Systematisch und analytisch arbeitet Andreas Gefeller mit dem Medium der Fotografie. Die einzelnen Werkgruppen entstehen nacheinander, im Rückblick folgt eines konsequent aus dem anderen. Mittels spezifischer, von Werkgruppe zu Werkgruppe wechselnder Verfahren macht Gefeller mit der Kamera sichtbar, was dem bloßen Auge verborgen bleibt. Ihm gelinge „die Entdeckung des Wirklichen in einer Konstruktion, die zugleich Dokument und Erfindung ist“, hat Stephan Berg im Katalog der Gruppenausstellung „Made in Germany“ in Hannover 2007 geschrieben. „Was wir sehen, gibt es eigentlich nicht. Und was es gibt, können wir schon lange nicht mehr sehen.“
Andreas Gefeller wurde 1970 in Düsseldorf geboren. Er hat Fotografie an der Universität Essen studiert und bei Bernhard Prinz abgeschlossen. Noch während seines Studiums entsteht die Serie „Halbwertszeiten“ (1996). Sie ist aufgenommen in Tschernobyl und dessen Umgebung. Die Stadt ist verschneit, auf der Straße sind nur wenige Menschen, die Gerüste eines Vergnügungsparks ragen wie Skelette auf. Ein Auto steckt im Schnee fest, die Türen sind auf beiden Seiten geöffnet. Andere Aufnahmen zeigen die Bewohner in ihren Wohnungen oder bei der Arbeit. Eine Reportage, gewiss, dabei dem auf der Spur, was die Stadt prägt und nicht direkt sichtbar ist – die Reaktorkatastrophe; das Erliegen der Wirtschaft; der Versuch, das öffentliche Leben aufrecht zu erhalten – mitsamt der Frage, wie dies mit den Möglichkeiten der Fotografie vermittelt werden kann. Die Bilder ergänzen, vertiefen sich.
In der aufmerksamen Betrachtung eines urbanen Raumes schließt die folgende Werkgruppe, ebenfalls analog und in Farbe aus wechselnden Perspektiven aufgenommen, daran an und doch markiert sie einen Wendepunkt für Andreas Gefeller: Die Fotokamera rückt ab jetzt die Realität aus dem erwarteten Terrain. „Soma“ (2000) zeigt eine Zivilisation, der die Menschen abhanden gekommen sind. In der Dunkelheit, in der die Liegen am Strand, Gebäude und auch Bäume vereinzelt aus sich heraus in gesättigter Farbigkeit leuchten, offenbaren sie ihre funktionale Anlage, die erst recht im Seriellen und Stereotypen fremdartig wirkt. Mitunter meint man ein modellhaftes Setting vor sich zu haben. Andreas Gefeller hat diese Werkgruppe auf Gran Canaria bei Nacht in Langzeitbelichtung und ohne weitere Lichtquellen aufgenommen. Die Kamera sieht die Farben, die das menschliche Auge bei Dunkelheit nicht erfassen kann. Hingegen verschwinden die vorbeigehenden Passanten infolge der langen Belichtung. Schon da stellt sich die Frage nach der Realität und dem Eindruck virtueller Künstlichkeit, wie sie anschließend die Werkgruppe „Supervisions“ (ab 2002) vertieft. Dazu fotografiert Gefeller von einem Stativ aus zwei Meter Höhe nach und nach den Boden vor seinen Füßen und setzt sodann die mitunter zu Hunderten vorliegenden Aufnahmen am Computer zusammen. Diese Bilder wirken wie klärende Einsichten aus der Vogelperspektive, sie strukturieren das Geschehen in Detailschärfe. Zugleich wird eine Übersicht möglich, die sonst z.B. am Geschlossenen der Räume scheitert, etwa wenn Gefeller das Stockwerk eines aufgelassenen Bürogebäudes mit der Kamera abschreitet und die Fußbodenleisten in seinen Bildern später als Wände zu verstehen sind. Die Abnutzungen des Teppichbodens, verursacht durch die Rollbewegungen des Bürostuhls, werden als einstige menschliche Handlungsabläufe gegenwärtig.
