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Foto: © Rose Shoshana, Los Angeles

Manfred Müller

Fläche und Körper

Die Umstände bringen es mit sich, dass das Gespräch anders und doch vertraut verläuft, im Atelier im Hinterhofgebäude an der Bilker Straße, auf Distanz und um so näher an den Faltobjekten, bevor diese direkt an der Wand oder in Kästen für Ausstellungen geschützt sind. Jetzt, in den Monaten, die Manfred Müller wieder mal in Düsseldorf ist, liegen oder lehnen die als Hochformate beidseitig nach innen gefalteten und eingeschnittenen steifen Fabriano-Papiere oder Filzlagen, welche die Ölfarbe aufsaugen, in einer Reihe. Sie sind Flä­che und Volumen zugleich, signalisieren wie Mäntel, die einen menschlichen Körper bedecken, Schutz und Wärme und sind im Verhältnis beider Seiten auf Spannung und Ausgleich angelegt. Körperlich-sinnlich erfahrbar, lassen sie im übertragenen Sinn an Torsi denken und sind doch abstrakte Zeichen. Die Konturen bleiben als scharf gezogene Linien und damit Handlung auf den Raum hin sichtbar. Seit den 1980er Jahren in mehreren Schritten und Ableitungen entwickelt, bilden diese Faltobjekte einen Schwerpunkt in Müllers Schaffens. Die „Coats“ entstehen bevorzugt in rot, seltener in blau; die „Preludes“ sind zumeist in ein geschlemmt wirkendes Weiß gefasst. Manfred Müller verweist für ihre Formsprache etwa auf den Suprematismus. Ergänzen ließe sich der Hinweis um Hugo Balls berühmtes Porträt mit einem Mantel abgeleitet aus der Geometrie. Zumal bei den scheibenförmigen Aus­sparungen lässt sich ebenso an indus­­trielle Lochbleche denken wie auch in der plastisch-räumlichen Überlagerung an Krater. Dazu sind an einzelnen Rän­dern Stege aus Karton angesetzt, die noch die skulpturale Evidenz verstärken. - Sie sind, eine weitere, aktuelle Werkgruppe, indirekt den Rillen und wieder geöffneten Faltungen der Bilder auf Manilapapier eingeschrieben, die sich aus ineinander verzahnten hell-dunklen Flächen konstituieren, der Werk­­gruppe „Repercussion“ etwa. Sie lassen sich noch bis zu Müllers frühen raumplastischen Ensembles zurückverfolgen.

Manfred Müller wurde 1950 in Düssel­dorf geboren. Er hat zunächst Grafik­design studiert und ist dann an die Kunstakademie gewechselt. Kurze Zeit ist er in der Klasse von Klaus Rinke und studiert dann vor allem bei Erwin Heerich, der selbst im Grenzbereich von Architektur und Skulptur tätig ist. Bereits um 1980 erhält Müller Ausstel­lungen; seine Skulpturen lassen sich zeitweilig den sog. „Modell­bauern“ im Umfeld der Kunstakademie Düsseldorf zuordnen. Er wird zu mehreren Ausstel­lungen eingeladen, die dem programmatisch nachgehen, etwa 1981 im Rheinischen Landes­museum Bonn „Plastische Versuche“ und 1985 in Wuppertal „Die sich verselbständigenden Möbel“. Im Katalog der Ausstellung „mitten im Werktag“ im Kunstverein Bonn im gleichen Jahr hebt Annelie Pohlen die präzise Ambivalenz seiner skulpturalen Ensembles hervor: „Architektonische Landschaften oder planetarische Vorstellungen?“ Sie ergänzt: „Diese für sich genommen abstrakten Planspiele greifen im intuitiven Wahr­nehmungsraum dort, wo seit jeher die Wahrnehmung der Außen­wirklichkeit in abstrakten Modulen verdichtet und von dort weiter planend in die Gestaltung des Zivilisations­raumes überführt wird.“ Diese Werke aus Holz und Karton kennzeichnet eine fragile Befindlich­keit, die sich im Zueinander von Lehnen, Ruhen und Durchdringen mustergültig skulptural formuliert und auf geometrischen Modulen der urbanen Ein­richtung basiert. Er kombiniert kreisförmige Scheiben, Halbkugeln und Schalen mit Abfolgen von Stegen, so dass diese skulpturalen Ereignisse schließlich an maschinelle Apparaturen ebenso wie an Architektur­frag­­mente erinnern können. Ab 1981 entstehen sie in der Atelier­gemeinschaft in der Rather Straße 25, dem ehemaligen Schlachthof in Derendorf – u.a. mit Liz Bachhuber, Ernst Hesse, Wasa Marjanow und Martin Schilken – und führen etwa 1989 zur Teil­nahme an der Ausstellung BonAngeles im Santa Monica Museum of Art. Das Sujet von Müllers Beitrag ist ein zerstörtes, versengtes Klavier, das er zuvor in einem Gebäude, das Obdachlosen als Unterschlupf diente und abgebrannt war, gefunden hat. Müller kippt es auf den Boden und bedeckt es mit einem schwarzen Vorhang, der er wie ein „Wasserfall“ über die freigelegten Klaviersaiten „fließt“ und auf die See der nahen Westküste ebenso wie auf ein Grab anspielt. Taktilität und eine Dichte, die sozusagen den Klang verstummen lässt und in der Raffung mit Licht und Schatten spielt, sind Sinneseindrücke dieser für Müller zentralen Inszenierung, die das Ready-made einbezieht und soziale Aspekte bedenkt. In Los Angeles wird er später bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt, der ihn die körperlichen Grenzen verdeutlicht, und hier lernt er seine Ehefrau kennen. Seither lebt er im Wechsel in Los Angeles und Düsseldorf.

