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Porträtfoto: Donat Schilling

Franka Hörnschemeyer

Räume an Orten

Der Schlosspark in Bochum-Weitmar bildet mit seinen Bauten ein museales Areal. Eigene Pavillons zeigen Werke von Maria Nordman, David Rabinowitch und Richard Serra, hinzu kommen Gebäude für weitere Exponate, die ebenso wie die Skulpturen im Park noch auf das Programm der Galerie m weisen. Weiterhin ist seit 2010 die Ruine von Haus Weitmar zum Ausstellungsgebäude umgebaut, als Teil der „Situation Kunst (für Max Imdahl)“ der Kunstsammlungen der Ruhr-Universität. 2015 wurde daneben das „Museum unter Tage“ eröffnet, das aktuell eine Retrospektive des einstigen Düsseldorfer Akademie­professors Erich Reusch zeigt. Und die Galerie m stellt derzeit mit Franka Hörnschemeyer eine Bildhauerin vor, die seit 2015 an der Kunstakademie in Düsseldorf lehrt. Im Zentrum ihrer Ausstellung steht die mehrteilige Arbeit „Axiom 420“. Mit hohem Respekt für den als White Cube angelegten Ausstellungsraum reagiert Hörnsche­meyer auf diesen und seine Laufwege, sie setzt Schwerpunkte und schafft Klarheit. Und indem im Eingangsbereich Wandarbeiten der 1990er Jahre, meist aus Gipskarton, zu sehen sind, ist dies vielleicht die umfassendste Ausstellung der in Berlin lebenden Künstlerin in Nordrhein-Westfalen.

In „Axiom 420“ (2020) hält ein Ankerseil drei Skulpturen so, dass sie lediglich an einem Punkt oder auf einer Linie den Boden streifen. Die zwei figürlich anmutenden Skulpturen „Alpha“ und „Zeta“ bestehen aus vier bzw. fünf Quadern aus Holzplatten. Durch das Ankerseil verbunden, bilden sie den Anfangs- und Endpunkt der gesamten Konstruktion. Sie formulieren ein wechselseitiges Aufsteigen und Absinken, ein Nachgeben und Ziehen. Die gesamte Arbeit verbleibt in einem Schwebe­zustand. Das Seil führt an den oberen Streben durch den Raum und hält „Omikron“, die dritte, gerüstartige Skulptur im Winkel von 21°. Rot- und Gelbtöne brechen aus der changierenden Metallfarbigkeit hervor und verleihen dem Abblättern und Verwittern Sinnlichkeit. Das gilt ähnlich bei „Alpha“ und „Zeta“ für die rostbraunen, mitunter silbern schim­­­mernden Holzflächen mit ihrem expressiven Abrieb. Alle drei Skulpturen bestehen aus Schalelementen, die als Guss­form für Beton­segmente dienten. Als Negativform des Abwesenden bewahren sie – wie ein Schatten – das Materialgedächtnis.

Alles, was im Ausstellungsraum zu sehen ist, wirkt stabil und fragil zugleich. Konstitutiv sind die Schrägen der Skulpturen und der diagonale Verlauf des Seiles, welches den Raum sozusagen vermisst. Der Ausstellungsraum ist in seiner Leere ebenso wie in seiner Fülle zu erfahren. Der dahinter liegende Raum bleibt unbespielt, wird darin jedoch zu einem Teil des Geschehens und positioniert den fast quadratischen Aus­stellungsbereich weiter. Sowieso ist diese Passage nicht leer. Das Seil führt hier durch die Wand. Eine Stimme aus einem Lautsprecher – die rund 17-stündige Audio-Arbeit „Gipskar­tonfeuerschutz“ (2020) – zählt in gleichmäßigen Abständen Begriffe aus dem Bauwesen auf. Franka Hörnschemeyer hat sie aus ihrem frühen Künstlerbuch „GKF“ (1992) eingelesen. Als Resultat einer ausgiebigen Recherche benennen sie die Struktur, den Gebrauch und die Soziologie von Architektur in Deutschland. Hier nun nehmen die Wörter Fühlung mit dem Ausstellungsraum auf, in dem sich der Betrachter aufhält und, durchkreuzt von den Skulpturen, Balance und Bewegung vergegenwärtigt.

Im Atelier im Wedding kommt Franka Hörnschemeyer auf Heinrich von Kleists „Über das Marionettentheater“ zu sprechen, einem Schlüsseltext für ihre Arbeit. In dieser Erzählung wird anhand von Gliederpuppen die Rolle des Bewusstseins für die Leichtigkeit und Schönheit der eigenen Bewegungen thematisiert. Hier wie in ihren Installationen ist der Körper Sub­jekt und Objekt, Handelnder und Empfangender. Ohnehin, Skulptur ist genauso ein gedanklicher Prozess. Bei Franka Hörnschemeyer, die an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg bei Stanley Brouwn studiert hat, manifestiert sie sich ebenso in Fotografien. So arbeitet sie seit 2001 an einer Serie zur aufgelassenen Heeresversuchsanstalt in Peene­münde. Ihre Fotografien zeigen Abbruchsituationen im Innen- und Außenraum; Reste riesiger Hallen, in denen die Natur wuchert; Balken, die von oben herabgestürzt sind und den Durchgang versperren. Der Blick stößt im Vorder- und Mittel­grund auf diese Zeugnisse der Zerstörung durch den Abzug von Gebrauch im Laufe der Zeit. Evident ist Hörnsche­meyers archäologischer und archivarischer Ansatz zwischen Spuren­suche, Dokumentation und ästhetischer Erfahrung.

