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Das Märchen der Märchen

Das Märchen der Märchen
Italien, Frankreich, Großbritannien 2014, Laufzeit: 133 Min., FSK 12
Regie: Matteo Garrone
Darsteller: Salma Hayek, Vincent Cassel, Toby JonesShierley Henderson, Bebe Cave, John C. Reilly
>> www.maerchendermaerchen-film.de

Nach seinen gesellschaftskritischen Arbeiten „Gomorrha“ und „Reality“, in denen sich Matteo Garrone an den Machtstrukturen der Mafia sowie der Fernsehindustrie in Italien abgearbeitet hat, überrascht er dieses Jahr im Wettbewerb von Cannes mit einem scheinbar gänzlich anderen Filmkonzept: Eine international und prominent besetzte Großproduktion, die sich dem italienischen Pendant der Brüder Grimm widmet. Doch natürlich sind es gerade diese Geschichten, mit denen sich die Abgründigkeiten und Abhängigkeiten der menschlichen Natur am besten erzählen lassen, ohne ihren zeitlosen Charakter je einzubüßen.

Das „Pentameron“ ist eine neapolitanische Märchensammlung, die um 1634 von Giambattista Basile unter dem ursprünglichen Titel „Das Märchen der Märchen“ erschienen und hierzulande wenig bekannt ist. So ist man einerseits erstaunt über die Fülle an skurrilen Charakteren und makabren Erzählungen, weil sie zum Teil befremdlich wirken – andererseits finden sich viele Parallelen zu Grimms Geschichten in den Thematiken, von welchen sie handeln. Gier und Begierde, Eitelkeit und Betrug, Selbstsucht und Ausbeutung; Märchen haben auf eine gewisse Art eine moralische Komponente, aber man muss sie durchleben. Sie verwickeln den Zuhörer durch ihre archetypischen Bilder und Personenkonstellationen in seine eigenen Schattenseiten und Ängste und nicht umsonst kann man sie psychoanalytisch lesen.

In Garrones Inszenierung ist interessanterweise auch die Problematik einer pathologischen Abhängigkeit zentral. In all jenen Geschichten von Königen und Königinnen spielt das Verhältnis zu ihren Kindern eine große Rolle. So mächtig und reich die Herrscher auch erscheinen mögen, sie sind unter der Oberfläche schwache Menschen, die nicht wissen wer sie sind und wie sie ihr Selbst entwickeln sollen. Also verwickeln sie auf äußerst unglückliche Weise ihr familiäres Umfeld in einen Kompensationsversuch, mit schwerwiegenden Konsequenzen.

Da ist die bildschöne Königin in roter Robe, gespielt von einer stolzen und unnachgiebigen Salma Hayek. Ihr wenig potenter Mann kann ihr offensichtlich in der Ehe nichts bieten, denn sie ist besessen von der Idee einen Sohn zu gebären. Der melancholische John C. Reilly erfüllt ihr schließlich durch schwarze Magie jenen Wunsch, der damit verbunden ist, dass er sterben muss. In einem letzten Beweis seiner Männlichkeit steigt er auf den Grund eines milchigen Sees hinab, um einem schlafenden Seeungeheuer das Herz heraus zu reißen, damit seine Gattin es verzehren kann.

Doch wie so oft bei gewaltsamen Eingriffen in die Wege des Lebens, schlägt der Zauber auch hier zurück: Die Königin wird schwanger, doch ihre Kammerzofe, die das Herz zuvor gekocht hat, ebenso. Von nun an herrscht die Regentin mit einem schnell herangewachsenen Jüngling an ihrer Seite in einer ödipalen Katastrophe. Doch der Schatten des Anderen hat eine magische Anziehung auf den Prinzen, er stellt fest, dass der Kammerdiener ihm aus dem Gesicht geschnitten ist, wie ein Spiegelbild. So entsteht schon bald ein erbitterter Kampf der Mutter gegen die Liebe des Jungens zu sich selbst, in der Furcht, dass er sie verlassen wird.

Auch in der umgekehrten Konstellation des Königs mit seiner heranwachsenden Tochter findet sich ein ähnlicher Konflikt. Hier ist es Toby Jones, der, brillant wie immer, auf subtile Weise einen zerstörerischen Vater gibt, der in Konfrontation mit der sexuellen Reife seines Kindes eine wahnwitzige Spaltung vollzieht.

Doch auch wenn man einer psychologischen Lesart der Geschichten nichts abgewinnen kann, garantiert Garrones opulenter und bildgewaltiger Film durchweg gute Unterhaltung in einem Genre, das viel mehr ist, als nur „Fantasy“. Er zeigt beklemmende Machtstrukturen auf der Ebene des Zwischenmenschlichen, die durch ihre allegorische Rahmung übertragbar werden und somit etwas über grundsätzliche Dynamiken von Beziehungen verraten. Insofern ist Garrone seinem filmischen Schaffen treu geblieben.

(Silvia Bahl - biograph)

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