniken der Collage und der Aquarellmalerei aus der Tradition in die Gegenwart überführt – als Mittel. Denn so weltabgewandt und verloren diese Bilder wirken, so welthaltig sind sie doch. Zu ihren Themen gehören Fragen der Identität, der Vereinzelung und des Heimatlosen in der heutigen globalisierten, technisierten, anonymen Gesellschaft. Sie bannen ein Gefühl der Verunsicherung, und plötzlich fehlt der Boden unter den Füßen und die Augen sind weit aufgerissen.

Norika Nienstedt
ist bei den Kunstpunkten beteiligt: Kunstpunkt 103
Ackerstraße 29a, im Hof
Sa./So., 21./22. September

TH

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