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Wir verlieren die Altstadt.

Die biograph Ouvertüre Dezember 2021

Die Altstadt war noch nie ein Ort, der zu allen Tages­zeiten funktionierte. Als gestandener Düsseldorfer wusste man stets, wann man dort wohin gehen und die Annehmlichkeiten genießen konnte, ohne allzu sehr belästigt zu werden. Immer noch gibt es in der Altstadt Institutionen, die just jenen Geist atmen, den man beim romantisierenden Aussprechen des Begriffs Altstadt inhalieren möchte. Es gibt das „Cinema“, es gibt die Haus­brau­ereien, es gibt die Litera­tur­hand­lung im Heine-Haus, es gibt die feine Schmuck­galerie Cebra, es gibt das Kom(m)öd­­chen und, und, und. Es gibt dieses an­heimelnde Gefühl, wenn man sich frühmorgens zwischen all den Liefer­wagen durch­schlängelt, wenn man es sich leisten kann, tagsüber in der Altstadt Zeit zu haben. Es gibt schöne Cafés, es gibt attraktive Treffpunkte Es gibt, es gibt, es gibt.

Es gibt auch Drogen, Be­soff­e­ne und Schlä­ge­reien. Meist nachts. Gibt es nicht nur, gab es im­mer. Als kluger Eingeborener wusste man, dass es in bestimmten Straßen zu bestimmten Zeiten auch mal heikel werden konnte, weil besonders an den Wo­chen­enden, Berg­heim, Grevenbroich und Mett­mann ihre Ver­hal­tens­auffälligen abschoben in die Landeshauptstadt.

Lange wirkte es, als habe sich da ein Gleichgewicht eingependelt. Man wusste um die Defizite, schaffte es aber trotz all der Missstände, sich die Altstadt schönzureden, eine Idylle herbeizufabulieren. Das hatte viel damit zu tun, dass man Menschen kannte, die in der Altstadt lebten, die man dort treffen konnte. Die Altstadt hatte ein Gesicht, viele Gesichter. Man grüßte hier, man grüßte da. So ging Heimat.

Nun wird es immer schwerer, sich die Altstadt schönzureden. Corona hat eine Entwicklung forciert, die sich schon vor der Pandemie abzeichnete. Der Altstadt droht das Schicksal vieler touristischer Hotspots, die am eigenen Erfolg und der damit einhergehenden Kommerzialisierung zu ersticken drohen.

Wie das unschön funktioniert, konnte man drastisch erleben am Rheinufer. Wie oft hat man sich direkt nach der Fertigstellung des Tunnels und der Freigabe der Promenade dort im Eiscafé auf einen Espresso oder nebendran auf ein Bier getroffen. Ein wunderschöner Ort, von dem aus man Schiffe beobachten und die Oberkasseler Rheinfront bewundern konnte. Doch irgendwann traf man sich seltener dort, weil sich das Publikum wandelte, weil das Angebot immer mehr konfektioniert wurde und es zunehmend schwerer wurde, die Rheinfront nicht als Fortsetzung des Baller­manns mit rheinischen Mitteln zu empfinden.

Nicht ohne Grund haben das KIT und die Stadtstrände in ordentlicher Distanz zum Rummel zwischen Frei­treppe und Pegeluhr passablen Zustrom umsichtiger Menschen zu verzeichnen. Sie bieten ein gepflegtes Gegenangebot zur touristischen Abfertigungs­maschi­nerie, und wer darüber nachdenkt die Stadtstrände wegen ihrer nicht durchweg als schön empfundenen Container abzuschaffen, sollte sich fragen, ob es sein Anliegen ist, neben den ungeliebten Blechkästen auch gleich noch eines der raren Alternativangebote im Altstadt-Einzugsbereich zu schleifen.

Schon so werden immer größere Bereiche der Alt­stadt als No-Go-Areas empfunden. Das Aus­weichen in Randbezirke wird schwerer, weil sich jene ausbreiten, die immer häufiger Ratinger Straße und die Carlstadt mit sich selbst fluten und das Leben dort an den Rand der Unerträglichkeit treiben. Das führt dazu, dass immer mehr Altstadtbewohner aufgeben und wegziehen. Eine stille Entvölkerung bahnt sich gerade an in Vierteln, die gestern noch hochattraktiv schienen. Aber wenn man nachts kein Auge mehr zutun kann, wenn man sich nicht mehr vor die Türe wagt…

Was passiert, wenn die letzten Eingeborenen die Altstadt verlassen haben? Was unterscheidet dieses Viertel dann noch von El Arenal oder dem Phantasia­land? Kameraüberwachung und grelle Ausleuchtung allein können keine Lösung sein. Ob Waffenverbote, Polizeipräsenz und Flaschenverbote greifen würden, ist unklar. Schluss muss auf jeden Fall sein mit der Illusion, man könne die Altstadt quasi zurückerobern, indem sich wieder vermehrt jene hinwagen, die sich schon lange von dort fernhalten, die dort dann plötzlich die Mehrheit stellen und die Horden vertreiben wür­den. Wie so etwas nicht funktioniert, kann man bei Facebook beobachten, wo der Aufstand der An­stän­digen im Strudel der Hasskommentatoren ertrank, be­vor er richtig begonnen hatte.

Ein überzeugendes Konzept zur Rettung der Altstadt hat derzeit keine Partei zu bieten. Man plant für My­ria­­den von Euro eine Hochglanzoper, kürzt im Ge­gen­zug die Etats von verdienten Kulturschaffenden und lässt nebendran einen ganzen Stadtteil vor die Hunde gehen.

So bitter es klingt: Wir verlieren die Altstadt. Und es sieht nicht danach aus, als sei irgendjemand wirklich willens und in der Lage, diese Entwicklung noch aufzuhalten.

Hand Hoff

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