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Porträtfoto: © Joseph Kiblitsky

Bernd Schwarzer

50 Jahre EUROPAWERK

Was für Dimensionen und Gewichte, was für eine Präsenz der Farben und ihrer Farbigkeit! Die Farbmaterie springt regelrecht in den umgebenden Raum. Die Gemälde von Bernd Schwarzer wirken monumental und sind tatsächlich bis zu 3,5 x 5 m groß, sie umfangen den Betrachter mit ihrem Farbleuchten ganzheitlich und lassen ihn aufmerken, innehalten. Oszillierend zwischen Konkretheit und Abstraktion und reiner Farbmalerei, in einem All-Over, das auch die Leinwandränder erfasst, als pulsierendes skulpturales Ereignis der Farben und ihrer Töne vorgetragen, bleibt der Entstehungsprozess den Bildern eingeschrieben. Mitunter dauert es fünf oder gar fünfzehn Jahre, bis Schwarzer ein solches Gemälde abgeschlossen und freigegeben hat. Mehrere Bilder entstehen gleichzeitig und bedürfen eigener Plätze zum Trocknen der Ölfarbe. Der Materialaufwand und der körperliche Einsatz sind enorm.

Wie riesig aber muss das Atelier dafür sein, flankiert vom Depot und von Regalsystemen für die Farbtuben und Farbteller und für das Archiv, angefüllt und geordnet über die Jahrzehnte, so dass für den Zugriff auf die Bilder und den überschauenden Abstand eigene Gänge entstanden sind. Vorletztes Jahr ist eine rund 500 Seiten umfassende Monographie zu Schwarzers Ateliers in Düsseldorf erschienen, herausgegeben von Joseph Kiblitsky, mit einem Gespräch von Tayfun Belgin und Essays von Evgenia Petrova und von Edward Lucie-Smith – das zeigt schon, wie Bernd Schwarzer gehandelt wird, während er sich in der Rhein-Ruhr-Region, vorgestellt immerhin mit einigen Museumsausstellungen, eher im Verbor­genen hält.

Die Farben, die Ateliers, die Bilder mit ihrer flimmernden Oberfläche und der Geruch der Ölfarbe, dazu mehrere gewichtige Bildbände: Bernd Schwarzer geht ganz in der Kunst auf. Bereits im Alter von ca. 20 Jahren hat er ein Atelier an der Hüttenstraße gemietet, in dem er noch heute malt. Schwarzer wurde 1954 in Weimar geboren, die Familie übersiedelt 1960 kurz vor dem Bau der Mauer nach Düsseldorf. Das künftige Leitthema liegt damit vor, mit allen Implikationen von Heimat und Identität, von Authentizität und Verlust und den Schmerzen des Risses und den Nähten beim Zusammenwachsen: die Teilung und spätere Vereinigung von Deutschland hin zu einem geeinten, Ost und West umfassenden Europa. Jedes Gespräch mit Bernd Schwarzer, dem „leidenschaftlichen Europäer“ (Frank-Walter Steinmeier), handelt genau davon.

