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Klaus Klinger
Porträtfoto: © Tuha

Klaus Klinger

Lokal und global

Die Wandmalerei in Düsseldorf wird unterschätzt. Sie ist ein Sonderfall der Street Art und der Urban Art, neben solchen Praktiken wie Graffiti oder der Stencil Art, Guerilla Gardening oder dem Urban Knitting – und alle Vorgehensweisen sind in Düsseldorf ganz gut präsent und beleben oft positiv den Stadtraum, kämpfen gegen die Tristesse uniformer übermächtiger Fassaden und die Anonymisierung der Stadt und erobern diese für die Menschen und ein Miteinander wieder. Sie entstehen quasi über Nacht und bleiben eine Zeit. Die Wandmalerei selbst braucht zum Entstehen länger, mehrere Tage bis hin zu einigen Monaten, sowieso läuft sie nicht im Geheimen ab. Sie wird öffentlich auf Gerüsten ausgeführt, sie muss geplant sein, auch muss die Wand präpariert werden, die Flächen sind riesig. Zwar halten sich die Künstler*innen gegenüber der oft plakativen Darstellung und ihrer Botschaft im Hintergrund und verzichten meist auf überdeutliche Handschriften, bleiben aber nicht – oder kaum – anonym. Die kahle Hauswand mit ihren außergewöhnlichen Maßen und Formvorgaben wird, mitunter sogar über Eck, zur Leinwand. Überwiegend handelt es sich um Auftragsarbeiten oder Absprachen mit den Hausbesitzern, dazu den Nachbarn. Ausgiebig diskutierte Entwürfe gehen der Ausführung voraus. Mit diesem demokratischen Prozess korreliert die Intention, die Zustände anprangert, aufmerksam macht und manchmal ja direkt auf unerträgliche Situationen vor Ort (etwa Gentrifizierungen) hinweist – abgesehen von rein im Kunstkontext erstellten Werken wie Sarah Morris‘ Wandbild „Hornet“ bei der Kunstsammlung NRW, aber das hat natürlich auch seinen Sinn in diesem abstrakt konstruktiven Vokabular an diesem Ort.

Die Wandmalereien und -sprayereien im urbanen Raum – zu denen die Wände an Unterführungen kommen – sind realistisch mit Illusionseffekten infolge perspektivischer Verschiebungen: Eine Person steigt scheinbar eine Treppe hoch. Dazu sollen die Darstellungen rasch und unmittelbar, also auch für vorbeifahrende Fahrzeuge, zu erfassen und anschaulich angelegt sein. - Inwieweit läuft das noch unter Kunst? Solche Fragen interessieren Klaus Klinger, der an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Richter und Christian Megert studiert hat, nicht besonders. Im Atelier am Fürstenwall, in dem er seit vierzig Jahren arbeitet und das auch der Ort des gemeinnützigen Ver­­­eins farbfieber, bereitet er gerade die schablonenartigen Bildformen für ein Fahrzeug bei der Demonstration von Verdi vor. Klaus Klinger gehört zu den frühesten Vertretern der Wandmalerei hierzulande, er ist einer ihrer Pioniere und bis heute mit ihren Akteuren weltweit, aber auch der Street Art-Szene in Düsseldorf vernetzt.

Die ersten Bilder an Hausfassaden entstanden im Studium, als er als Mitglied im AStA tätig war. Auslöser war die eigene Wohnungssituation an der Grafenberger Allee, an der die Wohnungsbaugesellschaft „Neue Heimat“ eine Häuserzeile abreißen wollte, um dort Luxuswohnungen hin­zu­­­stellen. Im Herbst 1977 und 1978 malten Klinger und seine Mitstreiter auf elf Hausfassaden aussagekräftige Bilder. Zwar konnte der Abriss nicht verhindert werden, aber die Aktion erhielt mediales Interesse und, vor allem, die Anwohner stellten sich wortwörtlich vor „ihre“ Wandmalereien, als Trupps zum Übersprayen kamen. Getragen von einer Vielzahl dringlicher Anliegen und der Sympathie in der Bevölkerung gründete sich daraus die „Wandmalgruppe Düsseldorf“ mit Klinger, Thomas Giese, Willi Oesterling und Gerd Trostmann, zu denen von Mal zu Mal weitere Mit­arbeiter*innen stießen. Von Anfang an wurden die Anwohner einbezogen. Wichtig sind bis heute, über die sozialen Themen hinaus, das gemeinsame Feiern und Zusammenbringen der Menschen und die Arbeit mit Jugend­lichen. Fundiert wurde die Wandmalerei von Klaus Klinger damals durch eine mehrwöchige Reise nach New York, wo die ersten Sprayer tätig waren, und nach Mexiko, um die Wandbilder des Muralismo (Orozco, Rivera, Siqueros) zu sehen, die die sozialen, urbanen und geschichtlichen Mitteilungen sozusagen in der Sprache der Straße vortrugen. - L‘art pour l‘art wäre mit der „Wandmalgruppe Düsseldorf“ nicht zu machen, hat Jens Prüß geschrieben (Kat. Schöne Bescherung II. Teil, 1991). Stattdessen wandten sich die Künstler gegen Wohnungsnot und Spekulantentum und setzten sich für Frieden und Abrüstung ein. Daraus ergaben sich die künstlerischen Maßnahmen, die nicht nur aus Malerei bestanden, sondern auch aus plastischen Elementen, die an Gebäudefassaden montiert wurden, sowie aus Masken und den ganzen Körper bedeckenden Silhouetten, die kritisch die Feindbilder darstellten, Kohl und Strauß, Reagan und Thatcher, und mit denen sie an Friedens- und DGB-Demos teilnahmen. Die Künstler der „Wandmalgruppe“ infiltrierten auch den Rosenmontagszug in Düsseldorf und sie erhielten, mit zunehmender Bekanntheit, 1989 eine Ausstellung im Stadtmuseum, die ihre bisherigen Beiträge dokumentierte, auf den Golfkrieg Bezug nahm und dessen Fernsehbilder als Raumskulpturen zu einem Parcours führten, der an eine Geisterbahn erinnern konn­­te – und genau die kontroverse Debatte auslöste, die ihnen so wichtig war.

