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Gegen den C-Blues: Mental stoßlüften und ein bisschen jammern

Die biograph Ouvertüre Dezember 2020

Der Weihnachtsmann liegt auf C3. Intensivstation. Er kann nicht mehr atmen. Hat sich auf seinen Bart als Mund-Nase-Schutz verlassen, und jetzt hat er den Salat beziehungsweise das große C. Die Pseudokonzepte „Mich wird das Virus schon nicht erreichen“ und „Wir müssen unsere Alten schützen“ haben erkennbar nicht funktioniert.

Nun liegt Santa Claus direkt neben der Kultur, die hörbar auf dem letzten Loch pfeift und als alte Querulantin, die sie nun mal ist und auch sein sollte, immer noch nicht begreift, warum sie sich gefälligst geschlossen halten soll, während bei IKEA der Laden brummt. Übervolle Schulbusse und Shopping-Malls sind in Ordnung, zu einem Drittel gefüllte Konzertsäle mit formidablem Hygienekonzept aber nicht? Really?

Noch ein Intensivbett weiter liegt die Logik, die nicht mehr mithalten kann. Zu schnell die Entwicklungen, zu abstrus die Erklärungsversuche, die oft alles nur noch verworrener dastehen lassen. Der Ehr-Wert, die 7Tage-7-Köpfe-Inzidenz, der Mask-Ara-Index, wer will da noch folgen?

Und dann droht auch noch Weihnachten, der Popanz unter den Feiertagen, eine angeblich geheiligte Institution, die längst zur Hure des Konsumrausches verkommen ist, die wirkt wie eine hysterische Übersprungshandlung, wie ein zu lange hinten im Kühlschrank vergessener Quark.

Vielleicht sind das die schönen Seiten des großen C, dass auch eisern gewähnte Gewissheiten zur Weichware werden, dass Dinge, die lange als sakrosankt galten, plötzlich ins Wanken geraten. Wer vermisst wirklich die Weihnachtsmärkte? Mal Hand hoch! Mmmmh, ich sehe nichts. Doch, da hinten meldet sich einer. Ein Schausteller. Na klar. Das kann man verstehen, dass denen die Entwicklung nicht gefällt. Da muss geholfen werden. Herr Laschmaier, übernehmen Sie!

Trotzdem sollte das nicht den Blick trüben auf das, was wir gerade am Horizont erblicken: ein Weihnachten, das nicht mehr als Gipfelpunkt der Konsumbergbesteigung gilt, das vielmehr frei zu gestalten ist, nun, da davon abgeraten wird, quer durch die Republik zu reisen, um sich im Familienkreis zu langweilen und die dort herrschenden Zwänge als Tradition zu verklären und dabei klammheimlich via Virus Opa und Oma von der Alimentationsliste der Rentenversicherung zu nehmen.
„Kann die Politik mal bitte aufhören, uns supi Weihnachten zu versprechen, wenn wir alle ganz artig sind? Was sind wir - Dreijährige? Nur weil ein paar Bekloppte es nicht kapieren, möchte ich bitte trotzdem als Erwachsener behandelt werden.“ Das hat Imre Grimm getwittert, ein, obwohl Journalist, sehr kluger Mann, der wohl erkannt hat, dass hier ein unwürdiger Tanz ums goldene Kalb inszeniert wird aus lauter Angst, die Menschen könnten sich gestanzter Tradition entwöhnen, wenn sie nur einmal an der Möglichkeit, etwas selbst zu gestalten, gerochen haben.

Um es mal deutlich zu sagen: Es gibt keinen Zwang zum Konsum, man muss keine zum Glühwein euphemisierte Heißplörre zu sich nehmen, um sich die dunkle Jahreszeit schön zu trinken. Und wenn sich die Sippe nicht übers Jahr treffen konnte, warum verdammt muss sie ausgerechnet im Dezember zusammenkommen? Einer Studie der Universität Istmirdochwurschtistan zufolge haben in den vergangenen Jahresendfeiern das Unwohlsein, der eskalierte Zwist und die Unerträglichkeit vorgetäuschter Nähe so stark zugenommen, dass sie längst den Mythos vom Fest des Friedens zu einem sehr löchrigen Bau haben werden lassen.
Es ist die Zeit des Sichfügens angebrochen. Das "Ich bin dann mal weg" funktioniert nicht mehr. Das große C nagelt uns an den Ort des Seins. Und ja, wir leben in einer Diktatur. Aber nicht in der, in der sich alte weiße Männer mit zu viel Tagesfreizeit von der Regierung erpresst wähnen und sich als Opfer von Regeln gerieren, auf dass ihr Leben als vermeintlicher Rebell mit wenigstens einem Hauch von Bedeutung aufgepumpt werde. Nein, wir leben in der Diktatur des Virus, das allein mit Vernunft und Bedacht vom Thron gestoßen werden kann. Die Arbeiten daran laufen.
Bis dahin müssen wir immer wieder mal mental stoßlüften und gerne auch ein bisschen jammern. Jammern ist gut, es reinigt die Seele, es ist das alte Lied des Kaufmanns, der es schon anstimmt, wenn er die Rekorderträge vom Vorjahr nicht erneut übertreffen kann.

Aber wir dürfen uns auch freuen. Wie viele „Jingle Bells“- und „Last Christmas“-Attacken bleiben uns dieses Jahr erspart? Allein dafür lohnt sich doch die Zurückhaltung, der die einen den Namen Lockdown, die anderen den Begriff Klausur zuordnen.
Es sind die Chancen, die gesehen werden sollen. In einer Zeit, in der sich alle eingezwängt fühlen, sollten wir die Freiheit suchen, mal zu tun, was wir sonst nicht tun. Die Schriftstellerin Eva Menasse hat da einen schönen Vorschlag gemacht. „Vielleicht sollen einen Tag lang die Kinder alles (minus online) dürfen, wenn sie schwören, beim Aufräumen zu helfen“, hat sie geschrieben. Es wären einen Versuch wert. Es wäre ein Anfang. Fröhliche Weihnachten.

 

Hans Hoff

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