„Wie in einem Buch zurückblättern“, hat sie ihre Arbeitsweise der Freilegung und des Abtastens baulicher Strukturen im Hinblick auf soziologische, gesellschaftliche, geschichtliche oder architektonische Aspekte bezeichnet (Lost in Space, Köln 2014). Konsequent ist, dass sie für ihre räumlichen Arrange­ments und ihre Skulpturen ausrangierte Formteile und Materialien aus dem Bau verwendet, die ebenso sachlich profan bleiben wie sie an Nuancen und Ereignissen aufgeladen sind und bestimmte Phasen repräsentieren. Raum wird als „Ergebnis unserer Handlung, unserer Definition und Wahr­nehmung“ erfahrbar, wie Nina Schallenberg geschrieben hat (Kat. Dresden 2013).

Besonders anschaulich wurde dies bei ihrem Beitrag zur thematischen Ausstellung „Ein/räumen“ 2000/01 in der Hamburger Kunsthalle. Dort konfrontierte Hörnschemeyer den Saal für die Lehmbruck-Skulpturen mit seinen verschiedenen früheren Zeitschichten. Sie legte das in den 1950er Jahren eingezogene Stahlgerüst unter der Decke mitsamt der Neonlicht­situation frei, holte das Ständerwerk der in den 1970er Jahren eingebauten Gips­kar­tonwand hervor und öffnete einen Verschlag für das Stuhllager. Sie setzte die Skulpturen auf Auflageflächen, die höher waren als die Sockel zuvor, und stellte Podeste auf, die die Ansichtshöhe variierten. Insgesamt entstand eine Szenerie, die „viele an eine Baustelle denken ließ“ (Dietmar Rübel, Lost in Space, Köln 2014). - Wovon aber handelte diese Intervention: von Architektur und ihrer Funktion, von der Geschichte der Hamburger Kunsthalle und von Wilhelm Lehmbruck und seinen Skulpturen. Vom Wandel der Normen und Sichtweisen schon in der Präsentation von Kunst. Vom Stellenwert der Kunst, von den Relikten der Zeit und vom sinnlichen Erfahren mit den Mitteln des Raumes. Zu sehen war in Hamburg alles – sukzessive – gleichzeitig, übersetzt in Form.

Daneben steht die Verknappung, besonders bei den Arbeiten im öffentlichen Raum. Bei „Trichter“ (2011) im Stadtraum von Dresden, führt eine Klinkertreppe in den Untergrund. Dort ist hinter einer Scheibe aus Panzerglas die historische Kanalisation einzusehen. Im selben Jahr ist „Koordinaten“ in Gnadenfeld im Bathorner Moor/Niedersachsen entstanden. In einem Wäldchen nahe dem russischen Kriegs­grä­ber­feld ordnen sich neun Module aus bis zu 2.5 m hohen Schalelementen um ein freibleibendes Zentrum an; dazu sind über Audiosysteme Erzählungen und Berichte von Dorfbewohnern unterschiedlichen Alters zu hören. In der Gesamtheit werden die Gegend und die jüngere Geschichte des Ortes als Erfahrung von Heimat in ihrer gebrochenen Komplexität begreifbar. Das Landschaftliche – mit seinem Topos der Idylle – spielt hinein. Die Stimmen huschen hin und her wie in einem Hortus Conclusus, der hier ganz und gar nicht abgeschlossen ist.

Wie sehr aber das Labyrinthische ein Leitmotiv von Franka Hörnschemeyer ist, belegt schon davor „BFD – bündig fluchtend dicht“ (1998/2001) in einem Hof des Paul-Löbe-Hauses des Deutschen Bundestages in Berlin. Die Konstruktion nimmt Bezug auf Gebäude und Anlagen, die zuvor an dieser Stelle standen, darunter Teile der Mauer, Hundezwinger der DDR-Grenztruppen und die spätere Bebauung des Spreebogens. Die Anordnung der Schalelemente verschränkt die Grundrisse. Sie verstärkt mit fast vier Meter Höhe das Körperempfinden und lässt ebenso eigene Entscheidungen zu wie es Irrwege gibt, die zur Rückkehr zwingen. - Labyrinthe definieren sich nach Jan Pieper „über ein Prinzip, über den verschlungenen Weg, der schließlich zur Mitte führt, es ist von Anfang an ‚in Ordnung gebracht‘, eben in die ‚labyrinthische Ordnung‘“ (ders., Das Labyrinthische, Basel u.a. 2009). Die Erfahrung davon ist ein Resultat der Zeit, also im Jetzt, die Zukunft vor Augen und die Vergangenheit im Bewusstsein. Also, keine Denkmäler im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr die synchron vermittelte Abfolge von Momenten, ganz unprätentiös und um so mehr unvergesslich.

Franka Hörnschemeyer
Axiom 420, 2020, Schalelemente (Stahl, Schichtholz), Ankerseil, Galerie m, Bochum 2020, © VG Bild-Kunst, Bonn; Foto: Donat Schilling

TH

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