Schon 1987 ging die „Wandmalgruppe“ in farbfieber e.V. auf: In Deutschland sei eine Vereinsform erforderlich, um För­dergelder zu erhalten, sagt Klaus Klinger. Zugleich wird der Themenradius weiter und internationaler, etwa durch Aus­tauschprojekte wie mit Kuba oder in den letzten Jahren mit Polen und Griechenland. Dazu kommen gegenwärtige Inhalte wie „global und lokal“, „aus Fremden Nachbarn machen“ und: „Wem gehört die Welt und wem gehört die Stadt“, sowieso Ar­mut und Reichtum und die Bewahrung der Schöpfung. Klinger selbst organisiert, küm­mert sich um Visa, arbeitet an den Projekten und Festivals mit, diskutiert mit den Kollegen und Anwohnern über die Entwürfe und, vor allem, er malt, bei dem einen Projekt alleine, dann wieder mit Mitstreitern, teils aus verschiedenen Ländern. - Damit stellt sich erst recht die Frage nach einem eigenen künstlerischen Stil, zumal er zwar auf Distanz zum Kunstbetrieb geht, aber die eigene Leinwand-Malerei nie ganz eingestellt und besonders für fiftyfifty Editionen geschaffen hat. Ein Sujet, das wiederholt vorkommt, ist das Tier, der Affe im besonderen, zuletzt als skulpturale Büste für fiftyfifty: vieldeutig zwischen Wissen und Nichtwissen, Schuld und Unschuld und dem Menschen sehr verwandt.

So sehr sich der Stil über die Jahrzehnte, mit der eigenen Biographie und der praktischen Erfahrung beim Malen auf dem Gerüst sowie in der kollektiven Arbeit modifiziert haben könnte, so sehr bleibt er doch mit dem Adressaten und den Anliegen vorgegeben. Für den Kunstmarkt sind die Fassaden füllenden Gemälde sowieso nichts (und eben so viel größer als Banksy‘s). Sie werden (ebenso wie auch die Graffiti, etwa von Harald Naegeli) der Öffentlichkeit übergeben und haben in ihr eine unterschiedlich lange Lebenszeit, so wie sich eben auch das Stadtbild wandelt. Etliche der Bilder existieren nicht mehr, sei es, dass sie durch die Witterung ausgewaschen und zerstört, mutwillig übermalt oder durch eine – sinnvolle – Wärmedämmung verdeckt wurden oder irgendwann das Haus abgerissen worden ist. Auch das ist ja eigentlich Teil des Werkes: wie mit dem Standort umgegangen wird, also was draus wird. Einige zentrale Bilder aber haben sich erhalten oder konnten sogar restauriert oder erneuert werden, wie in Düsseldorf das „Ohr“ am Hellweg, das 1979 als Big Brother‘s Ohr gegen die Abhörpraxis des BND entstand und, nach Anbringen einer Wärmedämmung, 2003 von Klaus Klinger neu gemalt wurde, nun mit dem Ohr von Innenminister Otto Schily als Modell: eingeweiht am 25. Juni zum 100. Geburtstag von George Orwell. Oder, als internationale Zusammenarbeit, die „Zeitreisenden“ im Hochbunker an der Aachener Straße (1995), die im Boot an die Arche Noah erinnern und so auf die Veränderung des Klimas hinweisen und durch die Migrations- und Flüchtlingsbewe­gungen eine zusätzliche Aktualität erhalten haben. Darüber hinaus ist reizvoll, die vielen kunst- und kulturgeschichtlichen Zitate zu entschlüsseln, die auf die Zeit des Bunkers und den Krieg weisen. Voller Anspielungen und Referenzen steckt auch das „Tor zu Flingern“ (2005), das, gemeinsam mit den MaJobrothers gemalt, an der Acker­straße 59 schon von weitem zu sehen ist und das multikulturelle Leben und die Geschichte dieses Stadtteils betont. „Konsumonsun“ (2011) hingegen, das Klinger zusammen mit dem Warschauer Künstler Ivo Nikic auf eine Fassade an der Bach­straße gegenüber den Bilker Arkaden gemalt hat, spielt mit seinem halbvollen Wasser­­glas, auf dessen Grund ein leerer Einkaufswagen liegt, auf den Rausch des Konsums und zunehmende Verarmung an. - Auch hier, in diesem diesmal so sparsam gefüllten, farblich so zurückhaltenden Bild: Leider haben viele der Themen und Probleme, denen sich Klaus Klinger mit farbfieber zuwendet, nur noch an Dringlichkeit zugenommen.

Die Wandmalereien von Klaus Klinger, der Wandmalgruppe Düsseldorf und farbfieber sind, als kostenlose Ausstellung im öffentlichen Raum, rund um die Uhr im Stadtraum Düsseldorf zu sehen.

www.farbfieber.de

TH

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