Wann war das noch: die Ausstellung „Zero Gravity“ im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen? 2001 trat Rita Kersting mit ihr die Direktion am Grabbeplatz an. Die assoziativ thematische Schau war so wunderbar unbeschwert und gleichzeitig tiefgründig und implizit Ausblick auf das nachfolgende Programm. Seit kurzem wird der Kunstverein von Kathrin Bentele geleitet. Jetzt legt sie eine thematische Ausstellung vor, die im Verknüpfen der Werke übersehener oder auf dem Sprung stehender Künstler*innen methodische Parallelen zu „Zero Gravity“ besitzt – im besten Sinne.
In „Calling“ geht es um kulturelle Beiträge als Vermittlung zwischen verschiedenen Sphären, die sich nur ansatzweise als Leben und Kunst bezeichnen lassen. Flüchtiges oder Spirituelles trifft auf Materielles, physische Praxis. Die zwölf Positionen wechseln zwischen Relikt, Erinnerung, Bezeugung und Geschenk und wirken erlesen, mit Hingabe erstellt, ungewöhnlich auch im Kleinen. Vielfach wird auf Sound verwiesen und damit auf die Aufführungspraxis von Musik, Theater oder Performance, sogar als Initialritus für das Werk. Mithin entsteht eine Art Reliquie, zumal wenn sie, gesättigt von Erlebnis, eigentlich nur für bestimmte Personen gedacht ist. Auch deshalb handelt es sich vorwiegend um Positionen an den Rändern des Kunstbetriebs, die Kathrin Bentele aus der ganzen Welt zusammengebracht hat, oder etwa um Beiträge der Individuellen Mythologie, die zu ihrer Zeit einen neuen (exotischen, mystischen) Klang in die Kunst brachten, wie Michael Buthe und Paul Thek. Zu den weiteren Werken gehören die paillettenbestickten Objekte, die Sarah Pucci für ihre Tochter Dorothy Iannone als Ausdruck mütterlicher Sorge und Zuneigung angefertigt und ihr nach Europa geschickt hat. Eindrucksvoll sind die Holzhäuschen von Beverly Buchanan, die damit auf die Armut und Ausbeutung der afroamerikanischen Gemeinschaft im Süden der USA hinweist und diesen und ihren improvisierten Bauten Denkmäler setzt.
Moki Cherry, die wie ihr Mann Don Cherry praktizierende Buddhistin war, ist mit ihren genähten Stoffbahnen vertreten, mit denen der Jazzmusiker die Bühne geschmückt hat, und Lee „Scratch“ Perry hat die unterschiedlichsten Gerätschaften wie Fetische zu einer Art DJ-Pult und Altar verknüpft. Über allem aber liegt der Sound des Videos von Mark Leckey, der mit den Bildbearbeitungsprogrammen sog. sozialer Plattformen ein Zeugnis emotionaler Überwältigung geschaffen hat. Ausgehend von einer spätgotischen Ikone als Mittler zwischen irdischem Leid und göttlichem Beistand schildert sein Video in höchster Verzweiflung die Nöte der Corona-Pandemie. Leckey verwandelt Trash und Kitsch in geistige Emphase, und wir sind mittendrin.
Calling, bis 10. September im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Grabbeplatz 4 in Düsseldorf, Di-So 11-18 Uhr
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