Man stelle sich mal vor, es gäbe eine Gesetzesinitiative, die für jedes Haus, das neu errichtet wird, eine Straßenbahn- oder Bushaltestelle vorschreibt. Ja, richtig gehört. Vor jedem Haus muss der öffentliche Nahverkehr eine Möglichkeit zum Stopp einrichten. Nicht nur auf den Hauptverkehrsstraßen, sondern auch in verwinkelten Vierteln mit eher geringer Fahrbahnbreite. Was gäbe das für ein Hallo, was für einen Protest, und nicht wenige Empörte würden zu Recht einwenden, dass man den Menschen doch durchaus zumuten könne, mal ein paar hundert Meter zu laufen, um eine Bahn oder einen Bus zu erreichen.
Ganz anders sieht der Fall indes aus, wenn es um Autos geht. Für die gelten Sonderrechte. Wer in der Stadt ein Haus baut, der muss sich zwingend um Stellplätze kümmern und zwar meist in unmittelbarer Umgebung, am besten direkt im oder unter dem Haus. Ein paar hundert Meter entfernt in einem Parkhaus für den Stadtteil? Das wird mindestens schwierig, wenn nicht gar unmöglich.
Das hat damit zu tun, dass Bauordnungen aus einer Zeit stammen, in der das Auto vor der Tür als höchstes Kulturgut galt. Man wollte halt zeigen, zu was man es gebracht hatte, und da bot sich das samstäglich Shampoonieren des eigenen Gefährts hervorragend an, zumindest in Zeiten, da Facebook noch aus einem auf die Fensterbank gelegten Kissen bestand.
Leider sind diese Zeiten der gnadenlosen Adoration von Blechkisten noch nicht vorbei. Daran ändern weder erfolgreiche Car-Sharing-Angebote etwas noch die Proteste von Menschen, die aus klugen Gründen kein Auto wollen, beim Bau eines Stadthauses aber trotzdem verdonnert werden, für eben dieses ungewollte Auto einen Stellplatz einzurichten. Immer noch steht das Auto im Mittelpunkt allen Strebens, wird von Parkdruck gefaselt und dem Verkehrsgott die reine Vernunft auf dem Altar einer als Freiheit missverstandenen Mobilität geopfert und darüber ein Weihrauchfass mit Feinstaub, CO2 und Stickoxiden geschwenkt.
Wie sehr das Blechmobil hierzulande vergöttert wird, eröffnete sich mir kürzlich, als ich eine Zeichnung sah, auf der alle Flächen, die vornehmlich dem Auto gewidmet sind, zu tiefen Schluchten verwandelt wurden. Auf einmal waren die Bürgersteige schmale Stiege, neben denen ein tiefer Abgrund gähnte. Und die Fußgängerüberwege glichen wackeligen Planken über Höllenschlünden. War nur ein Bild, aber es verdeutlichte ganz schön, dass man die Sache mit dem Verkehr auch mal von der anderen Seite als nur von der vierrädrigen deuten kann.
Nun soll sich weiter jeder ein Auto anschaffen dürfen, und notfalls darf er dieses Tun auch gerne als Hilfsmaßnahme für die nationale Karrenbauerindustrie bemänteln. Es geht also nicht darum, irgendwelche Rechte einzuschränken. Es geht eher darum, unsinnige Pflichten zu beschneiden, die nicht nur längst aus der Zeit gefallen scheinen und zudem dazu beitragen, Baukosten und damit letztlich auch die Mieten in schwindelnde Höhe zu ventilieren.
Der Tatsache, dass es in Düsseldorf zu viele Autos gibt, widersprechen immer weniger Menschen. Längst steht der fließende Verkehr auf der Liste der bedrohten Art, droht die individuelle Beweglichkeit an sich selbst zu ersticken. Wenn sich alle aufmachen, um die Freiheit zu suchen, wird sie keiner finden, weil sich alle nur gegenseitig einschränken. Wohin das führt, zeigt doch überdeutlich das Ausmaß des Massentourismus. Ganze Regionen, die früher wie irre um Besucher gebuhlt haben, suchen inzwischen nach Möglichkeiten, die Geister, die sie einst riefen, wieder loszuwerden. Ein leises Umdenken ist da bereits zu beobachten, nur hat es bislang noch eher wenig Schwung aufgenommen.
Aber es wird sich schon noch etwas bewegen. Erst bei den besuchten Orten, später vielleicht auch bei den Menschen, denen irgendwann deutlich werden sollte, dass es keine Pflicht gibt, für drei Tage nach Rom oder Barcelona zu jetten, nur weil Ryan Air die Flüge für 9,99 Euro verscherbelt.
Genau so funktioniert das mit dem Auto in der Stadt. Auch da muss ein Umdenken einsetzen. Sehr sicher wird dieses Umdenken nur im Schneckentempo vorankommen, aber es wird in Fahrt kommen und sich irgendwann schneller bewegen als der innerstädtische Verkehr.
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