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Paradies: Liebe

Paradies: Liebe
A/D/F 2012, Laufzeit: 120 Min., FSK 16
Regie: Ulrich Seidl
Darsteller: Margarethe Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux, Dunja Sowinetz, Helen Brugat, Gabriel Mwarua, Carlos Mkutano
>> www.paradies-trilogie.de/

Dem kontroversen österreichischen Regisseur Ulrich Seidl ist ein Festival-Coup gelungen: alle Teile seiner „Paradies“-Trilogie sind in den Wettbewerben der großen Filmfestivals hintereinander zu sehen: „Liebe“ in Cannes, „Glaube“ in Venedig und „Hoffnung“ erwartet uns auf der Berlinale 2013. Alle Teile widmen sich der Suche von jeweils drei Frauen nach dem Lebensglück und bilden dabei, visuell wie immer überragend, einen messerscharfen Querschnitt durch die ansonsten oft unausgesprochenen Abgründe und Ängste der Gesellschaft.

Den Auftakt bildet die 50jährige allein erziehende Mutter Teresa (Margarethe Tiesel). In einer fantastisch eingefangenen Eröffnungssequenz sehen wir die Behinderten-Pflegerin bei einem Ausflug mit ihren Schützlingen auf der Kirmes - die mental und physisch Beeinträchtigten dürfen Auto-Scooter fahren und Seidl hält die Kamera dabei lange auf ihren Gesichtern, die sich in einem intensiven Spiel aus glänzenden Lichtern und Farben im Kreis drehend voller Verzückung zeigen und den Zuschauer mit einer Andersartigkeit konfrontieren, bei der oft lieber weg gesehen wird.

Doch Ulrich Seidl schaut gerne hin, explizit und ausführlich - solange, bis es weh tut.

Teresa kümmert sich aufopferungsvoll, auch um ihre pubertierende Tochter, die jene Aufmerksamkeit natürlich nicht zu schätzen weiß. In der engen, trostlosen Wohnsiedlung kann man die Lebensträume förmlich platzen spüren. Einziges Highlight ist da, wie bei so vielen Menschen, der Pauschalurlaub – die zickige, auf ihr Handy fixierte Jugendliche wird in ein Sommerlager abgeschoben und Teresa folgt der Empfehlung einer Bekannten auf eine Reise ins paradiesische Kenia. Seidl findet auch hier tableaux-artige Bildkompositionen, in denen die Ambivalenz des Tourismus deutlich zu Tage tritt: Während die Urlauber sich am abgesperrten und bewachten Strand sonnen, stehen vor dem Zaun die einheimischen Männer und beobachten, mit unklaren Absichten. Teresa ist übergewichtig, entspricht nicht dem gängigen Schönheitsideal der Gesellschaft und begegnet der plötzlichen Aufmerksamkeit zunächst skeptisch, doch bald schon folgt sie dem Beispiel ihrer Freundinnen und lässt sich mit einem der aufdringlichen „Beachboys“ ein. Im Gegensatz zu den anderen will dieser kein Geld und verspricht Liebe. Zunächst.

Seidls große Stärke ist die eindringliche Komposition von einzelnen Szenen, in denen das Setting und die Dialoge im Vordergrund stehen. Beiläufig offenbaren sich so die komplexen Machtstrukturen, denen die Charaktere unterworfen sind, politisch hoffnungslos inkorrekte Vorstellungen treten auf erschreckende Weise zu Tage. Es wird klar, in wie weit der Tourismus tatsächlich eine scheinbar harmlose Verlängerung der Kolonialzeit darstellt, doch Seidl inszeniert kein einfaches Herr-Knecht-Verhältnis. Allein schon durch den ökonomischen Kreislauf sind alle Akteure in einem permanenten Austauschverhältnis, in dem nie ganz klar ist, wer die Macht über wen hat. Einen weiblichen Sextourismus zu beschreiben ist ohnehin ein interessanter und bisher wenig beleuchteter Ansatz, zuletzt mit Charlotte Rampling in dem ebenfalls großartigen „Vers le sud“ von Laurent Cantet. Seidl zeigt die Europäerinnen ebenso niederträchtig und objektivierend, wie man sich ältere Herren in Thailand vorstellt, gleichzeitig beleuchtet er aber auch ihre Tragik, in dem er klar macht, wie sehr sie unter einem nicht minder grausamen Schönheitsideal der westlichen Welt leiden. Ulrich Seidl ist durch das grenzüberschreitende Spiel seiner hervorragenden Darsteller und seinem Sinn für die Abgründe des Alltäglichen ein in jeder Hinsicht provokativer und vielschichtiger Film gelungen.

(Silvia Bahl - biograph)

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