Seine Zeichnungen der 1970er Jahren entstehen mit Tuschfeder, laviert oder als Aquarell oder als Mischtechnik und technisch, aber auch im politischen Engagement in der Tradition von Daumier und Grandville. In der Darstellung wie hingehuscht und doch mit nachdrücklicher Kontur, die sich zu einem feinen Gespinst aus Linien und Strichen über dem Papier erweitert, fügt Schwarzer mit schnellem Gestus noch Text hinzu, manchmal nur einzelne Schlagworte, dann wieder ganze Sätze, teils Zitate, über und neben dem bildnerischen Ereignis. Er schildert apokalyptische Katastrophen der europäischen Geschichte und der Weltgeschichte und der Religionen untereinander, die Gräueltaten über die Jahrhunderte und verdeutlicht sie durch Symbole des Christentums: die Kreuzigung, die Pietà oder das Fegefeuer. Ihn beschäftigen Fragen der Menschlichkeit und des Zusammenlebens, die Tragö­dien und Dramen zwischen den Nationen, das Einhalten der Menschenrechte und die Bürgerkriege und, bis in die Gegenwart reichend, die beiden Weltkriege, der Holocaust, und natürlich ist solchen Bildern die Trauer und die Mahnung eingeschrieben. Von Verdun handelt eine blau-gelbe Landschaft, die über und über mit den Kreuzen der Soldatengräber überzogen ist. Die zeitgeschichtlichen Motive fasst Schwarzer unter dem Begriff des Weltbildes zusammen, als Reflexion und Vorwegnahme gesellschaftlicher wie auch technologischer Ereignisse. Was Guy Féaux de la Croix in Bezug auf Bernd Schwarzer als “politische Malerei“ bezeichnet hat, gilt dann ebenso für die anschließenden Gemälde, die die Hinrichtungen in den USA kritisieren oder die Gefahren der Genforschung mittels der Darstellung von Zellstrukturen oder das Verhältnis des Menschen zur Maschine und zum Computer untersuchen. Schwarzer warnt, schon Mitte der 1970er Jahre, vor den Gefahren der Künstlichen Intelligenz. In einem Bild von 1996 schließt er von der Mondlandung auf eine künftige Vereinnahmung des Mars. Er widmet verschiedene Gemälde den Tierrechten und der Rolle der Natur für das ökologische Gleichge­wicht. Er sorgt sich um die Umwelt und macht auf den Raubbau der Ressourcen auf­­merksam.

1978 ist Schwarzer von der Fachhochschule für Kunst und Design in Köln, wo er bei Werner Schriefers studiert hat, an die Düsseldorfer Kunstakademie gewechselt, regulär zu Gerhard Hoehme sowie als Gast zu Joseph Beuys. Zu beiden lassen sich auch im aktuellen Werk Referenzen feststellen, zu Hoehme das farbige Informel und die haptische Sensibili­tät. Und zu Beuys vor allem die Ausfor­mulierung gesellschaftlicher, politischer Ver­ant­wor­tung und die Spiritua­lität. Seit diesen Jahren an der Kunstakademie steht die Malerei im Vordergrund. Das eine Mal ist sie abstrakt, dann wieder gegenständlich, wechselweise selbst beim gleichen Thema. Schwarzers Malerei bleibt konstant mit einer eminenten Inhaltlichkeit aufgeladen. Sie besitzt eine dringliche Botschaft, ausgelöst von den jeweiligen aktuellen Ereignissen aus seiner geopolitischen Perspektive. Das betrifft in jüngerer Zeit im Besonderen das Verhältnis von Ost und West, erst die Trennung, dann die Wiedervereinigung Deutschlands, das Verhältnis zu Polen und dessen Geschichte, die erst sich entspannende und mittlerweile sehr kritische Rolle von Russland und andererseits, voller Hoffnung, den Blick auf die europäische Union als versöhnende, einigende Anstrengung. Und Schwarzer ergänzt, dass Russland zu Europa gehört, und erinnert an sein Bild „Ich liebe Russland“ (2003): In das Zentrum einer großen Landkarte der ehemaligen Sowjetunion hat er dort, wo sich Russland befindet, zu allen Seiten flankiert von Tupfern, ein blau-goldenes „Europaherz“ gemalt.

