Mary Shelley
Großbritannien 2018, Laufzeit: 120 Min., FSK 12
Regie: Haifaa Al Mansour
Darsteller: Elle Fanning, Douglas Booth, Tom Sturridge
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Was auf den ersten Blick aussieht wie ein klassisches britisches Biopic, wie ein Kostümschinken mit viel Liebe zum historischen Detail, entpuppt sich schnell als engagierter Film über die Emanzipation einer jungen Frau. Mary Shelley, Frau des weitaus berühmteren britischen Dichters Percy Bysshe Shelley, war die Autorin eines Romans, der die ganze Welt schockierte und inspirierte: „Frankenstein." Die saudi-arabische Regisseurin Haifaa Al Mansour („Das Mädchen Wadjda") erzählt die Geschichte der Entstehung dieses Buches und lädt dazu ein, es völlig neu zu entdecken: nicht als Horror-Roman, sondern als autobiografisches Resümee eines tragischen jungen weiblichen Lebens.
Eigentlich heißt sie (Elle Fanning) Mary Godwin und wächst Anfang des 19. Jahrhunderts in London auf als Tochter eines Buchhändlers. Ihre Mutter Mary Wollstonecraft, eine frühe Frauenrechtlerin, starb bei ihrer Geburt. All das – die Liebe zur Literatur, der Kampf um Gleichberechtigung, aber auch die frühe Verlusterfahrung – sind bereits Dinge, die ihr Leben nachhaltig prägen und in ihr Werk einfließen werden. Mit sechzehn lernt sie den jungen wilden Dichter Shelley (Douglas Booth) kennen, einen charmanten Draufgänger, der ihr schöne Augen macht aber, wie sich herausstellt, längst verheiratet ist und sogar ein Kind hat. Nichtsdestotrotz stürzt sie sich mit ihm in diese Amour Fou, bricht dafür mit ihrem Elternhaus und riskiert die völlige Verarmung. Ihr gemeinsames Glück währt nicht lange, Shelley hat Affären und ihr erstes gemeinsames Kind stirbt kurz nach der Geburt. Sie wird sich immer wieder fragen, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hat, bis es schließlich zur legendären Nacht in einem Genfer Herrenhaus kommt, in dem sie und Shelley zusammen mit dem befreundeten Lord Byron (Tom Sturridge) in einem Unwetter Gruselgeschichten um die Wette schreiben. Die legendäre Nacht, in der sie dem Horror einen neuen Namen geben und nebenbei die Science Fiction erfinden wird...
Dass „Frankenstein oder Der moderne Prometheus", wie sein kompletter Titel lautet, zunächst nicht unter ihrem Namen, sondern tatsächlich unter dem ihres Mannes (oder anonym) veröffentlicht wurde, ist vielleicht bekannt. Insofern war die Geschichte des Buches schon immer eine Emanzipationsgeschichte. Doch der Film entdeckt noch sehr viel mehr darüber im Leben seiner Autorin. Wir erleben es als einen ewigen Kampf mit Verlusterfahrungen und Enttäuschungen, letztlich als ein Verlorensein an der Schwelle der Todessehnsucht, dem Mary nur durch ihre literarische Selbstverwirklichung entrinnen kann. Und das mit gerade einmal 18 Jahren.
Dass gerade die Regisseurin von „Wadjda" sich ihrer annimmt, überrascht immer weniger, je klarer man sich macht, wie ähnlich sich die beiden Hauptfiguren sind: Beide leben in Umständen, die es jungen Mädchen nicht gerade leicht machen, sich selbst zu verwirklichen. Beide haben zwar das Glück vergleichsweise aufgeschlossener Eltern, stoßen aber schnell auch bei diesen an die Grenzen ihres Verständnisses und müssen sich darüber hinwegsetzen, um sich selbst zu finden. Schon allein, hier Parallelen zu sehen und sie aufzuzeigen – zwischen einem Schicksal im heutigen Riad und dem London des frühen 19. Jahrhunderts – hat etwas erfrischend Weitsichtiges an sich, das für viele aktuelle Diskurse fruchtbar sein könnte. Daneben liefert der Film eine spannende neue Lesart eines längst ausgeschlachtet geglaubten literarischen Klassikers.