Die Installation mit dem Klavier führt ihn 1998 zu einer Installation, die bis vor einiger Zeit unter dem Santa Monica Pier montiert war. Müller hat drei leuchtend rote Boote vertikal an Säulen platziert; bei Flut wurden sie von Wasser umspielt und sprachen im Wechsel der Gezeiten damals bereits einen drohenden Klimawandel an. Zugleich boten sie als Architektur Schutz und Unterkunft. „Durch die tageszyklisch wechselnde Lichtsituation wird die gesamte Dramaturgie des künstlerischen Konzepts auf ideale Weise unterstützt“, hat Müller im Interview gesagt und von einer „Lichtspiritualität“ gesprochen (Ratingen, 2003/04), die sich nun auch an den „Coats“ feststellen lässt. Und bei den Booten handelt es sich, langgezogen und mit parallelen Stegen strukturiert, um Schalenformen, wie er sie in seinem frühen Werk als Gefäße in Regalen angeordnet hat und später als tiefschwarze Silhouetten in eingefärbte Papiere gemalt hat, inmitten deren sie Bewe­gung und organische Verbindung signalisieren. Mittlerweile hat es Müller zu Werkgruppen mit Fotoarbeiten geführt, bei denen er eigene s/w-Fotografien von Landschaften oder anonymen Architekturen verblasst, mit fließenden Emulsionen abgezogen hat, so dass sie vergangene Zeiten und Eingriffe in die Natur ansprechen, und mit Farbfeldern – immer monochrom, aber malerisch im Vortrag – kombiniert, sowie zu Malereien und Collagen auf Papier, bei denen Felder aufeinanderstoßen, zugleich aber durch die Grate vorheriger Faltungen rhythmisiert und strukturiert sind: Also alles hängt schon formal in Müllers Werk mit allem zusammen. Er selbst nennt als Gemeinsames das „Echo“. Da ist das Wiederkehrende, sich auf tieferen Ebenen oder versetzt Spiegelnde oder Verschiebende der Kontu­ren und Stege, unterstützt vom Licht, das aufgesogen oder reflektiert ist. Und es ist Ausdruck des eigenen Lebens als körperliche Fragilität und geistige Befind­lichkeit. - Aber ganz so möchte Manfred Müller das Gespräch nicht beenden: Intuitiv verweist alles noch auf die Befragung der Aufgaben der Kunst und dem Leben mit dieser und wie sich die kulturellen Systeme in den USA und Deutschland unterscheiden – wie der Künstler in der Welt steht.

… ins Auge fassen … Manfred Müller & Ernst Hesse
bis 4. Juni in der Kunstgalerie Meerbusch, Mühlenstraße 1

TH

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