Beim Durchblättern und Innehalten in den vielen Büchern und Katalogen, die es mittlerweile mit den Porträts, Landschaften, Exterieurs und Stillleben von Benjamin Katz gibt, fällt vor allem eines bei den Fotografien auf: Gelassenheit. Humor gewiss, bestimmt sogar, aber nicht lauthals als Lachen. Vielmehr Lakonie und sogar Kargheit. Alles Überflüssige ist weggelassen, und was da ist, darf selbst nicht zu viel Gewicht erhalten. Das Bild – immer in s/w, analog fotografiert, abgezogen auf Baryt – gleicht die Schwerpunkte aus. Es existiert in seiner Gesamtheit, als Momentaufnahme, subjektiv unbedingt, aber nicht zufällig. „Die hohe Verdichtung und Konzentriertheit der Photographien“, schreibt Heinrich Heil, „provozieren die Lust, über den festgehaltenen Augenblick hinauszusehen, das Davor zu mutmaßen, die dargebotenen Details auszuführen“. (Kat. Bitburg 2010) - „Man muss Fotografie lesen können“, sagt Benjamin Katz beharrlich und temperamentvoll zugleich. Fundamente sind sein Verständnis für Kunst, in der er selbst ausgebildet ist, das Gespür und die Erfahrung für den rechten Augenblick und schließlich die freundschaftliche Verbundenheit zu den Künstlern, die er porträtiert: darunter seit Jahrzehnten immer wieder die selben.
Berühmt wurde Benjamin Katz vor allem mit diesen Künstlerporträts. Gemeinsam etwa mit Bernd Jansen gehört zu den großen künstlerischen Chronisten der Avantgarde-Kunst seit den 1970er-Jahren, aber am Enzyklopädischen liegt ihm nicht. Die Porträtierten agieren bei ihm mit großer Selbstverständlichkeit, sie setzen sich in Szene und bleiben sich des Fotografen bewusst. Die Kamera ist oft auf das Gesicht gerichtet. Die Augen sind wichtig. Das Ausstellungsszenario hingegen ist knapp im Hintergrund notiert, schafft aber Raum und Tiefe. Ähnlich geht Benjamin Katz vor, wenn er in Ateliers fotografiert, wie – über Jahrzehnte – bei Georg Baselitz, Sigmar Polke und Gerhard Richter. Vernissagen kommen nur vor, indem er zwei Persönlichkeiten im Gespräch fotografiert. Es gibt aber auch die vermeintlich verfehlte Kommunikation, etwa wenn Baselitz und Lüpertz in einer leeren Galerie aneinander vorbeilaufen. Dann wieder die Bilder der Freundschaft: Penck und James Lee Byars links und rechts von einer Holzfigur von Baselitz, diese an den „Händen“ haltend. Beuys und Byars Wange an Wange in einer Performance. Eugène Leroy beim Kartoffelschälen. Und Jörg Immendorff im Restaurant, über die Schulter zum Fotografen schauend: eine Szene wie in seinen „Café Deutschland“-Gemälden.
Es ist kurios: Diese Aufnahmen sind Ikonen, sie haben unser Bewusstsein von den Künstlern und deren Klima geprägt – aber den Namen des Fotografen kennt kaum jemand. Aus der Kunstszene freilich ist Benjamin Katz nicht wegzudenken. Sein Einstieg in die Fotografie war die Dokumentation von Großausstellungen und ihrer Vorbereitung, beginnend mit „Westkunst“ (1981) und der folgenden documenta. Auf diesen Fotos und Fotostrecken kommen nicht nur die Künstler vor, sondern auch die Museumswärter und die Putzfrauen, die für das finish sorgen, und der Aufbau der Kunstwerke selbst – vor über 30 Jahren war das eine Pioniertat von Benjamin Katz.
Gewiss liegt an dieser Präsenz im Kunstmetier, dass das „freie“ Werk nicht so bekannt ist. Aber auch es war Thema von Ausstellungen, und auch hier kehrt Katz immer wieder zu seinen Anfängen zurück. So fotografiert er in Brüssel, wo er aufgewachsen ist und später Marcel Broodthaers besucht hat. Und in Dinard in der Bretagne, wo er, teils auf den Spuren von Picasso, die Landschaft und den Blick quer durch die Villen auf das Wasser zeigt, aber auch über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten ein Garagentor in seinem Verfall dokumentiert.
Benjamin Katz wurde 1939 in Antwerpen geboren. Er ist zwei Jahre, als sein Vater im Internierungslager Gurs stirbt. Mit seiner Mutter überlebt er in Brüssel. 1953 bekommt er seine erste Kamera geschenkt. Er studiert Malerei und Zeichnung an der Kunstakademie, erst in Tournai und ab 1956 in Berlin. Dort, im Studium, lernt er Georg Baselitz kennen und entdeckt ihn sozusagen. 1963 gründet er mit Michael Werner eine Galerie, die Eröffnungsausstellung mit Baselitz wird zu einem Skandal, weil die Bilder damals als obszön gelten – heute ist diese Ausstellung Teil der deutschen Kunstgeschichte. Benjamin Katz macht sich wenig später in Berlin und dann München als Galerist selbständig und stellt neben anderen Lüpertz und Broodthaers aus. 1972 beendet er diesen Abschnitt seiner Karriere, etwa zeitgleich beginnt er mit der Fotografie der Künstler. Ebenfalls seit 1972 lebt er in Köln, dort, wo die Kunst am vitalsten ist, gegenüber noch die Buchhandlung Walther König, aber hoch über der Stadt. Und er selbst: groß, schlank, oft im Trenchcoat, die Kamera um den Hals, mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen.
Erstaunlich nur, dass seine Rezeption vor allem in der Nachbarstadt stattfindet. Katz gehört 2004 zu den Gründern des Archivs der künstlerischen Photographie der Rheinischen Kunstszene in Düsseldorf. 2006-08 leitet er mit einem Lehrauftrag die Abteilung für Fotografie an der Kunstakademie, in der Nachfolge von Bernd Becher und Thomas Ruff und selbst mit Schwerpunkt auf der Geschichte der Fotografie. Nun kommt eine weitere Ehrung aus der Landeshauptstadt hinzu: der Kunstpreis der Künstler der Großen Kunstausstellung NRW. Begleitet wird dies jetzt im Museum Kunstpalast von einer veritablen Einzelpräsentation – ein konziser Einblick in dieses fotografische Werk, mehr nicht, aber immerhin das.
DIE GROSSE 2016,
bis 13. März im Museum Kunstpalast
Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf
Tel. 56 64 27 10
www.smkp.de
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