Schaute „Supervisions“ nach unten, so blickt die Kamera in „The Japan Series“ (2010) vertikal nach oben. Gefeller fotografiert hier u.a. Stromleitungen mit ihren Knotenpunkten. Der Himmel wird zur hellen oder dunklen Folie, die die lineare Zeichnung der Kabel betont und die Plastizität der Relais und Knotenpunkte steigert und noch als Überwachungskameras interpretieren lässt. Bei anderen Aufnahmen winden sich Zweige um die regelmäßig gespannten Drähte von Gewächshäusern. Sie erinnern mitunter an neuronale Vernetzungen und digitale Ströme inmitten der Koordinaten eines quadratischen, teils verzogenen Rasters. Die scharfe Zeichnung gegen das Tageslicht, die Erfahrung der Langzeitbelichtung in „Soma“ und das Interesse am großstädtischen Raum mit seinen Normierungen aber bilden das Fundament von „Blank“ (2010-16). Diese Aufnahmen sind derart überbelichtet, dass die fotografierten Konstruktionen des urbanen Lebens – Glasfassaden, Industriebauten, gestapelte Container – in der Helligkeit verlöschen und nur noch in einzelnen, in ihrer Farbigkeit wie ausgewaschenen Teilen vorhanden bleiben. Das Licht als Grundvoraussetzung der Fotografie zerstört in „Blank“ also das aufgezeichnete Bild wieder. Je mehr man von ihm haben möchte, desto mehr entzieht sich, unwiderruflich, das Abbild. „Andreas Gefeller macht das Licht zur Metapher für Information und damit für Digitalisierung und technologischen Fortschritt, die uns zunehmend zu entgleiten drohen“, hat Nicole Nix-Hauk zu Gefellers Ausstellung im letzten Sommer in der Städtischen Galerie Neunkirchen geschrieben. Im Atelier an der Hansaallee ruft er dafür ein Beispiel auf dem Computer auf: Im schwarzen Grund steht ein Text in kontrastierender, weiß empfundener Druckschrift. Wenn die Textinformationen zunehmen, verringert sich der Zeilendurchschuss, die Buchstaben rücken zusammen. Setzt sich der Prozess fort, so nimmt der helle Anteil zu bis hin zur weißen Fläche: zum vollständigen Informationsverlust.
Das nicht mehr Darstellbare des Digitalen, der Abstraktion als Formulierungen des Fortschritts, die unser Leben bestimmen, steht im Zentrum der jüngsten Werkgruppe „The Other Side of Light“. Gefeller zeigt in extremer Tiefenschärfe mit Über- und Langzeitbelichtungen flimmernde Strukturen wie unterm Elektronenmikroskop oder wie am Himmel, durch das Teleskop gesehen. „Ich suche nach digitalen Aspekten in Naturereignissen, versuche Strukturen aufzudecken, die normalerweise in einem technischen Kontext zu finden sind, und visualisiere Zusammenhänge, die dem visuellen Verständnis entzogen sind“, hat Gefeller zu diesen ebenso sinnlich erfahrbaren wie theoretisch fundierten Fotoarbeiten geschrieben.
Demnächst sind im Kunstmuseum Bonn Fotografien der Serie der „Clouds“ (2019) ausgestellt, die vor kurzem auf der Art Cologne zu sehen waren. Die Aufnahmen zeigen Gewölk in einer betörenden, mithin malerischen Schönheit und einer großen Variabilität des sich Auftürmens und Hervorquellens. Das Sonnenlicht modelliert die Formen aus, die die Phantasie anregen, zugleich variiert die Farbpalette, und dann stellt sich bei diesen kaum mit Worten zu beschreibenden, hochformatigen Porträts der flüchtigen Naturphänomene ein weites Erklärungsspektrum ein: von den Wolkenfeldern, die – in ungeklärter Größe – durch die Flugzeugscheibe zu sehen sind, bis hin zum schäumenden Wasser in der Meerestiefe, aber auch den Ausläufern eines Vulkanausbruchs oder einer vom Menschen ausgelösten Verbrennung. Das Naturereignis wird zum Zeugnis für Erderwärmung und Klimawandel, geblasen aus den Industrieschloten. Also, dass es immer auch anders sein könnte und schon längst ganz anders ist und dass uns die Bilder für das Künstliche und Technische als zunehmende Entfremdung zur Natur ausgegangen sind, teilen diese Fotografien ebenso wie die anderen Werkgruppen Gefellers mit.
Andreas Gefeller ist beteiligt bei:
„Light and Mind“, bis 15. Januar in der Galerie Lausberg, Hohenzollernstraße 30 in Düsseldorf
„Reset“, bis 16. Januar im Kunstmuseum Ahlen
Ab 24. Februar bei „Welt in der Schwebe – Luft als künstlerisches Material“ im Kunstmuseum Bonn.
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