Auch wenn die Ausstellung Ende Januar endet und sowieso weit entfernt, im Kunstverein Hannover stattfindet: Im Rheinland ist Koenraad Dedobbeleer kein Unbekannter. Bereits 2006 hat er, 31-jährig, bei KONSORTIUM in Flingern ausgestellt, danach folgten Soloschauen 2007 im Museum Abteiberg in Mönchengladbach und 2009 in Haus Esters in Krefeld. Und seit letztem Jahr ist er Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf: Für eine Kunsthochschule, die die verschiedenen Disziplinen auf ihre Substanz und Aktualität hin befragt, ist der international renommierte Belgier der Richtige. In seinen Objekten und fotografischen Aufnahmen tastet er das Formvokabular von alltäglichen und kulturellen Phänomene auf ihren Gebrauch und ihre Geschichte ab. Seine Prozesse der Aneignung und Neuschöpfung führen zu einer Präsenz seiner Werke, die das Gewöhnliche nicht gänzlich abschüttelt und doch eine skulpturale Befindlichkeit in sich trägt. Die Nähe geht mit Distanziertheit einher. So thematisiert Koenraad Dedobbeleer die Rolle des Sockels und Aspekte der Bodenhaftung und bedenkt dazu den jeweiligen Ausstellungsraum und dessen Laufwege.
Das Interesse des in Brüssel lebenden Künstlers an der Kunstgeschichte ist explizit und berücksichtigt zugleich das Design als wesentlichen Teil unseres Lebens und unserer Alltagsgeschichte. Dedobbeleer setzt sich mit den vorgefundenen Materialien und deren Strukturen, Oberflächen und Lokalfarben auseinander; er provoziert dabei eine Neugierde des Betrachters und überlistet diese durch Vortäuschungen. Eine wiederkehrende Maßnahme ist die Verdoppelung oder Mehrfach-Verwendung von Strukturen. In Zeiten des Virtuellen nimmt er eine Neubewertung von Skulptur vor und bezieht im Blick auf das Kommende sogar die antike Skulptur ein. Die Objekte, die dem Betrachter an der Wand oder im Raum mitunter wie vorgegebene Architektur gegenübertreten und teils zunächst übersehen werden, beginnen zu kommunizieren.
Koenraad Dedobbeleers installativ arrangierte Ausstellung im Kunstverein Hannover beginnt mit skulpturalen Aufbauten, die an Büroeinrichtungen erinnern. Tatsächlich bestehen sie aus Tischen aus dem Mobiliar des Kunstvereins. Als Sekretär-Möbel enthalten sie nun – neben kleinen, wie beiläufig abgestellten Gegenstands-Kombinationen – Kunstbücher, vornehmlich zur Geschichte der Skulptur und einzelnen ihrer Akteure (Constantin Brancusi; Minimalismus; Tuckers „Language of Sculpture“) – wie kommentierende Einführungen in Dedobbeleers Interessen, wobei man die Kataloge übrigens in die Hand nehmen darf. Aber diese haptische, ästhetische Betrachtung von Büchern mit ihrer Funktionsweise spiegelt sich auch seinen eigenen, aufwändigen Publikationen wieder; zudem gibt er gemeinsam mit Kris Kimpe – unregelmäßig und kostenlos – das Fanzine „UP“ heraus, das sich in Fotografien übersehener Architektur widmet. Und schließlich interessiert ihn die Rolle der Sprache, die in seinen merkwürdigen, mehrfach kodierten Werktiteln zum Ausdruck kommt, und in der skulpturalen Arbeit mit formalen Strukturen und deren Verwebung als verfügbares Alphabet durchscheint.