Er verwendet für diese Bilder die jeweiligen Fahnenfarben: Schwarz-Rot-Gold für Deutschland; Gelb- bzw. Gold-Blau für die Einheit in Europa. „Die Adaption changiert zwischen Staatsstreich und malerischer Patentlösung, doch die farbige Konvention verliert bei ihm alles Schematische“, hat Manfred Schneckenburger geschrieben. „Sie wirkt aufgeladen mit innerer Not, Ungeduld und drängender Utopie“ (Kat. EUROPAWERK, Berlin 2008). Dass die Symbolik auch malerisch funktioniert, liegt daran, was für Farbtöne er verwendet, wie er sie mischt und wie er die Farben zueinander setzt, wie sie aufeinanderstoßen, getrennt bleiben oder eben doch, je nach Thematik, ineinander übergehen. Als Farbmalerei sind diese Bilder etliche Zentimeter dick und reine Materie, nach einem jeweils durchgängigen Prinzip gesetzt. So verkörpern sie eine kreiselnde Bewegung oder einen kraftvoll dynamischen Schwung. Oder sie bauen sich als Mauer aus wechselnd farbigen Blöcken auf der gesamten Leinwand auf. Derartige Malerei ist impressionistisch flirrend getupft oder gezogen und ganzflächig auf der Leinwand gesetzt, sie strömt wie erstarrte Lava nach außen oder sie überdeckt partiell Fotografien oder historisch relevante Zeitungsseiten (etwa mit Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher oder Michail Gorbatschow), teils als Herzen, Kreise oder Scheiben, noch in bewusster Anleihe an die Pop Art. Schwarzer vermeidet Umwege, seine Bilder sind schreiend direkte Statements, aber sie sind in der Innigkeit des farblichen Vortrags kompromisslos und zugleich ästhetische Sensationen. „Große zeitgenössische Kunst zeugt von Mut und Freiheitsdenken des Künstlers“, ergänzt Bernd Schwarzer.

Das erste Gemälde, das sich mit Europa beschäftigt und dazu Blau und Gelb zusammenbringt, ist schon 1975 entstanden: „Europäisches Selbstbildnis“, gemalt als Büste aus langgezogenen dunklen faserigen Konturen, mehr Andeutung als Ausformulierung, auf einer Höhe von 180 cm, mit Öl- und Acrylfarbe auf Sack­leinen. In der Folge erwächst daraus, wie Schwarzer es nennt, das „EUROPAWERK“ als Haltung und Verantwortung und konkrete Ausformulierung. Das Atelier in der Karlstraße nennt er „ATELIER EUROPA“, und so lautet auch der Titel des Buches von Kiblitsky.

Daneben entstehen Porträts oder Frauenakte, stehend oder auf einem Stuhl sitzend, auch sie lebensgroß, mitunter fragmentiert, dabei im Bildraum verschoben. Ihre Farbigkeit entsteht entweder gemischt aus den Deutschlandfarben oder den Europafarben. Eine eigene Werkgruppe bilden – dementsprechend zu einem monochromen Ton gemischt – die „Farbskulpturen“: Sie zeigen vor allem die Materie und das massive Volumen von Farbigkeit: als Essenz, emotionaler sowie sinnlicher Wert und als Verhältnis von Farbe und Form. Sie bestehen aus großen Mengen Ölfarbe, welche gewölbt gehäuft und glattgestrichen ist. Aber die Farbe hat an den Rändern des Farbobjekts Spuren hinterlassen und geht so in die Zustandsbeschreibung einer Malerpalette über. Und der Farbhaufen bricht noch an einzelnen Stellen auf. Auch sind ein oder mehrere Spachtel in die Kugelform hineingestoßen, also die Arbeitsutensilien selbst, die den handwerklichen Entstehungsprozess repräsentieren. Vielleicht lässt die Zerstörung der Oberfläche, das Eindringen in diese, noch an die Ausbeutung der Erde denken, und mit einem Mal werden die allansichtig zu betrachtenden gewölbten Formen zu Metaphern für den Zustand unserer Welt. Zugleich schwingt das Bewusstsein vom materiellen Wert der kostbaren Ölfarbe mit und spricht weitere Fragen zu unserer Gesellschaft an. … Schwarzer selbst verweist lapidar darauf, dass Beuys‘ Umgang mit Fett ihn zu diesen Skulpturen, die sporadisch seit vielen Jahren entstehen, angeregt hat und erwähnt noch Claes Oldenburg und die Eat Art mit Daniel Spoerri. Und dann zeigt ihre aktuelle Präsentation im Osthaus Museum, verteilt im Untergeschoss, vor allem ein opulentes und doch kontrolliertes Fest der Farben, reine Schönheit, Inszenierung und kritisches Spektakel.

Bernd Schwarzer: Malerei/Farbobjekte aus der Sammlung Weiss, noch bis 25. Februar im Osthaus Museum Hagen

TH

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