
Sentimental Value
Frankreich, Norwegen, Deutschland, Schweden, Dänemark 2025, Laufzeit: 133 Min., FSK 12
Regie: Joachim Trier
Darsteller: Renate Reinsve, Stellan Skarsgård, Inga Ibsdotter Lilleaas
Mit DER SCHLIMMSTE MENSCH DER WELT sorgte Joachim Trier vor vier Jahren für Aufsehen in Cannes und seine Hauptdarstellerin gewann eine Silberne Palme. Dieses Jahr kehrte er mit SENTIMENTAL VALUE zurück, ein intensives Familiendrama in Bergman'scher Tradition, wieder mit Renate Reinsve in der Hauptrolle und an ihrer Seite ein Stellan Skarsgard in Bestform.
Im Mittelpunkt steht eine gutbürgerliche Familienvilla in Oslo, in der schon viele Generationen der hier beschriebenen Familie Borg gelebt haben. In einer Rückblende stellt Nora es in einem Schulaufsatz vor. Das Haus beobachtet das Kommen und Gehen der Familienmitglieder, bietet allen Obdach, erlebt alle Familienkatastrophen und hüllt sich in Verschwiegenheit. Nora ist die ältere Schwester von Agnes und erscheint als ihre Beschützerin. Zurück in der Jetztzeit richten sie gerade eine Gedenkfeier für ihre nach langer Krankheit verstorbene Mutter aus. Die beiden Schwestern halten sich wacker, scheinen aber ihre Rolle getauscht zu haben. Agnes hat geheiratet und einen neunjährigen Sohn, sie ist der Ankerpunkt der Familie geworden, steht für Verlässlichkeit und organisiert nicht nur die Trauerfeier. Ganz nebenbei steht sie ihrer Schwester zur Seite, die am hiesigen Theater spielt. Sie erscheint labil, zergeht vor Lampenfieber vor jedem Auftritt, um anschließend auf der Bühne zu glänzen. Ihr gelingt es, aus ihrer Trauer und Unsicherheit eine ungemeine Bühnenpräsenz zu schaffen.
Irgendwie scheint das Familiäre-Gleichgewicht im Lot, wie fragil es ist, zeigt sich, als Gustav (Stellan Skarsgard), ihr Vater, plötzlich im Raum steht. Er hat Frau und Töchter vor vielen Jahren verlassen und ist ein bekannter Filmregisseur geworden. Gustav will nicht kondolieren, sondern sieht die Zeit gekommen, wieder Anschluss zu seinen Töchtern zu suchen, insbesondere zu Agnes, der er ein Drehbuch auf den Leib geschrieben hat und nun mit ihr verfilmen will. Doch so einfach ist das nicht, hat er doch seine Töchter mit seiner jahrelangen Abwesenheit schwer verletzt. Agnes will ihn nicht sehen, eine Eiseskälte hält die Familienmitglieder auf Abstand.
"Es geht um die Schwierigkeit, in engen Beziehungen miteinander zu kommunizieren, darum, die Sprache zu finden, die uns fehlt, um uns mitzuteilen, und zu versuchen, uns in engen Beziehungen gesehen zu fühlen", so Trier in Cannes. „Ich interessiere mich für ein Kino der Intimität, das sich dem menschlichen Gesicht nähert und die menschliche Erfahrung auf ehrliche Weise betrachtet. Durch das Chaos, das Nora repräsentiert, und die Stille, die Agnes repräsentiert, können beide Welten auf ihre eigene Weise etwas Menschliches vermitteln."
Bevor man sich wieder einander annähern kann, wäre vielleicht erstmal eine Entschuldigung fällig gewesen. Es dauert den ganzen Film, bis klar wird, dass diese Entschuldigung in Form des Drehbuches die ganze Zeit auf dem Tisch liegt, nur niemand will es lesen. Als es Agnes am Ende dann doch tut, wird klar, dass es bestimmte Dinge gibt, die man nicht in Worte fassen kann, aber Kunst, Film und Literatur sind eine Möglichkeit, sie auszudrücken.