Das Objekt „Faux Blonde“ (2016) wirkt wie ein aufgerichtetes Turngerät oder ein Klettergerüst. Vier Röhren, zwei davon am Ende gebogen, sind durch Scharniere miteinander verbunden. An den Seiten besitzen sie horizontal oder vertikal ausgerichtete Haken, die an Handgriffe erinnern oder an provisorisch angeschweißte Aufhängungen für den Transport. Ganz oben befindet sich ein senkrechter roter ovaler Ring, darauf eine humorvoll bekrönende Kugel: der höchste Punkt, auf über 3 m. Die labile Balance trägt dazu bei, dass jede Ansicht anders ausschaut und einzelne der Röhren zum Verschwinden kommen. Dedobbeleer spricht einen heute vergessenen Pragmatismus an: Im 17. und 18. Jahrhundert war es üblich, Skulpturen mit Griffen zu versehen, um sie bei der Produktion zu handhaben. Auch die Besitzer sollten ihre Skulpturen drehen und wenden können, etwa im Fall der Marmorstatuen von Canova. Das heutige Museum setzt hingegen einen künstlichen Abstand, der das Kunstwerk unberührbar zeigt, als etwas, das vom Himmel gefallen scheint. Zu diesem Verhältnis von artifiziell und taktil gehört der Überzug, der an eine Marmorierung denken lässt und den ersten Eindruck, es mit Holzröhren tun zu haben, aushebelt: Es handelt sich um Stahl. Als Skulptur mit figurativen Anklängen, die bis zur Denkmal-Stele reichen, verteidigt „Faux Blonde“ ihre Autonomie im exklusiven öffentlichen Innenraum. Geschützt und exponiert wird sie von einem schwarzen, transparenten Paravent, der an eine Mashrabiya erinnert und noch die Laufwege und Sichtachsen beeinflusst. Zur Strukturierung des Skulpturen-Parcours trägt dann einen Raum weiter die Museums-Sitzbank des Kunsthistorikers und Kunstvereinsmitglieds Alexander Dorner (1893-1957) aus dem Inventar des Landesmuseums Hannover bei. Und fast am Ende der Raumfolge finden sich kastenartige, partiell schräge Displays, die an gesockelte Pulte erinnern und u.a. mit Postkarten, Ready-mades und Pflanzen besetzt sind. Die Postkarten bilden Kunstwerke (darunter Dürers „Melancholia“) ab und initiieren erst recht eine assoziative Kombinatorik hin zu einer Typologie von Mikroformen, der, wie überall, komplexe Gedankengänge zugrunde liegen.
Koenraad Dedobbeleer blickt auf das leicht zu Übersehende, das ein Indiz für gesellschaftliche, soziale oder politische Haltungen ist. In seinen Fotografien ist eine Maßnahme der Ausschnitt und damit die Näher-Rückung, eine weitere die besondere Perspektive. Das Schwarz-Weiß der Fotografie geht mit dem Abzug als Silbergelatine-Print im breiten Passepartout unter Glas im edlen Kastenrahmen einher: Evoziert werden Historizität und Wert. Das Medium der direktesten Aneignung ist am weitesten entrückt. - Mit all dem befragt Dedobbeleer noch die Position des heutigen (Kunst-) Museums zwischen Luxus und Selbstverständlichkeit, Egozentrik und gesellschaftlicher Verantwortung. Zu seinen institutionskritischen Themen gehören die Verdrängung von Kolonialismus und die fehlerhafte neuzeitliche Rezeption antiker Skulpturen.
Natürlich ist es in dieser überbordenden Fülle ein Glück, wenn man zuvor eine Ausstellung Dedobbeleers sehen konnte, die sich auf wenige Ideen beschränkt, um sie in Ausschließlichkeit zu Ende zu denken, wie in der Züricher Galerie „Mai 36“ im Frühjahr 2017. Sie enthielt neben einzelnen, teils als Diptychon oder zu dritt zusammengehörenden Fotografien mit Ausschnitten etwa von Stuhllehnen, eine matt schwarze, aus versetzt aufeinander gestapelten Rohrsegmenten bestehende Skulptur. In ihrer Simplizität und dem von ihr aus in die Wand führenden verchromten Rohr rief sie unweigerlich die Vorstellung eines Ofens auf. Ja, sie schien der Nachbau eines solchen zu sein. Und dann kommt einem, über die elementare Struktur hinaus und durch den Kontext des Kunstbetriebs vorgegeben, das berühmte Ofenrohr von Joseph Beuys in den Sinn, das aus der Fassade der Kunsthalle Düsseldorf herausragt, seitlich oberhalb der vier Karyatiden – also, das Referenz-System und visuelle Programm von Koenraad Dedobbeleer liegt sprichwörtlich auf der Straße.
Koenraad Dedobbeleer »Sache: Gallery of Material Culture« ist bis 26. Januar im Kunstverein Hannover, Sophienstraße 2, zu sehen.
Eine weitere Einzelausstellung findet bis 1. März bei CLEARING in Brooklyn, NY statt.
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